Süddeutsche Zeitung

Neue Strafzölle:Was die Eskalation im amerikanisch-chinesischen Handelsstreit bedeutet

US-Präsident Trump hat neue Einfuhrabgaben auf chinesische Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar verkündet. Wie ist die Stimmung in Peking? Und welche Folgen hat das für Deutschland? Fragen und Antworten.

Von Christoph Giesen, Peking, und Claus Hulverscheidt, New York

Kurz bevor er die nächste Stufe zündete, hatte sich Donald Trump am Morgen noch einmal seiner selbst versichert. Seine Handelsstrategie aus permanentem Druck und immer neuen Importzöllen, so ließ er im Kurzmitteilungsdienst Twitter wissen, sei voll aufgegangen: Die USA seien jetzt in einer viel besseren Verhandlungsposition als früher, der Staat kassiere Milliarden, neue Jobs entstünden - und das alles, ohne dass die US-Bürger es merkten, etwa über höhere Preise. Grandios.

Gut möglich, dass es die Ruhe vor dem Sturm war, die der Präsident da beschrieb, denn mit seiner Entscheidung von Montagabend, weitere chinesische Warenlieferungen im Wert von 200 Milliarden Dollar mit einer Einfuhrabgabe zu belegen, hat er den von ihm angezettelten globalen Handelskonflikt in eine völlig neue Dimension gehoben. Genau die Hälfte aller chinesischen Exporte in die USA ist nun mit Zöllen belegt, und man muss kein Nobelpreisträger sein, um zu ahnen, dass der Beschluss weitreichende Folgen haben wird: Globale Produktionswege könnten verschüttet, Jobs verlagert, Finanzströme umgelenkt und politische Konflikte angeheizt werden.

Was genau haben die USA verkündet?

Nach Angaben des Weißen Hauses werden die genannten chinesischen Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar mit einem Einfuhrzoll von zunächst zehn Prozent belegt. 2019 soll der Satz auf 25 Prozent steigen, wenn Peking weiterhin nicht zu weitreichenden Zugeständnissen in der Wirtschaftspolitik bereit ist. Und eine weitere Drohung steht in der Mitteilung: "Falls China Vergeltungsmaßnahmen gegen unsere Bauern oder andere Industrien ergreift, werden wir umgehend Phase drei verfolgen, welche Zölle auf ungefähr 267 Milliarden Dollar an zusätzlichen Importen beinhaltet", heißt es in Trumps Erklärung, die das Weiße Haus veröffentlicht hat.

Welche Zugeständnisse will Washington von Peking?

Dazu zählen aus US-Sicht eine massive Verringerung des chinesischen Exportüberschusses gegenüber den Vereinigten Staaten sowie der Verzicht auf Produktpiraterie, den Diebstahl geistigen Eigentums und die staatliche Subventionierung industrieller Schlüsselbereiche. Mit der Entscheidung sind nun Waren im Wert von gut 250 Milliarden Dollar mit unterschiedlich hohen Zollsätzen belegt. Insgesamt summierten sich die chinesischen Ausfuhren in die USA 2017 auf gut 506 Milliarden Dollar. Gleichzeitig führten die Chinesen aber nur amerikanische Waren im Wert von 130 Milliarden Dollar ein.

Wie reagieren die US-Unternehmen auf Trumps aggressive China-Politik?

Sie sind diejenigen, die die bisherigen Zölle weitgehend bezahlen mussten und jene "Milliarden und Abermilliarden" an die Staatskasse abführen, mit denen sich Trump immer brüstet. Das ist der Grund dafür, dass sich nahezu alle großen Wirtschaftsverbände im Vorfeld gegen eine weitere Eskalation des amerikanisch-chinesischen Handelsstreits ausgesprochen hatten - vergeblich, wie man jetzt sieht.

Was sagen die einfachen Amerikaner?

Bei vielen Bürgern ist das harte Vorgehen des Präsidenten gegen China durchaus populär, auch viele Gewerkschaften unterstützen den Kurs. Das liegt - wie Trump zu Recht bei Twitter schrieb - allerdings auch daran, dass die meisten Konsumenten von den bisherigen Zöllen nichts gespürt haben. Genau das könnte sich nun allerdings ändern, denn die neue Liste umfasst, anders als die vorherigen, nicht mehr nur Maschinen sowie Vor- und Zwischenprodukte, sondern auch Verbrauchsgüter. Dazu zählen etwa Computer, Möbel, Lampen, Bekleidung, Koffer, Staubsauger und Kochtöpfe. All diese Waren könnten teurer werden, weil Importeure wie Händler versuchen werden, ihre höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben.

Wie ist die Stimmung in China?

Beim traditionellen gemeinsamen Urlaub von Chinas Spitzenkadern im Badeort Beidaihe gab es diesen Sommer nur ein Thema: die Handelskrise. Wie man sie löst, darüber herrscht Uneinigkeit. Einig sind sich die Genossen indes in ihrer Lesart: Trump will Chinas wirtschaftlichen Aufstieg um jeden Preis beenden. Deshalb reichen ihm auch die Angebote Pekings nicht, das bilaterale Handelsdefizit zu senken. Sein eigentliches Angriffsziel sei das Programm "Made in China 2025", jene ehrgeizige, mit Hunderten Milliarden Dollar geförderte industriepolitische Agenda, die in Zukunftsbereichen von der Medizintechnik bis zum Autobau chinesische Weltmarktführer schaffen soll. "Made in China 2025" ist jedoch für die Chinesen nicht verhandelbar.

Warum steigt China nicht einfach aus der Sanktionsspirale aus?

Trumps erste Drohung, Zölle auf Aluminium und Stahl zu erheben, traf die Volksrepublik im März zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt. In Peking tagte der Nationale Volkskongress, Chinas Scheinparlament, das Präsident Xi Jinping mit 100 Prozent der Stimmen wiederwählte und die Amtszeitbegrenzung für das Staatsoberhaupt abschaffte. Im Moment der Stärke konnte und wollte Xi gegenüber Trump nicht einlenken und entschloss sich stattdessen, jeden neuen US-Zoll eins zu eins mit chinesischen Abgaben zu vergelten. Mittlerweile werden erste Stimmen laut, dass man im Frühjahr, als es noch um wenige Milliarden Dollar ging, besser ein paar Zugeständnisse gemacht hätte. Dafür ist es jetzt zu spät.

Was droht US-Unternehmen in China?

Trumps Zölle auf Waren im Wert von weiteren 200 Milliarden Dollar kann Peking diesmal schon rein mathematisch nicht mehr kontern - schließlich summieren sich die eigenen Importe aus den USA auf lediglich 130 Milliarden Dollar. China kann die Amerikaner aber an anderer Stelle treffen, bei deren Firmenniederlassungen in der Volksrepublik. Wie das geht, zeigt das Beispiel des südkoreanischen Mischkonzerns Lotte, der der Regierung in Seoul ein Areal zur Verfügung gestellt hatte, auf dem das amerikanische Raketenabwehrsystem THAAD stationiert werden soll. Die Konsequenz in China: Etliche Lotte-Supermärkte mussten auf Anordnung der Behörden schließen - wegen plötzlicher Feuerschutzkontrollen. Zudem randalierten überall im Land aufgebrachte Chinesen in Geschäften der Koreaner. Chinesische Touristen durften, angeblich aus Sicherheitsgründen, nicht mehr an Gruppenreisen teilnehmen, die die Tourismussparte von Lotte anbietet. Andernorts hätten unabhängige Gerichte dem Spuk ein Ende gesetzt. Genau diese aber gibt es in China nicht.

Was bedeutet der Handelskonflikt für Deutschland?

Um eine Allianz aus Amerikanern und Europäern - und damit eine Art Zweifrontenkrieg - zu verhindern, hat China eine regelrechte Charme-Offensive insbesondere gegenüber Deutschland gestartet. Wirtschaftlich und politisch sind so in den vergangenen Wochen Dinge möglich geworden, die zuvor in weiter Ferne schienen. BASF zum Beispiel darf in Südchina im Alleingang, also ohne einen staatlich verordneten Joint-Venture-Partner, Werke für zehn Milliarden Dollar errichten. Auch in der Autoindustrie hat sich einiges getan: Bis zum Frühjahr war es gang und gäbe in China, dass die großen Hersteller nur in Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischen Partnern in der Volksrepublik fertigen dürfen. Von 2022 an soll das Geschichte sein. Ebenso wurden die Importzölle für Autos aus dem Ausland gesenkt: 15 statt 25 Prozent. Einzige Ausnahme sind amerikanische Fahrzeuge: Seit Anfang Juli sind 40 Prozent auf Wagen aus US-Fertigung fällig.

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