Neuer EZB-Präsident Draghi startet Zinswende:Grinsen in der Krise

Mario Draghi ist erst seit Dienstag der neue Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) - und hat in seiner ersten Sitzung für Experten überraschend den Leitzins gesenkt. Der Italiener kämpft nicht nur für eine Lösung der Euro-Krise, sondern auch gegen sein neues Image als "Zins-Taube". Und die EZB-Beobachter, die mit der Zinssenkung auf dem falschen Fuß erwischt wurden, machen sich ihren eigenen Reim auf den Draghi-Auftritt.

Helga Einecke

Worin unterscheidet sich der Neue von seinem Vorgänger? Was macht Mario Draghi bei der Europäischen Zentralbank (EZB) anders als Jean-Claude Trichet? Diese Frage bringt den Vizepräsident richtig ins Schwitzen. Vitor Constancio sitzt gemeinsam mit dem Debütanten Draghi auf einem Podest im abgedunkelten Presseraum und beantwortet Fragen der Journalisten. Der Portugiese schaut kurz zum EZB-Präsidenten hinüber, macht sich Notizen, will sich aber nicht den Mund verbrennen. Schließlich sagt er, es gebe eigentlich keinen Unterschied, es sei zu früh, etwas zu sagen. Da souffliert Draghi: "Kontinuität, Glaubwürdigkeit, Konsistenz" seien die wichtigsten Codewörter der Notenbank.

First ECB Council Meeting With Mario Draghi

Debütant Mario Draghi: "Wir sind unabhängig. Niemand kann uns zu irgend etwas zwingen."

(Foto: Getty Images)

Tatsächlich wirkt der neue Mann im EZB-Chefsessel bei seiner Premiere so, als würde er den Job schon eine ganze Weile machen. Er trägt das Outfit der Banker. Er wirkt schmal, sportlich, elegant. Die Haare liegen glatt an, nur die große randlose Brille wirkt etwas altmodisch. Die geldpolitischen Formeln kann Draghi auswendig - und kommt gleich zur Sache: Die Zinsen müssten fallen. Diese Senkung der Leitzinsen um 0,25 Punkte auf 1,25 Prozent war von den meisten EZB-Beobachter nicht erwartet worden. Immerhin liegt die Inflationsrate im Euro-Raum bei drei Prozent, das kann eine Notenbank nicht ignorieren, die eine Geldentwertung von knapp zwei Prozent anpeilt.

Als wesentlichen Grund für diesen Schritt gibt Draghi den Niedergang der Konjunktur an. Eine ganze Reihe von Wirtschaftsindikatoren würden eine milde Rezession im Euro-Raum signalisieren. Außerdem sehe er keine Gefahr, dass die Preise schneller steigen, sagt der bisherige Chef der italienischen Notenbank. Im Gegenteil: Angeblich würde die Inflation im nächsten Jahr wieder unter zwei Prozent sinken, allein weil Löhne und Kosten nicht schneller steigen.

"Nein, wir sehen keine Inflation", sagt er ganz deutlich.

Auch zu den umstrittenen Staatsanleihen, die das Budget der EZB mit 170 Milliarden Euro belasten, hat Draghi eine schnelle Antwort parat. Diese Anleihen-Käufe seien vorübergehend, begrenzt und für die Durchsetzung der Geldpolitik nötig. Wann die EZB damit aufhört, sagt er nicht. Kann die Notenbank unter all den Risiken kollabieren? Da setzt Draghi ein breites Grinsen auf. Nein, auf keinen Fall. Er drückt seine Antwort in vielen Fachausdrücken aus. Der Trichet-Nachfolger lässt sich den Druck nicht anmerken, der auf ihm lastet. Mitten in der Euro-Krise übernimmt er das Ruder, eine fast unlösbare Aufgabe. "Ein höllisch schwerer Job", urteilt der Economist.

Welche Folgen hätte ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone? Bei dieser erwartbaren Frage schaut Draghi in seine Unterlagen. "Das ist im Vertrag nicht vorgesehen", lautet seine stereotype Antwort. Egal, wie man die Frage dreht und wendet. Werden Irland, Portugal oder Italien auch in die Bredouille kommen? "Die griechische Situation ist außergewöhnlich und einmalig", sagt der Mann, der aus dem Schuldenberg seines Heimatlands und dessen schlechter Verfassung keinen Hehl macht.

"Wir sind unabhängig", sagt er - und verschwindet.

Einen guten Rat hat der EZB-Präsident bereits vor Wochen ausgesprochen: Deutschland tauge als Vorbild für die anderen Länder im Euro-Raum. Wollte er sich die kritischen Deutschen gewogen machen, der Kanzlerin schmeicheln? Und was hält er von den Prinzipien der Bundesbank mit ihrem strengen Dogma stabiler Preise und einer scharfen Trennung von Finanz- und Geldpolitik?

Mario Draghi hat in der Vergangenheit nach eigener Aussage die Bundesbank bewundert, er hat mit Männern wie den Ex-Präsidenten Hans Tietmeyer und Helmut Schlesinger zusammengearbeitet. Hat Trichet ihm irgendwelche guten Ratschläge auf den Weg gegeben? Nein, aber er sei ein gutes Vorbild gewesen. Wie ein Schlusswort fügt Draghi hinzu: "Wir sind unabhängig. Niemand kann uns zu irgend etwas zwingen." Spricht's und verschwindet. Signor Euro eilt zum Flieger nach Cannes. Dort gibt er auf dem G-20-Gipfel seine Abschiedsvorstellung als Chef des Financial Stability Board (FSB), einem Gremium, das die globale Finanzwelt stabiler machen soll. Daran kann er als EZB-Präsident noch ein wenig besser arbeiten.

Die EZB-Beobachter, die mit der Zinssenkung auf dem falschen Fuß erwischt wurden, machen sich ihren eigenen Reim auf den Draghi-Auftritt. Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer interpretiert den Schritt als einen Beweis dafür, wie beunruhigt die Währungshüter sind. Der neue Chef nehme sogar in Kauf, das Etikett einer "Zins-Taube" angeheftet zu bekommen. Die Friedensvögel sind in der Geldpolitik ein Symbol für eine ziemlich lasche Haltung gegenüber der Inflation.

Hier hat Mario Draghi viel zu tun.

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