Süddeutsche Zeitung

Neues Insolvenzrecht:Überleben trotz Schulden

Zahlungsunfähige Bürger sind künftig nach drei Jahren schuldenfrei. Gut für die Wirtschaft, denn so bleibt ein Konsument und Unternehmer erhalten. Doch die Gefahr ist groß, dass sich eine Schuldenmentalität ausbreitet. Denn Zinsen können einen Menschen fertig machen.

Hans-Jürgen Jakobs

Alfred Herrhausen, einst Chef der Deutschen Bank, ist auch durch eine politische Empfehlung in Erinnerung geblieben. 1988 erklärte der später von RAF-Terroristen ermordete Manager, mit der Schuldenkrise in der Dritten Welt ginge es so nicht weiter. Herrhausen plädierte dafür, Verbindlichkeiten zu erlassen. In bestimmten Situationen könne es weise sein, so vorzugehen, da die Überforderung des Schuldners drohe.

Beim einfachen Bürger verhält es sich nicht anders. Wann aber soll sich der Gläubiger großzügig zeigen und auf Geld verzichten? Wie stark ist auf Zurückzahlung zu drängen? Zwischen gebotener Strenge und Milde hatte nun das Bundeskabinett zu entscheiden - und die Regierung wählte die eher laxe Variante. Nach dem künftigen Insolvenzrecht für Verbraucher soll es möglich sein, dass der Säumige nach nur drei Jahren ein Viertel der offenen Summe begleichen muss, zuzüglich der Verfahrenskosten; dann ist alles geregelt, das Problem verschwindet. Die bisherige Frist von sechs Jahren wird also um die Hälfte verkürzt.

Der geplante Schuldenschnitt von 75 Prozent ist dazu angetan, dem von Zahlungspflichten Geplagten den Neustart zu erleichtern. Er soll sich leichter ins Wirtschaftsleben als Konsument und Unternehmer wieder eingliedern können.

Nichts dagegen, dass auf Dauer keiner bestraft werden soll, der etwas riskiert hat. Der eine Geschäftschance witterte, die sich nicht als Geschäftsmodell herausstellte. Die Lust, einen Betrieb zu eröffnen, muss gefördert, das Scheitern darf nicht stigmatisiert werden. Immerhin hat es 2011 mehr als 20.000 Insolvenzverfahren mit bis dahin Selbständigen gegeben; die Zahl der Pleiten von Verbrauchern wiederum lag bei 100.000. Der Bedarf nach einer Reform des Insolvenz-Gesetzes aus dem Jahr 1999 ist also groß.

Gefährlich ist etwas anderes: dass sich eine Schuldenmentalität ausbreitet. Das Vorbild hierfür ist gewissermaßen die europäische Politik, in der es seit zwei Jahren um wenig anderes geht als um das Stopfen irgendwelcher Haushaltslöcher in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien oder Italien, mit immer kühneren Konstruktionen, um Schulden mit Schulden zu bezahlen. Die Menschen gewöhnen sich an astronomische Außenstände in Billionen-Einheiten.

Es ist schon fast normal, dass bekannte Ökonomen davon reden, wie leicht es wäre, mit ein bisschen Inflation die Schulden erträglicher zu machen. Irgendwie soll der Wohlstand ja "demokratisiert" sein, jeder soll sein Glück genießen, und wenn die volkswirtschaftliche Stärke nicht mehr dieses Glück garantiert, wenn die Leistungsfähigkeit der Fabriken und Firmen schwindet, dann soll wenigstens der Vorschuss von der Bank ein sorgenfreies Leben bescheren.

Es war diese Haltung, die in den USA vor einigen Jahren viele Menschen über ihre Verhältnisse leben ließ. Sie kauften Häuser, die sie sich nicht leisten konnten. Sie zelebrierten einen Lifestyle, der ihr Konto überstrapazierte - und am Ende brach der Immobilienmarkt zusammen und der Finanzmarkt, der diese Scheinblüte begleitete.

Risiko und Chance, Vermögen und Verlust müssen eben in einem gesunden Verhältnis stehen. "Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen", dieser Lehrsatz von Walter Eucken, einem der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, gilt in Zeiten allgemeiner Schuldengewöhnung und mangelnder Solvenz erst recht. Es ist besser, Schulden erst gar nicht zum Großproblem werden zu lassen.

Schulden müssen runter vom hohen Plateau

Irgendwann müssen Schulden runter vom hohen Plateau. Irgendwann muss der Mühlstein weg. Bei einsichtigen Schuldenstaaten ist es ja oft so, dass sich die Substanz bessert - vor den ganzen Zins- und Tilgungsberechnungen. Der "Primärhaushalt" zeigt sich dann in schöner Ordnung, doch da sind die vielen Altlasten. Zinsen können einen Staat erledigen. Zinsen können einen Privatmenschen fertigmachen.

Deshalb kommt es auf einen konsequenten Tilgungsplan an, auf den großen Kompromiss, der den Schuldnern eine Chance lässt und den Gläubigern zu ihrem Recht verhilft. Hier kann - richtig eingeordnet - die geplante Änderung des Insolvenzrechts helfen. Sie darf aber nicht als Freibrief zum großen Schuldenmachen verstanden werden.

Der Schuldenerlass-Appell des Deutschbankiers Herrhausen ist einst in der Finanzbranche als "Schnapsidee" kritisiert worden. Dabei war sie die logische Konsequenz aus einem vergeblichen Kampf gegen Verbindlichkeiten, der schon sechs Jahre dauerte. Schulden vermehren sich wie ein Krebsgeschwür. Deshalb darf man sie möglichst nicht entstehen lassen - und wenn sie da sind, muss man ab und an kräftig streichen.

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SZ vom 19.07.2012/str
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