Neuer Supermarkt in Berlin:Start-up kämpft gegen Verpackungswahn

Lesezeit: 4 Min.

Viel Müll: Im Supermarkt sind die Waren häufig unnötig verpackt. (Foto: dpa)

Tomaten in Cellophan, Duschgel in Flaschen und Gurken in Plastikfolie: Wer im Supermarkt einkauft, nimmt neben den Waren vor allem eines mit, einen riesigen Berg Verpackungsmüll. Ein junges Start-up aus Berlin möchte dies nun ändern und plant einen Supermarkt, in dem Waren ohne unnötigen Müll verkauft werden.

Von Hakan Tanriverdi, Berlin

Wenn Sara Wolf und Milena Glimbovski den Einkaufswagen durch einen Supermarkt in Berlin schieben, ist ihre Stirn dauergerunzelt. Die beiden rollen mit einem wachsenden Müllberg durch den Laden. Die Tomaten sind in Cellophan verpackt, das Duschgel in Flaschen, die Süßigkeiten sogar stückweise. "Die Verpackung wiegt mehr als die eigentliche Ware", ärgert sich Wolf und wirft die Fruchtgummis wieder zurück ins Regal.

Würden die zwei Frauen nach ihrem Einkauf alle Produkte aus ihrer Verpackung schälen, der Mülleimer am Ausgang des Supermarkts wäre voll. Glimbovski hebt eine Gurke hoch und sagt: "Die Natur hat die Gurke doch schon eingepackt. Was soll dieser Extra-Plastikumzug? Das ist doch albern."

Glimbovski, 24 Jahre alt, beschäftigt das Thema schon lange. Die frühere Studentin der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation hat bei Veganz gearbeitet, einer Supermarktkette für vegane Produkte. Dort gibt man sich zwar durchaus umweltfreundlich - und dennoch: Auf viele Verpackungen könnte man auch dort verzichten.

Viele Verpackungen sind überflüssig

Ihre Kollegin Sara Wolf, 30 Jahre alt, war bei Fairtrade Luxemburg und hat sich dort um das Siegel für fair gehandelte Produkte gekümmert. Beide wollen, dass die Albernheit, die zu extra verpackten Gurken führt, aufhört. Sie wollen einen Supermarkt eröffnen, der auf unnötigen Müll verzichtet.

Die Produkte sollen keine Verpackung mehr haben, sondern in Behältern gelagert werden. Erbsen, Öle, Mehl, Duschgel, Nudeln; in ihrem Laden soll all das zu kaufen sein und in der jeweils gewünschten Menge abgefüllt, abgewogen und bezahlt werden.

Ihr Konzept - in der Fachwelt gibt es dafür den Begriff "Precycling" - habe zwei Vorteile, erklärt Glimbovski: Erstens wird auf diese Weise der Verpackungsmüll beim Einkaufen weitgehend vermieden, und zweitens kaufen die Leute nur die Menge ein, die sie wirklich brauchen. So landen später vielleicht auch weniger Lebensmittel im Müll, die schlicht vergammelt sind.

Seit gut einem Jahr arbeitet das Team "Original Unverpackt" an dieser Idee, seither haben die Frauen viele Fans, Presseanfragen und vor allem Menschen, die in diesem Supermarkt in spe einkaufen wollen.

Der Charme der Idee erklärt sich anhand von zwei Zahlen, die den Begriff der Wegwerfgesellschaft verdeutlichen. Zahl Eins: Pro Tag landen acht Millionen Müll-Teile - Kanister, PET-Flaschen, Zahnbürsten - in den Weltmeeren, schätzt die Naturschutzorganisation WWF. Drei Viertel davon sind aus Plastik. Zahl Zwei: 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verderben jährlich - das entspricht einem Drittel der weltweiten Produktion.

Noch steht der Laden nicht, doch das Team wurde schon mehrfach ausgezeichnet. Zum Beispiel mit dem Preis "Bester Businessplan Berlin-Brandenburg", mit einem Innovationspreis und mit einem Stipendium, das vom Softwarekonzern SAP und dem Bundesfamilienministerium vergeben wird.

Dank des Stipendiums sitzen die Unternehmerinnen jetzt in einem Gründerzentrum in Berlin, dem Social Impact Lab. Ein paar hundert Quadratmeter Altbau, große Fensterfronten, eine Art Großraum-WG für Kleinunternehmen, die soziale und gesellschaftliche Probleme angehen wollen. An einem der Computer klebt eine Postkarte mit dem Spruch "Get shit done!", zu deutsch: "Erledige den Mist!" - und genau deswegen ist an diesem Tag Nicole Straub zu Besuch.

Straub arbeitet bei SAP, seit zehn Jahren betreut sie Großkunden bei Projekten. Straub ist die Mentorin des "Original Unverpackt"-Teams, deren 60-seitiger Geschäftsbericht liegt vor ihr, gut durchgearbeitet und mit Notizen versehen. Sie stellt Fragen, hört zu, gibt Tipps - aber zwischendurch fallen auch Sätze, die wirken wie ein Hammer: "Vielleicht ist euer Part ja damit erledigt, dass ihr die Idee an den Markt gebracht habt - und jemand anderes sie umsetzt." Wenn Straub redet, wird klar, wie weit der Weg ist, der zwischen Theorie und Praxis liegt.

Auch wenn die SAP-Mentorin nur provozieren will - sie selbst findet die Idee großartig, wie sie sagt. Ihre Botschaft ist klar: Gedanken müssen gedacht werden, bevor man sie ablehnen kann. Wie bereit sind die drei? Das ist die eigentliche Frage.

"Wir recherchieren seit mehr als einem Jahr - nonstop", sagt Glimbovski. Das Team fährt alle Wege ab, die am Ende in ihren Supermarkt führen könnten. Sie schauen sich Immobilien an, verhandeln mit Lieferanten, testen Backmischungen und Behälter, die Kunden später kaufen oder sich leihen können, um die Ware nach Hause zu transportieren. Da gibt es auch immer wieder Enttäuschungen zu verkraften, und manchmal sind sie so erschöpft, dass sie vor dem Computer einnicken. Zu viel Arbeit, zu wenig Schlaf, sagt Glimbovski. "Man kann nur schlecht abschalten, die Gedanken rattern einfach weiter."

Wann genau sie starten können, wissen sie noch nicht. Sicher ist nur, dass es kein reiner Bio-Markt werden soll: "Uns ist wichtiger, dass die Produkte aus der Region kommen", sagt Wolf. "Wenn die Gurke zwar bio ist, aber aus Israel kommt, dann hat das ja auch keinen Sinn." Die Gründerinnen haben inzwischen Startkapital gesammelt, auch von Privatinvestoren. Ein Betrag im sechsstelligen Bereich, genug, um einen Laden samt Einrichtung zu finanzieren. Auch die erste Warenlieferung wäre gedeckt, sagt Glimbovski.

Natürlich gibt es schon Vorläufer für "Original unverpackt" - aber es sind noch wenige. Einer davon heißt "Unpackaged" und ist ansässig in London. Das Team fuhr hin, wollte ein Gespräch, aber die Chefin des Ladens hatte keine Zeit: zu beschäftigt, die Nachfrage war zu hoch. Für die Frauen hatte sich der Besuch trotzdem gelohnt, denn vor Ort konnten sie sehen: Der Laden läuft.

Mittlerweile hat das Vorbild allerdings geschlossen*. Die Macher hatten zum Laden noch eine Bar und ein Restaurant eröffnet - das Konzept rechnete sich so nicht.

*Anmerkung der Redaktion: Letzer Absatz am 23. April um 10.13 Uhr ergänzt.

© SZ vom 23.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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