Versandhändler:Der "Dschungel" rebelliert gegen Amazon

Lesezeit: 4 min

  • Amazon denkt Berichten zufolge darüber nach, sein zweites Hauptquartier doch nicht in New York zu eröffnen.
  • Lokalpolitiker und Aktivistengruppen regen sich schon seit Monaten darüber auf, dass die Stadt und der Bundesstaat New York den Konzern mit Subventionen lockten.
  • Viele sind auch gegen die neue Firmenzentrale, weil sie in einer armen Gegend von New York entstehen soll.

Von Claus Hulverscheidt und Kathrin Werner, New York

Amazon kommt also nach New York. Oder vielleicht doch nicht? Manch einer hier hat sich Hoffnungen gemacht, dass das Leben nun etwas besser wird mit Amazon. Dass Amazon neue Jobs für sie bringt, neue Geschäfte, vielleicht eine neue U-Bahn-Station. Viele aber haben auch Angst, dass nichts besser wird mit dem Internetkonzern, vieles aber teurer. Dass Mieten steigen. Dass sie sich nicht mehr zu Hause fühlen in ihrem Zuhause. Dass der Fortschritt in der Stadt mit der glitzernden Skyline wie immer nichts mit ihnen hier in Queens zu tun hat.

Amazon hatte sich das Willkommen jedenfalls anders vorgestellt. Mehr als 200 Städte hatten darum gerungen, dass der Internetkonzern aus Seattle sein zweites Hauptquartier bei ihnen ansiedelt. Gewonnen hat neben einem Vorort von Washington der New Yorker Stadtteil Queens. Aber Lokalpolitiker und Aktivistengruppen regen sich seit Monaten darüber auf, dass die Stadt und der Bundesstaat New York den wertvollsten Konzern der Welt, geführt vom reichsten Mann der Welt, mit Subventionen lockten.

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All die Proteste verderben den Konzernmanagern nun offenbar langsam die Laune. Laut mehreren Medienberichten überdenkt Amazon den so groß verkündeten New Yorker Plan - oder droht zumindest mit dem Rückzug, um die Widersacher zum Einlenken zu bringen.

Wer die Proteste der Lokalpolitiker, Gewerkschafter und Nachbarschaftsinitiativen verstehen will, muss sich diesen Teil von Queens näher anschauen. Einmal um die Ecke vom designierten Amazon-Gelände ragen die Queensbridge Houses in den Himmel, das größte Sozialwohnungsprojekt der USA. Ein beiger Backsteinblock reiht sich an den nächsten. Einst war die Gegend voller Gewalt und Drogen. "Jeder Tag könnte dein letzter sein im Dschungel", textete der Rapper Nas, der in Queensbridge aufgewachsen ist.

Inzwischen gibt es nicht weit von hier ein paar Hochhäuser mit Luxuswohnungen und neue Immobilien, in die Unternehmen wie der Modekonzern Ralph Lauren und die Fluglinie Jetblue eingezogen sind. Aber die neuen Nachbarn haben keine Jobs für die 6000 Bewohner der Queensbridge Houses gebracht. Laut New York Times hat eine durchschnittliche Familie hier ein Jahreseinkommen von 16 000 Dollar. Amazon will 25 000 neue Jobs in ihre Nachbarschaft bringen, mit denen man im Schnitt 150 000 Dollar im Jahr verdient - wenn man gut ausgebildet ist.

Amazons neues Büro war New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo drei Milliarden Dollar in Form von Steuernachlässen und anderen Zuschüssen wert. Im Gegenzug soll Amazon dem Bundesstaat 27 Milliarden Dollar Steuereinkommen bringen - und eben 25 000 Jobs. Kritiker rechnen aber vor, dass das für New York City längst nicht so viel wäre, wie es auf Anhieb klingt. Pro Jahr entstanden zuletzt ohnehin im Schnitt gut 90 000 neue Arbeitsplätze in der Metropole. Und andere Unternehmen wachsen in der Stadt ohne größere Subventionen, Google zum Beispiel. Das Parlament des Bundesstaats will Amazons Plan und die Subventionen erst 2020 absegnen - wenn überhaupt.

Gouverneur Cuomo hatte den Deal weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt und sich mit dem Erfolg geschmückt. Entsprechend regt ihn auf, dass sich seine demokratischen Parteifreunde im Senat nun gegen Amazon stemmen. "Amtsmissbrauch" sei das, sagte er. "Wenn sie Amazon davon abbringen, nach New York zu kommen, müssen sie sich vor dem Volk des Staates New York rechtfertigen."

Mehrheit der New Yorker ist für Amazon

Michael Gianaris, Cuomos größter Gegenspieler, nannte Amazons Rückzugsdrohung dagegen Erpressung: "Die sitzen da in Seattle und denken, sie könnten die Bedingungen diktieren, und Regierungen beugen sich ihrem Willen", sagte der Senator im Parlament des Bundesstaats New York mit Wahlbezirk in Long Island City. Wenn der Konzern auf den drei Milliarden Dollar beharre, solle er eben wegbleiben. Der Senat hat Gianaris gerade für das Public Authorities Control Board nominiert, ein Gremium, das staatliche Zuschüsse absegnen muss. Alexandria Ocasio-Cortez, der neue Shootingstar der Linken im Kongress in Washington, feierte den potenziellen Rückzug als Erfolg des Volks. "Können ganz normale Menschen zusammenkommen und sich gegen die schleichende Vereinnahmung durch eines der größten Unternehmen der Welt stemmen?", fragte sie bei Twitter und beantwortete es selbst: "Ja, das können sie."

Laut einer jüngsten Umfrage des Marktforschers Harris X - im Auftrag von Amazon - sind allerdings die Mehrheit der New Yorker für die neue Niederlassung. Amazon sei zumindest mitverantwortlich für die Probleme mit den Aktivisten und Lokalpolitikern, sagte Tom Stringer, der für die Unternehmensberatung BDO Firmen bei der Standortsuche und beim Aushandeln von Steuernachlässen berät. "Es ist Aufgabe der Firma, die ein solches Investitionsprojekt plant, ihre Gesprächspartner in der Politik und bei den lokalen Behörden zu fragen, ob alle Betroffenen mit an Bord sind." Natürlich sei es bei einem so großen Vorhaben wie dem Bau einer neuen Firmenzentrale "nie möglich, alle glücklich zu machen". Es sei jedoch offensichtlich, dass Amazon die Einbeziehung der verschiedenen Interessengruppen "viel zu sehr vernachlässigt hat".

Amazon will das jetzt wiedergutmachen. "Wir konzentrieren uns auf die Zusammenarbeit mit unseren neuen Nachbarn - kleinen Geschäftsinhabern, Lehrern und Oberhäuptern der Gemeinde", sagte ein Sprecher. Der Konzern wolle Computerkurse für New Yorker Schüler bezahlen und Anwohner für Jobs ausbilden. "Wir arbeiten hart daran zu zeigen, was für ein Nachbar wir sein werden."

Vielleicht auch nur ein Bluff von Amazon

BDO-Mann Stringer hält die Entscheidung des Konzerns, nach New York zu gehen, trotz allem für richtig - und zwar für alle Beteiligten. Das Vorhaben in Queens werde sich schon nach wenigen Jahren selbst finanzieren, weil der Versandhändler seinen neuen Mitarbeitern hohe Gehälter zahlen werde, die sich für die Stadt und den Bundesstaat in entsprechend üppigen Steuermehreinnahmen niederschlügen. Aber auch Amazon profitiere, weil es landesweit gar nicht viele Orte gebe, an es denen eine ausreichend große Zahl qualifizierter potenzieller Mitarbeiter für eine solche Mammutzentrale gebe. "Davon findet man in den ganzen USA nicht mehr als vier oder fünf", sagte Stringer. Andere Städte wie Baltimore oder Miami hoffen jetzt trotzdem auf eine neue Chance.

Angesichts des Mangels an Alternativen könnten die Drohungen von Amazon, doch nicht nach New York zu kommen, auch nur ein Bluff sein. Der Konzern könnte versuchen, den Druck auf Lokalpolitiker zu erhöhen, die Pläne und die Subventionen schnell abzunicken. "Ich hoffe, sie meinen die Drohung ernst und ziehen sich zurück", sagte Jonathan Westin, Direktor der Interessensgruppe New York Communities for Change, der Nachrichtenwebsite Recode. "Ich kann mir aber gut vorstellen, dass das nur ein Trick von Amazon ist, um zu versuchen, Druck auf gewählte Amtsträger auszuüben und Aktivisten zu bremsen."

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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