Neue Meiler:Asien vorne

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Trotz Energiewende: Noch immer gehen weltweit mehr Reaktoren ans Netz als alte geschlossen werden. Vor allem in Asien gibt es Projekte.

Von Michael Bauchmüller

China ist ein Rätsel, selbst für Mycle Schneider. Seit 2007 gibt er jährlich den "World Nuclear Industry Status Report" heraus, eine detaillierte Übersicht über neue und alte Atomkraftwerke, über ewige Baustellen und neue Planungen. "Die große Frage ist: Was ist eigentlich mit China los?", sagt Schneider.

In den vergangenen Jahren stand China wie kein anderes Land für neue Atomkraftwerke. Von den vier Reaktoren, die 2017 ans Netz gingen, waren drei in China und einer in Pakistan - letzterer aber errichtet von Chinesen. Von den fünf Reaktoren, die in der ersten Jahreshälfte in Betrieb gingen, stehen drei in China. Und jetzt?

Würde man die Ära der Atomkraft als Gebirge zeichnen, dann wäre da ein langsamer Anstieg, gefolgt von einem steilen Gipfel. Hinter dem Gipfel aber führt eine Steilwand ins Tal. Danach kommen nur noch ein paar Hügelchen. Den letzten dieser Hügel, in den Jahren 2015 bis 2017, den errichteten Chinesen. "Seit 2016 gibt es keinen Baubeginn mehr für einen kommerziellen Reaktor", sagt Schneider. Bagger rollten nur noch für einen Versuchsbrüter an. "Was aber passiert, muss offen bleiben", sagt Schneider. Auch in China, nicht weit von Japan entfernt, war der Schock über Fukushima 2011 groß. Projekte wurden eingefroren - ob sie wieder aufgetaut werden, wisse derzeit niemand.

Allerdings sind immer noch Reaktoren in Bau, nicht nur in China, wo derzeit an 14 Reaktoren gebaut wird. Indien etwa arbeitet an sieben Akws, Russland an fünf, Südkorea und die Vereinigten Arabischen Emirate je vier. Insgesamt 49 Atomkraftwerke sind weltweit in Bau, auch in der Türkei, in Argentinien, in Bangladesch. Allerdings sieht auch das anders aus als zu Hochzeiten der Atomkraft. Ende der Siebzigerjahre waren weltweit 234 Reaktoren in Bau, danach fiel die Zahl kontinuierlich. In den Neunzigerjahren kam die Tschernobyl-Delle, nur noch wenige neue Anlagen kamen hinzu. Ein kurzer Anstieg 2010 riss mit dem Fukushima-Unglück ab. Und mehr als 30 der Reaktoren in Bau liegen hinter Zeitplan, darunter die beiden Projekte in Frankreich und Finnland.

So ist zwar eine Renaissance der Atomkraft nicht abzusehen, ihr Ende allerdings auch nicht. Seit 2012 gingen jedes Jahr mehr Reaktoren ans Netz als abgeschaltet wurden - und dies wiederum vor allem wegen der neuen Anlagen in China. Nach Zahlen des Status-Reports sind damit weltweit 413 Reaktoren in Betrieb, fast so viele wie 30 Jahre zuvor. In Europa dagegen sind die Zahlen eindeutiger. Mittlerweile gibt es hier 52 Akws weniger als zu den Höchstzeiten. "Diese Zeiten werden nicht wiederkehren", sagt Schneider. Zumal die Anlagen nicht jünger werden: Das globale Durchschnittsalter lag zuletzt bei knapp 30 Jahren.

Über die weitere Entwicklung wagt auch der Status-Report nur eine vorsichtige Prognose. Einerseits hält der Siegeszug erneuerbarer Energien an, beziehen mittlerweile neun der 31 Atomenergie-Staaten mehr Öko- als Atomstrom, die Wasserkraft noch nicht einmal eingerechnet. Längst übertreffen die Investitionen in Wind und Solar jene in Akws um ein Vielfaches. Andererseits, so Schneider, sei die Atomenergie zuletzt vermehrt mit nationalen Sicherheitsfragen verknüpft worden. "Das ist wirklich etwas ganz Neues." Rein wirtschaftlich, da ist er sich sicher, rechne sich das Nukleargeschäft allerdings schon lang nicht mehr.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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