Neuer EZB-Chef Mario Draghi:Ein Mann für knappe Antworten

Von langen Diskussionen hält Mario Draghi wenig. Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat einen neuen Ton etabliert in der Institution, die den Euro stabil halten soll. Seine Fürsprecher sagen, er habe die Lage auf den Finanzmärkten entschärft. Kritiker beklagen jedoch, der Italiener bekämpfe die Krise viel zu sehr mithilfe der Notenpresse.

Helga Einecke

Mario Draghi, 64, nimmt die Brille ab. Im Eiltempo liest er das Bulletin vor, auf Englisch, versteht sich; nur der Akzent, die breite Dehnung einiger englischer Wörter, verrät seine italienische Herkunft. Er leiert, verschluckt Wörter. Offensichtlich hasst er diesen Text, aber es hilft nichts: Einmal im Monat muss sich der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) erklären, auf dem Podium in einem fensterlosen Raum im Frankfurter Eurotower: Wie geht es weiter mit den Zinsen, wo bleibt das Geld? An diesem Donnerstag wird es wieder so weit sein, und wieder werden Journalisten im Anschluss an den kargen Vortrag fragen, und wieder werden sie nichts erfahren.

EZB-Präsident Mario Draghi

Einmal im Monat muss er vor die Presse: Mario Draghi, neuer Präsident der Europäischen Zentralbank, mag das nicht.

(Foto: dpa)

Draghi liebt knappe Antworten. Auf drei Fragen bringt er zweimal ein Nein zurück und einmal das EZB-Mantra: Wir legen uns nie im Vorhinein fest.

Kurz und genau will er rüberkommen, dieser Super-Mario, der seit 100 Tagen als Präsident die Geschicke der EZB leitet. Er mag sich nicht persönlich um jedes Detail kümmern, delegiert gerne, wenn er den Zuarbeitern vertraut. Hakt aber nach, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er sich das vorstellt. Aus Italien hat er keine Entourage nach Frankfurt mitgebracht, was manchen überrascht hat, aber am Wochenende hält es ihn auch nicht am Main, er fliegt er zurück nach Rom.

Hinter verschlossenen Türen räumt der Neue mit überholten Traditionen auf. Galten früher die Ratssitzungen mit Vorträgen über Volkswirtschaft, Finanzmärkte überfrachtet, so müht sich Draghi um pragmatische Kürze. Im Dezember etwa ging es im Eurotower darum, die Zinsen zum zweiten Mal zu senken. Einige Notenbankpräsidenten hielten den Zeitpunkt für verfrüht, andere hatten keine klare Meinung. Draghi, so berichtet ein Insider, beendete die Diskussion der 23 Herren. Er wertete die Enthaltungen mit Ja, zog das Fazit, es gebe eine Mehrheit für den Zinsschritt nach unten. Prompt drang das Murren über Draghis neuen Stil nach draußen: Streit im Zentralbankrat!

Die Versorgung der Banken mit Geld sorgt für Misstrauen

Ein Italiener, ausgerechnet, soll den Euro stabil halten. So stabil wie die Mark, lautet das Versprechen der Gründungsväter. Immerhin gehört Draghi noch zu der Generation, die den Euro auf den Weg brachte, die seine Grundlagen kennt. Seine öffentlichen Auftritte dosiert er sparsam, stets geht es ihm um die größtmögliche Wirkung.

Als EZB-Präsident will er zwar die Bevölkerung erreichen, Vertrauen einflössen, glaubwürdig wirken. Im Dezember aber konnte er nicht einmal die Märkte überzeugen, also die Profis an den Finanzmärkten. Er verkündete nicht nur die zweite Leitzinssenkung am Stück, auch eine dreijährige Geldspritze für die Banken, eine Lockerung der Sicherheiten, sinkende Mindestreserve und andere Wohltaten. Aber erst seit wenigen Wochen greifen die neuen Werkzeuge, werden auch begriffen, und das Echo der Märkte klingt zunehmend wohlwollend.

Er ist ein geschickter politischer Stratege, hat die einzigen Maßnahmen ergriffen, die politisch durchsetzbar und effektiv waren", urteilt etwa Ulrich Kater, Volkswirt der Dekabank. Mehr noch, Draghi habe die Finanzmärkte aus einer schwierigen und gefährlichen Situation befreit. Seine Führungsstärke sei anfangs von den Märkten unterschätzt worden.

Jörg Krämer, Volkswirt der Commerzbank, sieht das weniger positiv. Für ihn hat die Krise unter Draghi eine neue Qualität bekommen. Seit dessen Amtsantritt bekämpfe die EZB die Staatsschuldenkrise noch stärker mit der Notenbankpresse. Waren es früher die Käufe von Staatsanleihen durch die EZB, die von deutscher Seite als Tabubruch bekämpft wurden, sorgt heute die reichliche Versorgung der Banken mit Geld für Misstrauen, weil auch dieses Geld in Staatsanleihen fließt. Selbst sinkende Zinsen für Staatsanleihen besänftigen nicht. Die EZB verstricke sich über den Umweg der Bankenfinanzierung weitaus stärker und unauflöslicher in die Krise als je zuvor, fürchten die Orthodoxen.

Draghi kennt seinen Machiavelli

Draghi kennt die Vorbehalte gegen ihn. Weil er aus dem hoch verschuldeten Italien komme, weil er einmal Banker bei Goldman Sachs war, deshalb reagierten die Deutschen so misstrauisch, sagte er einmal. Das war gleich nach seinem Start in Frankfurt.

Kümmert es ihn denn, dass er diese Vorurteile nicht entkräften kann? Er zuckt mit den Schultern. Hätte er den Job sonst angenommen?

Intern lehnt sich keiner gegen den neuen Chef auf, auch weil er einige Positionen neu besetzt hat. Draghi kennt seinen Machiavelli, jenen italienischen Fürsten mit Tipps zum Machterhalt. Posten im Direktorium der EZB vergibt er nach dem Motto: Teile und herrsche. Er entschärft die Rivalität zwischen deutschen und französischen Aufsteigern, neutralisiert den deutschen Erbhof des "Chefvolkswirts" mit einem Belgier. Bundesbankpräsident Jens Weidmann wird in solche Entscheidungen schon mal einbezogen, um seine Meinung gefragt. Draghi weiß um das Gewicht der Deutschen. Er wirbt um sie, weiß, was er in Frankfurt sagen muss. Ähnlich wie der um seinen Posten kämpfende französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy diktierte er einer Zeitung: "Wir müssten alle dem deutschen Beispiel folgen." Aber befolgt Draghi seinen eigenen Rat?

Nach Ansicht vieler Beobachter hat sich der Charakter der EZB deutlich verändert. Sie macht Krisenpolitik, keine Geldpolitik. "Wenn sie sich davon auf Dauer nicht zurückziehen kann, ändern sich auch die Grundlagen der Geldpolitik in Europa", fürchtet Volkswirt Kater. "Die Zentralbank nimmt Druck von den Peripheriestaaten, sie hilft de facto bei der Staatsfinanzierung", ergänzt Kollege Krämer. Noch hat Draghi die Verteidiger einer streng deutschen Stabilitätslinie nicht überzeugt, mag er auch noch so viele Bulletins vorlesen.

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