Süddeutsche Zeitung

Neues E-Health-Gesetz:Der digitale Patient

  • Das Bundeskabinett hat das sogenannte E-Health-Gesetz beschlossen: Innerhalb der kommenden drei Jahre sollen die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass medizinische Daten künftig elektronisch übermittelt werden.
  • Spätestens ab Mitte 2018 sollen die Stammdaten der Patienten von den niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten elektronisch verwaltet werden.
  • Die Ärzte erhalten für die Pflege der Daten eine gesonderte Vergütung - wer sich nicht beteiligt, muss dagegen mit Kürzungen rechnen.

Von Kim Björn Becker

Ein Patient wird bewusstlos in die Notaufnahme eingeliefert. Der Arzt liest die Versichertenkarte aus und weiß sofort, ob Vorerkrankungen bestehen und welche Medikamente der Mann nehmen muss - im Notfall können diese Informationen lebensrettend sein. Wenn es nach Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geht, dann sieht so die Zukunft der medizinischen Versorgung aus: Von 2018 an sollen Notfalldaten und Medikationspläne auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können, sofern der Versicherte das möchte. Die Karte hat den klassischen Versichertenausweis bereits weitgehend ersetzt, allerdings sind viele Funktionen noch nicht in der Praxis nutzbar, da es bei der Umsetzung eines eigenen Hochsicherheitsnetzes für medizinische Daten hakt.

Ein eigenes Datennetz ist das Ziel

An diesem Mittwoch hat das Bundeskabinett in Berlin das sogenannte E-Health-Gesetz beschlossen. Dessen offizieller Name lautet "Gesetz für sichere Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen", er macht deutlich, worum es in dem Regelwerk geht: Innerhalb der kommenden drei Jahre sollen die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass medizinische Daten künftig elektronisch übermittelt werden können. Bis Ende 2016 soll die Berliner Gesellschaft für Telematik, ein von den Spitzenverbänden des Gesundheitswesens im Jahr 2005 eigens gegründetes Unternehmen, "sichere Verfahren zur Übermittlung medizinischer Dokumente" festlegen, wie es im Gesetz heißt. Ziel ist es, ein eigenes Datennetz aufzubauen, über das Patientendaten geschützt übermittelt werden können.

Parallel dazu zielt das Gesetz auf Ärzte, Kliniken und Krankenkassen: Sie werden mit Anreizen und angedrohten Sanktionen dazu gedrängt, elektronische Angebote zügig anzubieten. "Viel zu lang wurde schon gestritten.‎ Jetzt gehört endlich der Patient und der konkrete Nutzen der elektronischen Gesundheitskarte in den Mittelpunkt", sagte Gröhe am Mittwoch in Berlin.

Was sich ändern wird

  • Spätestens am 1. Juli 2018 sollen die Stammdaten der Patienten von den niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten elektronisch verwaltet werden. Dies sei eine wichtige Voraussetzung für die Einführung der sogenannten elektronischen Patientenakte, in der später einmal alle Befunde digital gesammelt werden sollen. Die Ärzte erhalten für die Pflege der Daten eine gesonderte Vergütung - wer sich daran nicht beteiligt, muss allerdings mit Kürzungen rechnen.
  • Von 2018 an sollen auch die Notfalldaten von Patienten auf deren Wunsch hin von den Ärzten verwaltet werden, dazu gehören etwa Angaben über bestehende Erkrankungen, Medikamente, Allergien oder die Blutgruppe. Auch dafür erhalten die niedergelassenen Ärzte eine Vergütung.
  • Der klassische Arztbrief per Post soll indes zum Auslaufmodell werden, die Politik setzt dort nicht auf Druck, sondern auf finanzielle Anreize: Kliniken, die vom 1. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2018 ihre Entlassungsbriefe elektronisch erstellen, erhalten eine Vergütung von einem Euro. Die geschätzten Kosten sollen bei maximal 31 Millionen Euro pro Jahr liegen. Hochgerechnet auf mehrere Tausend Patienten pro Jahr können die klammen Häuser somit zusätzliche Einnahmen erzeugen, wenn sie sich rasch an der Digitalisierung des Gesundheitswesens beteiligen. Niedergelassene Ärzte, welche die Briefe elektronisch in Empfang nehmen, sollen pro Brief 50 Cent erhalten.
  • Schließlich wird eine weitere Neuerung des E-Health-Gesetzes bereits in anderthalb Jahren für die Patienten spürbar: Vom 1. Oktober 2016 an soll jeder Patient, der mehr als drei verordnete Medikamente gleichzeitig einnimmt, Anspruch auf einen schriftlichen Medikationsplan haben - zunächst auf Papier, später digital. "So können gefährliche Wechselwirkungen verhindert werden", sagte Gröhe.

"Bezahlter Turbo für Geschäftemacher"

Kritik kam am Mittwoch vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). "Eigentlich müsste bei dem ganzen Projekt gelten: Die Kassen, und damit die Beitragszahler, sind diejenigen, die bezahlen, also sind sie auch diejenigen, die bestimmen", sagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist aber weder nach der bisherigen noch nach der neuen Gesetzeslage der Fall." Darüber hinaus sieht Pfeiffer die Anbieter von technischen Geräten in der Pflicht, ohne die keine E-Health-Anwendung funktionieren kann. "Die Lieferungen sind noch nicht so, dass wir sagen könnten, das klappt alles wunderbar". Wenn die Industrie nicht pünktlich liefere, "werden wir durch das Gesetz auch noch finanziell bestraft, wo die Kassen doch ohnehin die ganze Chose zahlen müssen. Sanktionen müssen den Verursacher treffen, und das sind die Kassen beileibe nicht."

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, kritisierte den Gesetzentwurf als "ein von den gesetzlich Versicherten bezahlter Turbo für Geschäftemacher". Konkrete Ideen, wie Patienten die "Hoheit über die sie betreffenden Gesundheitsdaten" bekommen können, enthalte der Entwurf nicht.

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