Neuer EU-Kommissar Borg:Konservativ, katholisch, umstritten

Der Malteser Tonio Borg kümmert sich künftig in der EU um die Themen Gesundheit und Verbraucherschutz. Und selbst in seiner eigenen, rechtskonservativen Partei gilt Borg als reaktionärer "Monsignore": Oft äußerte er sich herablassend gegenüber Abtreibungsbefürwortern und Homosexuellen - bei den Sozialdemokraten machte er im Parlament dennoch Eindruck.

Javier Cáceres

Am Ende hielt die Geschichte um die Ernennung von Tonio Borg zum europäischen Gesundheits- und Verbraucherschutzkommissar noch eine feine, ironische Note parat. Denn quasi auf den letzten Drücker entdeckte eine kleine, gemeinnützige Organisation namens Corporate Europe Observatory in Borgs Vermögenserklärung noch ein kleines, pikant anmutendes Detail.

In der Erklärung über sein persönliches Vermögen hatte Borg nämlich angegeben, auch ein paar Euro in einen Aktienfonds namens La Valette Sterling Income gesteckt zu haben, der wiederum auch Anteilsscheine an British Imperial Tobacco und Swedish Match umfasste. Pikant war das nicht nur wegen des Ressorts, das Borg verantworten soll, also Verbraucherschutz und Gesundheit. Sondern vor allem deshalb, weil der bisherige Kommissar, Borgs Landsmann John Dalli, Mitte Oktober über eine skurrile Korruptionsaffäre gestolpert war, in deren Zentrum ausgerechnet Swedish Match stand. Da waren sie also wieder, all die Schlagworte, die Dallis Abschied und Borgs Nominierung beschworen hatten: Tabak, Lobby, Geld.

"Ich bin entzückt"

Zwar betonte Borg flugs, dass sein Aktiendepot und erst recht sein Anteil an Tabakkonzernen verschwindend gering seien. Neunzig Pfund, umgerechnet 112 Euro, habe er im vergangenen Jahr mit dem Fonds verdient. Am Dienstag aber hatte er den Fonds wieder verkauft. Vorsichtshalber. Und stellte so sicher, dass er 24 Stunden später, am Mittwoch, den ersehnten finalen Segen des Europaparlaments erhalten konnte. 386 Abgeordnete votierten für Borg, 281 gegen ihn, 28 enthielten sich. "Ich bin entzückt", zwitscherte der portugiesische Kommissionschef José Manuel Barroso nach dem Votum.

Der Wirbel um das Aktiendepot des gelernten Rechtsanwalts und Berufspolitikers Tonio Borg stand in keinem Verhältnis zu der Aufregung, die seine Nominierung hervorgerufen hatte. Aber die war auch so exorbitant, dass man sie kaum hätte übertreffen können. Seit Jahren hat es keinen derart umstrittenen Kommissionskandidaten gegeben wie Borg. Auch der frühere DDR-Regierungschef Lothar De Maizière, heute als Anwalt tätig, meldete sich empört zu Wort. So wollte De Maizière wissen, warum die maltesische Regierung, der Borg bisher als Außenminister angehört, es zuließ, dass ein mutmaßlicher Mörder und Folterer aus Kasachstan eine Aufenthaltserlaubnis erhielt. Für noch größere Kontroversen sorgten freilich die gesundheits- und sexualpolitischen Ansichten des früheren Jesuitenschülers Borg.

Denn: Borg gilt sogar in der eigenen, betont rechtskonservativen "Nationalistischen Partei" Maltas als reaktionärer "Monsignore". Oft und gern hat er die Gruppen abgegriffen, die der Doktrin der katholischen Kirche ein Dorn im Auge sind: Scheidungs- und Abtreibungsbefürworter, aber auch Homosexuelle, die sich durch herablassende Bemerkungen Borgs stigmatisiert fühlen. Unter anderem hatte Borg betont, dass die Einreise von Homosexuellen "nicht im nationalen Interesse" Maltas liege. Bei der Anhörung vor dem Europaparlament wurden Borg vergangene Woche diese Äußerungen auch vorgehalten; der Malteser ließ die Fragen ziemlich ungerührt an sich abprallen - und versprach, Gesetze und Werte der EU in Zukunft achten zu wollen.

"Borg bleibt der falsche Mann im falschen Amt"

Grüne, Linke und Liberale überzeugte er zwar nicht. Bei den Sozialdemokraten aber machte er zumindest teilweise Eindruck. Sie rangen bis zur letzten Minute mit sich, stimmten aber nur mehrheitlich gegen den kirchlich vermählten, dreifachen Familienvater aus Malta. Dank einiger Stimmen aus dem Sozialistenlager im Parlament bekam Borg nun den nötigen Rückenwind.

"Der falsche Mann im falschen Amt"

"Borg bleibt der falsche Mann im falschen Amt", sagte der FDP-Mann Holger Krahmer am Mittwoch und warf den Sozialdemokraten vor, die eigenen Prinzipien geopfert zu haben. Ähnlich äußerte sich die Grüne Franziska Brantner, sie nannte die absehbare Ernennung Borgs eine "Schande" und vermutete, dass die Sozialdemokraten den Konservativen eine neuerliche Schmach ersparen wollten, nachdem sie schon die Ernennung von Yves Mersch zum Direktoriumsmitglied der EZB verschleppt hatten. Die Europäische Volkspartei hingegen frohlockte. Man habe "die Intoleranz scheinheiliger Ideologen" besiegt, jubelten Herbert Reul (CDU) und Markus Ferber (CSU). Gleichzeitig unterstrichen sie, dass die fachliche Eignung Borgs außer Frage gestanden habe.

Auch in Kreisen, die Borg für das falsche Signal Europas halten, wird hinter vorgehaltener Hand konzediert, dass Borg sich in Fachfragen achtbar geschlagen habe. Borg hatte unter anderem angekündigt, "einen ehrgeizigen Gesetzesvorschlag zu Tabakprodukten" vorlegen und also die Richtlinie vorantreiben zu wollen, die sein Vorgänger Dalli bloß noch anschieben konnte. Dalli hatte gehen müssen, nachdem ihm Swedish Match vorgeworfen hatte, von einem angeblichen, millionenschweren Erpressungsversuch durch einen befreundeten Unternehmer gewusst zu haben. Dalli hat jedes Fehlverhalten stets bestritten. Und in den Raum gestellt, ein Opfer der Tabaklobby geworden zu sein. Sie habe ihn als Ideologen einer besonders strengen Tabakrichtlinie aus dem Weg räumen wollen.

Einer der Hauptkonflikte war dabei stets die Größe der Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln. Die Kommission will sie erheblich vergrößern, so weit wie Neuseeland, wo sich die Anhänger des sogenannten "Plain packaging", also der Einheitspackung, durchgesetzt haben, will man in Brüssel aber nicht gehen. Schon gar nicht unter Borg. Er hat keine verbindliche Position vorgetragen, aber erklärt, dass in seinen Augen die nationalen Regierungen gefragt seien. Nicht die EU. In jedem Fall wird die eigentlich für dieses Jahr avisierte, neue Tabakrichtlinie noch auf sich warten lassen. Sie soll nun Anfang 2012 vorgelegt werden.

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