NGO stellt Strafanzeige gegen Großkonzern:Fehde mit Nestlé

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Der Tod eines kolumbianischen Ex-Nestlé-Mitarbeiters beschäftigt ab dieser Woche ein Schweizer Gericht: Menschenrechtler werfen dem Lebensmittelkonzern vor, den Mann nicht ausreichend geschützt zu haben. Der Gewerkschafter kämpfte für Arbeiter- und Bürgerrechte - und eckte damit bei örtlichen Großgrundbesitzern und paramilitärischen Gruppen an.

Nicolas Richter

Die Leiche Luciano Romeros fand man am 11. September 2005 am Rande der kolumbianischen Stadt Valledupar, hinter der Armee-Garnison. Nicht zum ersten Mal hatten paramilitärische Einheiten hier ihre Opfer liegen lassen. Romero, langjähriger Gewerkschafter und Ex-Angestellter der örtlichen Firma Cicolac, war gefoltert und mit Dutzenden Messerstichen getötet worden. Er hatte in dieser von Großgrundbesitzern beherrschten Region für Arbeiter- und Bürgerrechte gekämpft, seine Gegner diffamierten ihn als Guerillero und lenkten so mutmaßlich den Zorn bewaffneter, rechter Gruppen auf ihn. Ein Richter ließ nach seinem Tod untersuchen, ob nicht auch Verantwortliche von Cicolac, einer örtlichen Milchfabrik des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé, zum Mord an Romero angestiftet hatten.

Der Schweizer Nestlé-Konzern, im Bild die Zentrale in Vevey am Genfer See, steht vor Gericht - Menschenrechtler werfen dem Unternehmen vor, sich nicht ausreichend um seine Mitarbeiter zu kümmern. (Foto: Bloomberg)

An diesem Dienstag stellt die Berliner Menschenrechtsorganisation ECCHR zusammen mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal in der Schweiz Strafanzeige gegen Nestlé und fünf seiner Manager, wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen.

Ein ungewöhnlicher juristischer Kniff: Die Staatsanwaltschaft in Zug soll untersuchen, ob die Manager den Tod Romeros mitverursacht haben, indem sie ihn schutzlos alleinließen mit dem drohenden Unheil. Sie hätten es unterlassen, "die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die gefährdenden Diffamierungen, die von den lokalen Nestlé-Vertretern in Kolumbien gegen Romero gerichtet wurden, zu unterbinden oder ihre gefährdende Wirkung zu entschärfen".

In der 100-seitigen Strafanzeige heißt es ausdrücklich, die diversen lokalen Verleumdungen und Drohungen gegen Romero seien nicht direkt dem Nestlé-Konzern und seinen Managern zuzurechnen. Doch seien dies "Risikofaktoren" im Einflussbereich des Schweizer Unternehmens gewesen. Nestlé hätte als "Schutz- und Obhutsgarant" auf diese Gefahr für Romero reagieren müssen.

Der Konzern erklärte auf Anfrage, er lehne jede Form der Gewalt ab. Die Details der Strafanzeige seien noch nicht bekannt; die Gewerkschaft Sinaltrainal habe bereits mehrmals versucht, Nestlé für die Gewalt an Arbeitnehmervertretern verantwortlich zu machen, immer erfolglos.

Nur ein Spektakel?

Ist der Vorstoß nur Spektakel? Tatsächlich nutzen Menschenrechtsgruppen zunehmend Strafanzeigen als Mittel der Auseinandersetzung mit Regierungen und Konzernen, zum Beispiel wegen der Exzesse im Antiterrorkampf. Nicht immer sind die Vorwürfe so genau belegt, wie es ein Strafverfahren verlangt, und mancher Vorwurf liest sich eher wie eine politische Anklage.

Die Anzeige gegen Nestlé aber wirft interessante Rechtsfragen auf - nach der Schutzpflicht von Konzernen bei kriminellem Treiben im Umfeld ihres weltweiten Apparats. Auch andere Schweizer Konzerne wie der Rohstoffhändler Glencore sehen sich immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, Arbeiter in Afrika oder Lateinamerika auszubeuten, die Umwelt zu zerstören oder Steuerpflichten zu umgehen. Den Managern an der Spitze ist eine Straftat allerdings selten nachzuweisen.

Unbestritten dürfte sein, dass in Kolumbien, dort, wo Romero starb, Großgrundbesitzer und paramilitärische Gruppen eine Art "Ordnung" schafften, von der ein ausländisches Großunternehmen mittelbar durchaus profitieren konnte. Ob Nestlé fahrlässig dabei zugesehen hat, wie dieses System Exzesse hervorbrachte, muss die Zuger Staatsanwaltschaft jetzt prüfen.

© SZ vom 06.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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