Vor Nick Clegg auf dem Tisch steht ein leeres Fläschchen. Ingwer-Shot, konzentrierte Vitamine. Das ständige Reisen zwischen Kalifornien und Europa sei anstrengend, sagt der Brite mit dem engen Draht zu Mark Zuckerberg. Der Liberale Clegg war britischer Vizepremierminister, nun ist er bei Meta „President Global Affairs“, ein Top-Manager und der Außenminister des Facebook-Konzerns. Er pendelt zwischen London und dem Silicon Valley, an diesem Donnerstag sitzt er im Konferenzraum „Wiesn“ der Münchner Dependance des Konzerns. Europa lässt ihn ohnehin nicht los, denn Clegg und Zuckerberg haben ein Problem in Europa.
Die Datenschützer in der EU verschließen sich dem derzeit wohl wichtigsten Projekt des Konzerns: dem Training seiner künstlichen Intelligenzen (KI) an Bilder und Videos seiner Nutzer. Es geht darum, wie viel die KI-Modelle über Europas Bilder und Gedanken wissen dürfen und ob sie damit die Rechte jener Menschen verletzen, die diese Inhalte auf Facebook und Instagram gestellt haben.
EU untersagt Training mit Nutzerdaten
Die irische Datenschutzbehörde hat das Training untersagt, sie ist für Meta wegen seines Europa-Sitzes in Dublin zuständig. Dass Nutzer auf Facebook und Instagram zustimmen sollten, ihre Daten für das KI-Training zur Verfügung zu stellen, hat in den vergangenen Wochen viele Bürger verunsichert.
Clegg saß lange im Europaparlament und arbeitete für die EU-Kommission. Er spielt seine proeuropäischen Referenzen voll aus. Der selbst ernannte „passionierte Europäer“ ist so etwas wie Zuckerbergs charmant-britische Brechstange, um die Datenschutz-Auster EU aufzuknacken. „Ich bin 57 und aus der Generation, die von der Schaffung des Binnenmarktes und der gemeinsamen Währung begeistert war. Ich kann nicht glauben, dass wir im Jahr 2024 darüber reden müssen, dass der digitale Binnenmarkt nicht nur nicht funktioniert, sondern sich sogar rückwärts entwickelt.“ Die EU stelle sich „bei der Entwicklung dieser Modelle bewusst ans Ende der Schlange“.
Jeder soll die Facebook-KI nutzen
Dabei sollen die KI-Modelle von Meta doch ein Schlager werden. Der Konzern hat die zentralen Elemente der Modelle – die sogenannten weights, also Gewichte – gratis ins Netz gestellt. Diese Zahlenwerte sind so etwas wie die Hirnstruktur eines Sprachmodells, wie die modernen lernfähigen Systeme heißen. Das neue Modell Llama 3.1 hat 540 Milliarden Einstellungsmöglichkeiten. Und jeder soll diese Facebook-KI benutzen, wenn es nach Clegg geht.
Auf Llama lässt sich auch in der EU zugreifen, aber als Reaktion auf die Blockade der Datenschützer hat Meta trotzig erklärt, man würde zumindest die nächste mächtige Inkarnation überhaupt nicht in die EU bringen: sogenannte multimodale KI, die Texte, Bilder und Videos gemeinsam „verstehen“ und neu erzeugen kann. Multimodale KI könne etwa neue Antibiotika entwickeln helfen oder die Diagnose von Krankheiten erleichtern, sagt Clegg. Aber die EU, deutet er an, wolle diese Art Geschenk von Meta wohl nicht. Sie solle die Nutzung der Daten zum KI-Training erlauben, sonst könne die KI nichts über Europas Sprachen und Kulturen lernen. Dann sei sie nutzlos für Europäer.
Clegg ist nach München gekommen, um den Druck aufrechtzuerhalten, und sagt: Der digitale europäische Binnenmarkt sei faktisch gescheitert, wenn 27 EU-Staaten je eigene nationale Datenschutzbehörden unterhielten und allein Deutschland mit den Ämtern der Bundesländer wiederum auf 18 Behörden für Datenschutz komme.
Die Hamburger Datenschutzbehörde sieht das anders. Sie ist innerhalb Deutschlands für Meta zuständig und in Kontakt mit der irischen Behörde. Seine Daten auf Facebook und Instagram schütze Meta ja davor, dass Konkurrenten wie Google sie für ihre KI auslesen – selbst wenn Nutzer sie auf „öffentlich“ gestellt hätten. Es gehe um die „‚vernünftige‘ Erwartung der betroffenen Person“: „Muss der Nutzer eines sozialen Netzwerks vernünftigerweise davon ausgehen, dass alles, was er über Jahre gepostet und gelikt hat, nun zum Training eines Open Source General Purpose AI-Modells verwendet wird? Aus unserer Sicht eher nicht!“ Man warte auf Antworten von Meta auf den eigenen Fragenkatalog.
Auch wenn sein Arbeitgeber eigentlich als Datensammel-Konzern in Verruf gekommen ist, spielt Clegg seinerseits auf europäische Ängste und amerikaskeptische Reflexe an: „Wenn Sie Microsoft oder Open AI bezahlen, denken Sie daran, dass Sie dann auch eine Datenverbindung zurück zu einem der Unternehmen in Seattle oder San Francisco haben, wo diese KI-Modelle betrieben werden.“ Facebooks Modelle könne man dagegen auf den eigenen Rechner laden – dann sei die Verbindung zum Konzern abgeschnitten. Wobei die Modelle für den Heim-Computer auch zu groß sein dürften und dann doch wieder in der Cloud betrieben werden müssten – also auf Servern von US-Konzernen.
Eben noch habe er den Siemens-Vorstand wegen des Themas getroffen, aber auch für Start-ups sei weniger KI-Regulierung essenziell, sagt Clegg. Europäische Unternehmen warteten nur darauf, sich an Metas mächtiger KI austoben zu können. Das Modell umsonst an möglichst viele Menschen zu bringen, ist Teil der Strategie.
Facebook strebt eine Art KI-Linux an
Gerade erst hat Meta Llama 3.1 vorgestellt, sein KI-Sprachmodell, mit dem Mark Zuckerberg den Markt zu erobern versucht. In einem Manifest warb Zuckerberg vergangene Woche für seine Vision offener KI.
Damit versucht Meta sich ins Zentrum einer weltweiten Entwickler-Gemeinde zu stellen, die seine KI nutzt, testet und verbessert. Clegg weist auf den Erfolg von Varianten des offenen Linux-Betriebssystems hin, zu denen unter anderem das weitverbreitete Android für Smartphones gehört. Eines Tages soll Metas KI dann ähnlich übermächtig sein, was dem Konzern dann auch Geld einbringen soll.
Indem es mit einem Gratis-Programm viele Nutzer gewinnen könnte, versucht Meta offenbar, sich einen Vorsprung vor den Bezahl-Konkurrenten zu verschaffen und ihnen Marktanteile wegzunehmen. Llama hat in der Entwicklung Milliarden Dollar gekostet. Leisten kann Meta sich die freie Verteilung auch, weil bezahlte Abonnements von Arbeits-Software nicht zu seinem Geschäftsmodell gehören. Das ist der Unterschied zu Microsoft und Open AI, die mit ihren KI-Programmen Copilot (Microsoft) und Chat-GPT unmittelbar Einnahmen erzielen müssen.
Ähnlich wie Google es mit dem Schreibprogramm Docs tut, das im Gegensatz zu Microsoft Word gratis ist. Insofern soll das Gratis-Llama auch als Knüppel fungieren, den Zuckerberg und Clegg der Konkurrenz zwischen die Beine werfen.