Neues Computer-Programm:Echtzeit-Wahrheitscheck für die politische Debatte

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Kongressabgeordneter Connolly: Sagt er die Wahrheit? (Foto: Screenshot/The Washington Post)

Was ist Wahrheit und was ist Lüge? In Amerika könnte darüber bald ein Algorithmus entscheiden. Eine große Tageszeitung hat jetzt den Prototyp eines digitalen Lügendetektors vorgestellt.

Von Niklas Hofmann

Seit knapp 2000 Jahren soll uns die Wahrheit nun schon frei machen. Das hat im Großen und Ganzen wohl auch gar nicht schlecht funktioniert, bleibt aber doch ein "work in progress". Einen interessanten neuen Anlauf dazu, die Lüge auf ewig zu bannen, unternimmt nun die Washington Post. Die Zeitung hat in der vergangenen Woche den Prototyp einer Software vorgestellt, die annähernd in Echtzeit als Lügendetektor für die politische Debatte funktionieren soll.

Das Programm trägt den Namen Truth Teller und kann automatisch Transkripte von Politikerreden oder Talkshow-Diskussionen erstellen, deren sachlichen Gehalt ein Algorithmus mit Datenbanken und Archiven abgleicht. Über einer Äußerung leuchten dann entweder die Wörter "wahr" oder "falsch" auf. Unter truthteller.washingtonpost.com kann man sich erste Eindrücke verschaffen, die allerdings zunächst nur auf einige ausgewählte Beispiele aus der aktuellen amerikanischen Debatte um eine Steuerreform beschränkt sind.

Entwickelt hat die Post den Wahrheitscheck mit Hilfe von Geldern der Knight Foundation, einer Stiftung, deren Aufgabe die Förderung von Qualitätsjournalismus ist. Es ist das erklärte Ziel, den Truth Teller schließlich als App für das Smartphone anzubieten, so dass in Zukunft einmal die Zuhörer eines Politikers vielleicht noch während einer laufenden Wahlkampfveranstaltung erkennen können, ob der Redner ehrlich mit ihnen ist oder nicht.

Noch patzt der Prototyp bei der Wahrheitsfindung

Noch patzt der Prototyp, der in nur drei Monaten entwickelt wurde, etwas bei der Wahrheitsfindung. Wenn etwa der demokratische Kongressabgeordnete Gerald Connolly Präsident Obama in einer Rede dafür preist, dass er die Steuern für 95 Prozent der Amerikaner gesenkt habe, dann bewertet der Truth Teller diese Aussage als falsch. Die hierzu angegebene Quelle, der von Menschenhand vollzogene Faktencheck der Seite Politifact.com, kommt aber zum Schluss, sie sei zumindest "halb-wahr". Für Nuancen aus der Welt des Nicht-Binären scheint der Wahrheitsfinder bislang nicht gemacht.

Jetzt schon bewiesen hat der Truth Teller allerdings den rasanten Aufstieg des Faktencheckers zur letzten Instanz der öffentlichen Debatte. Längst sind in den Medien Schiedsrichter allgegenwärtig, die vermeintlich streng nach Tatsachenlage den Daumen über Politikeräußerungen heben oder senken, so datenbasiert und postideologisch, wie sich die Netzöffentlichkeit gerne sieht. Dem gegenüber steht eine politische Klasse, deren Mitglieder vor allem auf Seiten der Republikaner längst nicht mehr "in einer evidenzbasierten Welt leben wollen", wie es gerade die scheidende Außenministerin Hillary Clinton so schön formuliert hat.

Am 12. Februar soll der Truth Teller seine erste große Bewährungsprobe erleben. An diesem Tag wird Präsident Obama die erste Rede zur Lage der Nation seiner zweiten Amtszeit halten und die Washington Post ihren Lügendetektor mitlaufen lassen - zumindest im internen Testlauf.

© SZ vom 04.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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