EU-Entscheidung zu Zigarettenpackungen:Zwangsbeglücker mit erhobenem Zeigefinger

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Ein Mann mit Zigarette: Bald sollen auch in Europa Schockbilder Raucher abschrecken. (Foto: AFP)

Rauchen tötet und belastet das Gesundheitssystem, doch der Staat verdient gut an dem Desaster. Er kassiert die Tabaksteuer, will den Rauchern nun aber gleichzeitig mit Schockbildern zu Leibe rücken - ein Widerspruch in sich.

Ein Kommentar von Marc Beise

Das Europäische Parlament will mit Schockbildern und Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen den Rauchern den Genuss vermiesen. Am Dienstag stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für strengere Bestimmungen, wonach großflächige Bilder von Lungenkrebs, faulenden Zähnen und abgestorbenen Füßen potenzielle Raucher abschrecken sollen. Das Ganze ist ein Lehrbeispiel für die Irrungen und Wirrungen von Politik.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, um mit ihr anzufangen, ist über das Parlamentsvotum vom Dienstag unglücklich. Für Rebecca Harms "tanzt die konservativ-liberale Mehrheit nach der Pfeife der Tabaklobby"; das mag sogar stimmen. Erstens hat die angesprochene Tabaklobby mit beispiellosem Aufwand die Abgeordneten in ihrem Sinne bearbeitet und damit besonders bei wirtschaftsnahen Politikern wohl auch Wirkung erzielt.

Das kann man beschreiben - aber muss man es auch beklagen? Ist es nicht Aufgabe von Lobbyisten, für die Argumente ihrer Branche oder ihres Unternehmens zu werben? Diese Werbung darf professionell sein, ja sogar aggressiv, solange sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht bewegt.

Zweitens hat das Parlament nun, und sei es aufgrund der Einflüsterungen der Tabakindustrie, eine schwächere Reglementierung beschlossen als ursprünglich geplant. Nun sollen beispielsweise statt 75 Prozent nur 65 (!) Prozent der Packung mit Warnhinweisen bedeckt werden, klagt die Grüne Harms, ein Skandal.

Immerhin erkennt die Grüne großmütig an, dass ihre Kollegen "der Forderung der Tabakriesen widerstanden, die Warnungen an den unteren Schachtelrand zu schieben". (Die Warnung am oberen Rand ermöglicht ihre Sichtbarkeit auch in den Regalen der Händler.) Dann wäre ja eigentlich alles gut. Nein, schwant Frau Harms Schlimmes. Schlanke "Slim-Zigaretten", die vor allem junge Frauen ansprechen sollen, bleiben erlaubt. Auch der Zusatzstoff Menthol soll noch sage und schreibe acht Jahre (warum eigentlich genau: acht?) erhalten bleiben, obwohl er das Rauchen angenehmer und attraktiver macht, das darf nicht sein, klar.

Man bräuchte Zeit - und Vertrauen, das die Kontrollettis nicht haben

Halten wir fest: An den Grünen im Europäischen Parlament ist die Erkenntnis der deutschen Parteifreunde, wonach man mit erhobenem Zeigefinger und Rundum-Zwangsbeglückung nicht nur keine Wahlen gewinnt, sondern sich auch selbst hinterher schlecht fühlt, vorbeigegangen, bedauerlicherweise.

Immerhin finden angeblich 75 Prozent der Bevölkerung größere Warnhinweise auf Zigarettenpackungen gut. Wenn das stimmt, würden die Abgeordneten Volkes Stimme erhören, wie schön. Nur müsste man, wenn man das Volk abbilden will, viele neue Gesetze, darunter auch ziemlich unappetitliche, beschließen.

Wobei das Rauchen, besser: die Gefahren des Rauchens, ein ernstes Thema sind, unbestritten. Rauchen ist ungesund. Es tötet, heißt es, jährlich 700.000 Menschen in der Europäischen Union, und belastet das Gesundheitssystem mit Milliarden Euro zusätzlich. Es ist nur so, dass viele Formen der Lebenshaltung schädlich sind und kostspielig für die Gesellschaft. Dennoch lässt der Staat seine Bürger gewähren, und zwar zurecht. Denn es gehört zu einer freiheitlichen Gesellschaft, dass Menschen sich - in Maßen - selbst schädigen dürfen, und auch die Allgemeinheit. Wer das anders sieht, hat viel zu tun.

Beim Rauchen kommt hinzu, dass der Staat an dem Desaster gut verdient. Er kassiert die Raucher mit der Tabaksteuer ab, das Geld wird gerne genommen. Den Steuerzahlern dann gleichzeitig mittels gesetzlich vorgeschriebener Schockwerbung zu Leibe zu rücken, ist ein Widerspruch in sich - zumal diese Werbung nach allem Expertenrat wenig bringt. Wer wirklich rauchen will, lässt sich nicht abhalten, zeigen viele Studien. Eine nachhaltige Veränderung ist eine Frage der Veränderung des gesellschaftliches Klimas, dafür braucht man Zeit - und Vertrauen, das die Kontrollettis nicht haben.

Im Interesse der Ausgewogenheit soll an dieser Stelle auch auf die Dämlichkeit mancher Aussagen der Tabakindustrie hingewiesen werden. Die Gefahr der Vernichtung von Arbeitsplätzen? Geschenkt. Cooler ist das Argument, bei größerer Werbefläche sei das Aussehen der Packung größtenteils vorgegeben, die Marken könnten sich also weniger über das Image abgrenzen, sondern müssten mit Preissenkungen um Kunden werben: Das aber fördere das Rauchen und schade der Gesundheit. Ist vorgebracht worden, das Argument, allen Ernstes. Da ist man dann mit den Argumenten der Grünen Rebecca Harms schon fast versöhnt.

© SZ vom 09.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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