Neuer Umgang mit Patenten:Entdeckt, nicht erfunden

Patent- und Markenamt Jena

Seit 1877 gibt es in Deutschland ein Patentsystem: Es soll dazu dienen, Erfindungen zu schützen. In den letzten Jahren ist es aber auch zum Hindernis für Innovation geworden.

(Foto: dpa)

Ein Patent auf eine Geste oder einen Geruch? Anstelle bahnbrechender technologischer Erfindungen lassen sich Unternehmen heutzutage schon kleinste Ideen schützen. Und setzen Patente immer häufiger als Waffe im Wettbewerb ein.

Von Valérie Müller

Thomas Alva Edison erfand die Glühbirne, Carl Benz das erste Auto mit Verbrennungsmotor und Paul Nipkow den Fernsehapparat. Drei bedeutende Namen, drei grundlegende technische Patente, die die Welt verändert haben. Verglichen damit, überrascht, worauf heute bisweilen Patente vergeben werden: So besitzt Google in den USA das Patent für eine Geste - ein mit Daumen und Zeigefingern geformtes Herz, das einen Befehl bei der Computerbrille "Google Glass" auslöst. Ein französisches Parfum- und Bekleidungsunternehmen wollte sich den Geruch von Erdbeeren gesetzlich schützen lassen und die britische Firma Ovasort hielt drei Jahre lang sogar das Patent auf bestimmte menschliche Spermazellen - bis ein Forschungsinstitut Einspruch einlegte und das Europäische Patentamt im Mai das Patent zurückzog. "Produkte der Natur" seien nicht patentierbar.

Doch solche Beispiele vermitteln den Eindruck, dass Patente heute anders vergeben werden als früher. Dass sich das Verständnis einer schützenswerten Erfindung von greifbaren technischen Entwicklungen entfernt.

Seit 1877 gibt es in Deutschland das Patentgesetz, das den Schutz von Erfindungen sicherstellen soll. Patente geben ihrem Inhaber das Recht, die eigene Erfindung exklusiv zu verwerten - zumindest auf Zeit. Maximal 20 Jahre beträgt die Laufzeit eines Patents, das etwa vom deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) oder vom europäischen Patentamt (EPA) vergeben wird. Danach kann jeder die Idee benutzen, verwerten und verbreiten.

Thomas Alva Edison, 1929

Thomas Alva Edison ließ seine Erfindung der Glühbirne 1869 patentieren, um sie zu schützen. Ist Schutz heute noch das Ziel?

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Patentinhalte sind andere als früher

Am grundlegenden Zweck der Patente hat sich nichts verändert. "Patente haben bei uns noch die gleiche Bedeutung wie früher", sagt ein Sprecher des Europäischen Patentamts. Pedro Cipriano ist Patentprüfer auf dem Gebiet der allgemeinen Fahrzeugtechnik beim EPA. Er erklärt: "Wir halten uns für die Prüfung der Patente an das Europäische Patentübereinkommen. Darin sind die Kriterien für eine patentierbare Erfindung festgehalten." Um ein Patent zu erteilen, müsse die Erfindung neu, erfinderisch und industriell anwendbar sein. Diese Kriterien seien seit Inkrafttreten des Übereinkommens in 1977 nicht geändert worden. "Die erfinderische Tätigkeit ist in Europa Grundvoraussetzung für ein Patent", erklärt das EPA dazu. In jedem Patentantrag müsse die Anwendbarkeit der Erfindung ersichtlich sein. "Abstrakte Ideen, Gedankenspiele oder irgendwelche Spinnereien sind im Patentrecht nicht aufgehoben."

Aber wie passt dazu die Entscheidung, eine Geste, einen Geruch oder menschliche Spermazellen zu patentieren? Sind das schützenswerte Erfindungen?

"Was sich verändert hat, sind die zu patentierenden Technologien", sagt der EPA-Sprecher. Mit ihrer Entwicklung habe sich über die Jahre das Patentverständnis gewandelt. Auch Cipriano hat diese Entwicklung bei seiner Arbeit bemerkt: "Als Patentprüfer musste ich mich immer neu in technische Bereiche einarbeiten."

Mehr Möglichkeiten im US-Patentsystem

Vor allem in den USA hat sich das Patentsystem stark an die neuen Technologien angepasst und bietet mehr Möglichkeiten. "Dort wird das Patentrecht oft ganz anders interpretiert als in Europa", sagt Cipriano. Googles Patent auf die Herz-Geste etwa ist in den USA gültig, nicht aber in Europa. "Das Patentrecht in den USA und Europa und auch die Prüfungspraxis - also die Strenge, die man an die Prüfung des Patents anlegt - unterscheiden sich in einigen Punkten erheblich", erklärt der EPA-Sprecher.

Neben Erfindungen werden in den USA auch reine Entdeckungen patentiert. Jemand hat etwas nicht er-, sondern nur gefunden und möchte mit seiner Entdeckung Geld machen. So sind zum Beispiel in den USA auch Geschäftsmodelle und Software patentierbar, in Europa nicht. Noch nicht. Gerade Software-Patente sorgen auch in Europa immer wieder für Ausnahmefälle. Der Druck wächst, die Patentierungskriterien und -regeln zumindest in Bezug auf Software zu ändern. Patentprüfer Cipriano erinnert sich, dass es auch im Europäischen Patentamt die Überlegung gab, die Prüfungskriterien für Software-Patente zu lockern.

Heiner Flocke von Patentverein.de - einer Initiative, die sich vor allem für die Patentinteressen mittelständischer Unternehmen einsetzt - sieht das kritisch: "Das ist ein Interessenskonflikt. Ein Patentamt profitiert schließlich auch davon, wenn Patente verteilt werden." Er ist der Meinung, Prüfer seien daher geneigt Patente eher zu erteilen als abzulehnen. "Früher wurden nur wenige, gute Erfindungen patentiert, heute gibt es eine regelrechte Patentflut", sagt Flocke. Daran seien auch die Patentämter schuld.

Die Zahl der internationalen Patentanträge scheint diese These stützen: Bei der World Intellectual Property Organization (WIPO) gingen 1985 gerade einmal 7290 Patentanträge aus der ganzen Welt ein, 1999 waren es schon 76 358 und im vergangenen Jahr summierten sich die internationalen Patentanmeldungen auf 205 300.

Patent oder Open Source?

Dennoch ist der Umgang mit Patenten nicht überall auf der Welt gleich. Ein entscheidender Unterschied zwischen amerikanischen und europäischen Patentsystemen ist etwa, dass in den USA ein Einheitspatent gilt. In Europa hingegen werden Patente in einzelne Nationalpatente gesplittet. Im Falle eines Streits muss in jedem Land, in dem das Patent gilt, ein eigenes Verfahren dazu laufen. "In den USA werden auch oft Patente erst einmal erteilt und dann abgewartet, ob vor Gericht dagegen vorgegangen wird. Das wäre in Europa viel zu aufwändig", sagt Patentprüfer Cipriano.

Das könnte sich aber bald ändern: Auch in Europa soll voraussichtlich 2016 ein einheitliches EU-Patent eingeführt werden. Davon erhofft sich auch Flocke einiges. "Wenn wir ein einheitliches Patentsystem wie in den USA bekommen, müsste erst einmal eine einheitliche Gerichtsbarkeit definiert werden", erklärt er. Dann müsse sich grundlegend etwas ändern.

Patentschrift ´Benz Patent-Motorwagen Nummer 1"

Das Patent für den "Benz Patent-Motorwagen Nummer 1" meldete Carl Benz 1886 an. Es war das erste benzingetriebene Kraftfahrzeug mit Viertaktmotor. Seitdem haben sich die Technologien entwickelt - und mit ihnen das Patentverständnis.

(Foto: dpa)

Patente als Waffe statt Schutz

Weil es in den USA deutlich mehr Möglichkeiten zur Patentierung gibt, werden Patente oft als Macht-Instrumente im Wettbewerb benutzt. "Ursprünglich waren Patente Innovationsschutz und Belohnung für den Erfinder zugleich. In den letzten 20 Jahren sind sie aber zum Machtmittel verkommen", kritisiert Flocke. Er bezieht sich dabei vor allem auf die so genannten Patent-Trolle. Das sind Personen oder Unternehmen, die Patente zwar erwerben, aber kein Interesse daran haben, die zugrunde liegende Erfindung einzusetzen. Es geht schlicht darum, die Patente später teuer zu verkaufen.

Vor allem Unternehmen entdecken Patente als strategische Waffen. Smartphone-Hersteller wie Apple und Samsung führen regelrechte Patentkriege. Der Gedanke sei allerdings nicht neu, sagt das EPA: "Patente waren schon immer Instrumente des wirtschaftlichen Wettbewerbs." Seit 2000 ist Pedro Cipriano Patentprüfer beim EPA. In der Zeit konnte er zudem bemerken: "Einzelpersonen als Erfinder spielen heute zahlenmäßig keine große Rolle mehr. Das gibt es nur noch selten." Etwa zwei Drittel der Anträge, die er auf dem Tisch hat, kommen von größeren Unternehmen.

Hindernis für den Fortschritt?

Mittelständische Unternehmen aber haben laut Flocke Schwierigkeiten, innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Schuld sei das "Patentdickicht, das durch ein Heer von Juristen abgesichert ist". Statt Innovation zu fördern, wirke das Patentsystem innovationshemmend. Dem widerspricht das EPA: Nicht das Patentsystem an sich, sondern die Art, wie einige Akteure mit Patenten umgehen, könne Innovationen hemmen.

"Patente machen Technologien zugänglich", sagt der Amtssprecher. Weil jedes Patent nach einer Prüfungsphase offengelegt wird und damit auch jeder einsehen kann, was genau die Erfindung beinhaltet, könne auch jeder davon inspiriert werden. Wären da nicht die zahlreichen Juristen, die es nach Angaben von Flocke fast unmöglich machen, an patentierte Erfindungen anzuknüpfen.

"Ohne den Patentschutz gäbe es viel mehr Geheimniskrämerei um Innovation", sagt der EPA-Sprecher. Unternehmen würden Technologien dann für sich behalten. Patentschutz sei vielmehr "ein Modell, um Technologie zu verbreiten und Innovation zu fördern - genau wie Open Source." Im Open-Source-Modell werden Technologien, Ideen und Erfindungen offen gelegt und für Dritte zugänglich gemacht, sodass jeder damit arbeiten und sie weiterentwickeln kann.

Dieses radikale Modell verfolgt etwa der Elektroauto-Hersteller Tesla: Das kalifornische Unternehmen übergab im Juni alle seine Patente der Öffentlichkeit. Jeder kann nun Teslas patentierte Technologie für Elektroautos als Open Source nutzen. Die Motivation: Durch den Patentschutz hatte sich diese Technologie nicht verbreitet, hatten sich keine einheitlichen Standards für Elektrofahrzeuge herausgebildet. Mit der Offenlegung der Patente erhofft sich Tesla einen Schub für die Elektromobilität.

Linktipps

  • Google Patentsuche: Seit 2013 findet man über die Patentsuche von Google neben US-Patenten auch Patente in und aus Deutschland.
  • Patentscope: In der Patent-Datenbank der World Intellectual Property Organization (WIPO) sind insgesamt 37 Millionen Patente aus der ganzen Welt verzeichnet.
  • Totally Absurd Inventions: In dem Archiv finden sich absurde Erfindungen, die in den USA patentiert wurden.
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