Ein Klebezettel, herrlich, es gibt also auch in der Start-up-Metropole Berlin noch das analoge Haftnotizverfahren. Mitten in der digitalen Bürozukunft. Gelb, klein und quadratisch klebt der Post-it-Hinweis auf dem Kühlschrank in der Leipziger Straße 61: "Fresh Milk In The Big Fridge". Frische Milch in den großen Kühlschrank - warum auch nicht. Gut übrigens, dass man die Zukunft überhaupt noch so dinghaft begreifen kann.
Die Entdinglichung, Big Data, das ist die eine Kraft, die derzeit die Evolution der Arbeitsstätten vorantreibt. Das andere Phänomen hängt damit zusammen. Das sind die neuen, tausendfach herumgereichten, ikonisch und suggestiv wirksamen Büroräume und Arbeitsplatz-Habitate der Headquarter von Google über Apple und Facebook bis Microsoft. Es gibt kein deutsches Start-up-Wesen, das nicht auf genau diese Ästhetik, die von Wellnesszonen kaum zu unterscheiden ist, abfährt.
Beides zusammen ergibt in Deutschland und auch anderswo einen dramatischen Wandel in der Schlummerwelt der Büroarchitektur. Das Aufwachen ist jäh. Wenn man die stille Welt der analogen Einzel- oder Kleingruppenbüros gewohnt ist, die sich nun überall mit zunehmendem Tempo in utopische Open-Space-Landschaften verwandeln (dürfen? sollen? müssen?), ist es, als würde man unsanft von der Zukunft geweckt, die einen so anfährt: "Hallo, aufwachen!"
Oder ist das womöglich das Geheimnis des großen Kühlschranks und der gelben Haftnotizen, also das Geheimnis von Kinzo? Dass die Zukunft einen auch in den Büros der Architekten nicht gleich überwältigt als surreal futuristische Szenerie des Befremdens; dass sie einen eher an die Küche daheim erinnert. Kinzo wäre demnach das Berliner Architekturbüro, in dem man mit der Zukunft zwar bekannt gemacht, aber auch versöhnt wird. Auf wohltemperierte, lässige Weise.
Übrigens sollte man nicht vom "jungen Berliner Architekturbüro" sprechen, denn dann werden die jungen Berliner Architekten, 40 Damen und Herren aus aller Welt, fast so sauer wie die Milk, die nicht im Fridge ist. Falls das also noch nicht klar ist: Kinzo, das sind die, die uns die Arbeitswelt der Zukunft bauen.
Zuletzt haben die Architekten, die auch Innenarchitekten und Designer sowie im Prinzip Change-Manager sind, beispielsweise dem Netzbetreiber 50Hertz in Berlin zu 24 000 Quadratmetern Zukunft verholfen. Davor, 2015, war es die ehrwürdige "Erste", eine 200 Jahre alte österreichische Bank, die sich von Kinzo räumlich transformieren und somit ein bisschen gegen die Tradition bürsten ließ. Kinzo ist bekannt für wandelbare und eher nicht hierarchische Räume, worin sich nicht die Menschen den Räumen anpassen; sondern es sind die Räume und auch die mitunter maßgeschneiderten Möbel, die sich den Mitarbeitern anschmiegen.
Aus Gründen des eigenen Raumhungers infolge des Erfolgs zieht das gesamte Team rund um die Bürogründer Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton demnächst von der Leipziger Straße weiter in Richtung Checkpoint Charlie. Im Jahr 2005 hatte das Büro, das nicht nur aus drei Architekturstudenten, sondern auch aus einem illegalen Club hervorgegangen ist, exakt drei Mitarbeiter: die Gründer. Vor zwei Jahren waren es schon zwölf Leute - und jetzt sind es 40.
Das macht neugierig, weil man ohnehin schon länger wissen will, ob an diesen aktuell google-haften Bürovisionen voller Teeküchen-Ringelpiez und kommunikativen Was-weiß-denn-ich-Möbeln wirklich was dran ist. Muss oder sollte es ja wohl: Etliche Studien belegen den Zusammenhang von Produktivität und Raumqualität. Oder in den Worten Albert Schweitzers: "Erst bauen Menschen Häuser - dann bauen Häuser Menschen."
Dabei heißt Kinzo Kinzo, weil schon der allererste Auftrag, der Umbau eines Bootes, mit möglichst billigen Werkzeugen realisiert werden musste. Von der Firma Kinzo kennt man günstige Akku-Bohrschrauber oder Winkelschleifer. Der Club, den sich die drei Freunde zur gleichen Zeit aufbauten, "aus Spaß", wie Chris Middleton erzählt, während er neben einer Retro-E-Gitarre samt Verstärker sitzt, hieß dann einfach auch Kinzo; und heute heißt eben jenes Architekturbüro so, das gerade dabei ist, die Welt der Arbeit zu verändern. Sie wird wohnlicher. Und zugleich ein bisschen mehr wie ein staunenswerter Hybrid aus Club und Boot.
Das Architekturbüro wächst mit seinen Aufträgen. Vor Aufträgen kann man sich im Augenblick kaum retten. Denn die Welt der Bürojobs erfindet sich in einem immer hektischeren Tempo immer wieder neu - und deshalb müssen die Räume mitziehen. Manches spricht ja sehr für die Verlandschaftung der Arbeitswelt: Dynamik und Kommunikation etwa. Anderes spricht dagegen: Stabilität und Konzentration zum Beispiel. Kinzo sucht den Ausgleich der einander keineswegs ausschließenden Sphären, indem jeder Umbau ganzheitlich betrachtet wird - holistisch.
Dies in einem akzeptablen und transparenten Prozess zu tun, intelligenter statt lediglich neuer, organisierter statt lediglich effizienter und raumklüger statt lediglich funktionaler, kurz: auf eine architektonische statt auf eine nur modische Art, das eben ist die Kernkompetenz der Architekten.
"Wenn jemand sein Einzelbüro aufgeben muss, das ist schon eine maximale Demütigung."
Es ist also nicht so, dass man bei Kinzo vorne in die große Planungsprozessmaschine altmodische Einzelbüro-Agglomerationen hineingibt, um hinten supermoderne, offene und viel kommunikativere Bürolandschaften wieder herauszubekommen. So einfach ist das Büro-Tuning dann auch wieder nicht.
Karim El-Ishmawi sagt: "Wenn jemand sein Einzelbüro aufgeben muss, das eigene Territorium, um sich vielleicht mit einigen Leuten, die er oder sie gar nicht mag, fortan einen großen Tisch oder einfach einen großen Raum zu teilen... also, das ist schon eine maximale Demütigung. Da muss man sehr vorsichtig sein." Und genau deshalb, ergänzt Chris Middleton, "kommt es, erstens, vor allem auf das Vorbild der Chefs an, und zweitens auf die Kommunikation". Bei der Umwandlung von Zellen- in Open-Space-Büroraum (was manchmal, wenn es schiefgeht, nichts anderes ist als das gute alte Großraumbüro) werden Kinzo zufolge immer wieder die gleichen Fehler gemacht.
Beispielsweise werde die Transformation, der gewünschte oder auch nur angeordnete Wandel von kleinteiligen Zellenbüros hin zu offenen, möglicherweise sogar nonterritorialen Strukturen von oben nach unten durchgedrückt. Ohne ausreichende Teilhabe der Betroffenen. Und am Ende seien ganze Abteilungen aufgelöst im offenen Raum, während sich die Chefs behaglich in ihre großen Eckbüros mit den dicken Teppichböden zurückziehen, um den Oberchefs brav Vollzug zu melden. Der Vollzug besteht in diesem Fall darin, dass man nun für noch mehr Mitarbeiter noch weniger Raum braucht. Der Raum wurde also scheinbar "optimiert". Aber leider hat man alles nur verschlechtert - und in Zukunft die komplette Belegschaft gegen sich, die nun zu allerlei motiviert ist, aber nicht dazu, gemeinsam an der Verbesserung des jeweiligen Produkts zu arbeiten.
"Das heißt aber nicht", sagt Chris Middleton, "dass man Einzelbüros nicht optimieren könne - im Gegenteil. Nur kommt es darauf an, wie man es plant. Wie man es vorbereitet. Wie man es kommuniziert. Und wie man es umsetzt." Im schlimmsten Fall, so Karim El-Ishmawi, "macht man aus Einzelbüros einfach Viererbüros. Das heißt: Man reißt ein paar Wände raus und schiebt ein paar Schreibtische zusammen. Dann kauft man im Büromöbeldiscount noch ein paar Trennelemente - und das ist es dann." Genau: Das ist dann das Desaster, das zur Folge haben wird, dass die Produktivität einer solcherart umgestalteten Büroeinheit sofort in den Keller rauscht. So gestaltet man keine Zukunft, sondern produziert Vergangenheit.