Neues Energiegesetz:Die Schweiz ringt per Volksabstimmung um ihre Energiewende

Winkraftanlage in der Schweiz

Diese Winkraftanlage steht am am Mont-Soleil in Saint-Imier in der Schweiz. Geht es nach der Regierung, soll es davon in Zukunft deutlich mehr geben.

(Foto: Valentin Flauraud/dpa)
  • Die Schweizer Bürger stimmen über ein Gesetz ab, das die Energiewende in dem Land einleiten soll.
  • Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Initiative argumentieren besonders mit der energiepolitischen Unabhängigkeit der Schweiz.
  • Nachdem schon mit einer klaren Zustimmung gerechnet wurde, deuten die neuesten Umfragen auf ein sehr knappes Ergebnis hin.

Von Charlotte Theile, Zürich

Das Abstimmungsheftchen ist dieses Mal fast ein Buch: Auf mehr als 60 Seiten versucht die Schweizer Regierung, ihren Bürgern das geplante Energiegesetz, die Argumente dafür und dagegen nahezubringen. Wenn die Schweizer an diesem Sonntag über die neue Energiestrategie abstimmen, geht es, anders als sonst üblich, nur um dieses eine Thema: Wie soll die Schweiz in den nächsten Jahrzehnten ihren Verbrauch senken, die Wirtschaftlichkeit erhöhen und möglichst unabhängig von ausländischen Produzenten bleiben?

Die Energiestrategie 2050 des Bundesrates versucht, eine Antwort darauf zu geben, doch sie ist so komplex, dass nur Eingeweihte verstehen, welcher Maßnahmenkatalog da auf sie zukommen soll. Es geht um Netzzuschläge, Smart Metering, um energetische Gebäudesanierungen, den graduellen Ausstieg aus der Kernenergie und ein kompliziertes Fördersystem für erneuerbare Energien. Einfacher ist die Nein-Kampagne, die in diesen Tagen an jeder Plakatwand klebt: Eine junge Frau, die schlotternd unter der Dusche steht. Dazu eine hohe Summe: 3200 Franken mehr bezahlen, und, fragt das Plakat empört, obendrein noch kalt duschen?

Die Nein-Kampagne, hinter der vor allem die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) steht, ist überzeugt: Die Energiestrategie des Bundes ist teuer und führt zu Engpässen in der Versorgung, im Extremfall sogar dazu, dass Schweizer Frauen kalt duschen müssen.

Weder die hohe Summe noch das Szenario einer mangelhaften Warmwasser-Versorgung sind realistisch - trotzdem hat das SVP-Komitee bisher Erfolg: Die neuesten Umfragen deuten auf ein sehr knappes Ergebnis hin.

Alle argumentieren mit der Unabhängigkeit des Landes

Interessant ist: Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Initiative argumentieren besonders mit einem Gut - der energiepolitischen Unabhängigkeit der Schweiz. Ganz egal, ob das deutsche Kohlekraftwerke oder arabische Ölfelder sind, die Schweizer scheinen vor allem eines zu wollen: Ihre Energie selber erzeugen und im Ernstfall unabhängig von internationalen Krisen oder Engpässen bleiben. Für die Regierung bedeutet das: Förderung von großen Photovoltaik-Anlagen, Investitionszuschüsse für schweizerische Wasserkraftwerke und Biogasanlagen. Die Nutzung von erneuerbaren Energien soll zum "nationalen Interesse" erhoben werden.

Im Jahr 2015 hat die Schweiz nach der offiziellen Statistik des Bundesamts für Energie vor allem Erdöl, Rohöl, Kernbrennstoffe und Gas importiert, bei der Elektrizität dagegen erzeugt die Schweiz ziemlich genau so viel wie sie auch verbraucht. Doch auch hier ist das zentral gelegene Land abhängig von seinen Nachbarn, an deren Stromkreisläufe es angeschlossen ist. Und in den kritischen Wintermonaten reicht der in der Schweiz erzeugte Strom nicht, um den Bedarf zu decken.

Die Kritik kommt von vielen Seiten

Die Gegner der neuen Energiestrategie wollen weder hieran noch an der Erzeugung etwas verändern. Im Abstimmungsheftchen heißt es kurz und knapp, man habe eine "bewährte, bezahlbare und sicherere Energieversorgung mit Öl, Gas, Benzin, Strom und Holz" und so solle es bleiben. Ehrgeizige Umweltziele seien teuer und schadeten "Konsumenten, Mietern, Hausbesitzern, Autofahrern, Arbeitnehmern und Unternehmern". Man werde nicht nur dazu gezwungen, den Verbrauch einzuschränken, sondern auch, lieb gewonnene Wärme-Systeme wie zum Beispiel die Öl-Heizung aufzugeben.

Doch die Kritik an den geplanten Energiegesetzen kommt nicht nur aus der SVP. Auch in der wirtschaftsliberalen Neuen Zürcher Zeitung wurde der Entwurf vor einigen Wochen zerpflückt: Als halbgares Maßnahmenpaket, das keine Probleme löse, sondern lediglich jeder Lobby-Gruppe genug "Privilegien und Vorteile" gewähre, um sie bei Laune zu halten. Die Stromunternehmen bekommen einen Zuschuss für ihre defizitären Wasserkraftwerke, auch andere Industriezweige werden ruhiggestellt. Und die Kunden? Können anders als in Deutschland nicht wählen, woher sie ihren Strom beziehen - und zahlen für einen billigen europäischen Strommix hohe Preise.

Die Schweizer sind mit ihrem Atomausstieg spät dran

Das liberale Traditionsblatt ist überzeugt: Ein Nein zur Energiestrategie sei mitnichten ein Nein zur Energiewende oder zu grüner Politik - auch wenn die Gegenkampagne der SVP genau das suggeriert. Es wäre vielmehr eine Verschnaufpause, in der die Politiker noch mal ganz von vorne anfangen könnten, eine Zukunftsstrategie zu planen. Ob das gut gehen wird, ist offen: Schließlich sind die Schweizer, die erst 2016 über den Atomausstieg abstimmten und sich auch im Abstimmungsbüchlein noch auf die Katastrophe in Fukushima beziehen, auch jetzt schon ziemlich spät dran.

Doch angesichts der schwindenden Zustimmung für die Strategie des Bundes, der sich so sicher fühlte, dass er kaum öffentlich für das neue Gesetz warb, scheint es gar nicht so unwahrscheinlich zu sein, dass die Verantwortlichen in Bern das Gesetz nochmals überarbeiten müssen. Schon im Februar scheiterte der Finanzminister mit einem Gesetzesvorhaben an der Urne, es ging um die Besteuerung von Unternehmen. Das Argument, das damals den Ausschlag gab, sollte die Politik auch jetzt beunruhigen: Viele Bürger hatten sich schlicht geweigert, einer Vorlage zuzustimmen, die sie mit dem ganz normalen Menschenverstand nicht durchdringen konnten.

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