Süddeutsche Zeitung

Neue Konzernstrategie:United Internet drängt ins Geschäft mit dem Strom

  • United Internet wagt sich in eine Branche, die durch die Energiewende und die Digitalisierung massiv verändert wird.
  • 1&1 Energy kauft mit Hilfe von Partnern an der Leipziger Strombörse ein - und vertreibt den Strom.

Von Varinia Bernau, Düsseldorf

Millionen Deutsche, die den E-Mail-Dienst Web.de nutzen, erhalten demnächst in ihrem Postfach ein Angebot für einen neuen Stromtarif: einen Zwei-Jahresvertrag für Ökostrom oder einen monatlich kündbaren Tarif, zu buchen übers Internet. Ähnliche Offerten landen in den nächsten Wochen auch in den Postfächern von Gmx.de. Der Konzern United Internet, der über seine Tochter 1&1 bereits Internetanschlüsse, aber unter den Marken web.de oder Gmx.de auch E-Mail- und Speicherdienste sowie Mobilfunktarife anbietet, hat sich eine neue Spielwiese gesucht: Er wird zum Stromanbieter.

Der Konzern aus Montabaur wagt sich damit in eine Branche, die durch die Energiewende und die Digitalisierung massiv verändert wird und nach neuen Wegen sucht, um endlich wieder mehr Geld zu verdienen. Bereits seit einigen Jahren herrscht hier eine Art Arbeitsteilung: Es gibt Spezialisten für die Erzeugung von Energie, Spezialisten fürs Netz - und solche für den Vertrieb; und diese Arbeitsteilung gibt es selbst unter dem Dach großer Energiekonzerne wie Eon und RWE: Weil es für sie immer schwerer wird, neue Ideen zu entwickeln und neue Investoren zu finden, spalten sie sich derzeit auf.

Neue Ansprüche der Kunden

1&1 Energy tritt ohne den Ballast aus der alten Energiewelt an: Das Unternehmen kauft mit der Hilfe von Partnern an der Leipziger Strombörse ein - und vertreibt den Strom. Den teuren Bau und Betrieb von Kraftwerken, die technisch anspruchsvolle Pflege der Netze, das überlässt 1&1 Energy anderen. Trivial ist das Ganze zwar nicht, aber es gibt durchaus einige Anbieter, die dieses Geschäft ganz gut beherrschen: Lichtblick hat weder eigene Kraftwerke noch ein eigenes Netz, versorgt aber 560 000 Privat- und Gewerbekunden mit Ökostrom. Auch die meisten Stadtwerke sind letztlich nur noch Stromverkäufer, sie betreiben keine eigenen oder nur sehr wenige Kraftwerke. Von ihnen beziehen die allermeisten Deutschen nach wie vor ihren Strom. Diese Kunden will der Angreifer nun für einen Wechsel zum web.de-Strom gewinnen.

Beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU), in dem viele Stadtwerke vertreten sind, gibt man sich dennoch gelassen. "Es reicht nicht aus, den Kunden allein Strom oder Gas zu verkaufen. Es geht um Dienstleistungen zu allen Kundenbelangen", sagt Geschäftsführerin Katherina Reiche. Dass da nun mit 1&1 Energy einer aus der Telekommunikationsbranche antrete, sei deshalb nicht überraschend. Umgekehrt haben sich viele kommunale Betriebe auch an den Ausbau von schnellen Internetleitungen gemacht.

Immer mehr Menschen wollen sich mit einer Solaranlage auf dem Dach selbst versorgen. Und sie haben nicht zuletzt im Internet gelernt, dass ein guter Dienstleister heute anders mit ihnen kommuniziert, als einen gelben Zettel zur jährlichen Ablese des Stromzählers an die Haustür zu pappen. Die Frage, ob Stadtwerke diesen neuen Ansprüchen von Kunden wirklich gewachsen sind, ist nicht leicht zu beantworten. Sowohl die finanzielle Situation als auch der in den Häusern herrschende Geist unterscheidet sich von Stadtwerk zu Stadtwerk. In Hannover können Kunden bereits per Bitcoin zahlen, die Stadtwerke in Düsseldorf verschicken, falls eine Rückerstattung ansteht, noch Verrechnungsschecks. Während in Ruhrgebietsstädten oft das Geld knapp ist, unterstützt das Stadtwerk in Ludwigshafen bereits Start-ups, um neue Ideen für neue Dienste zu bekommen.

Wann immer man Vertreter von Stadtwerken zuletzt fragte, ob ein Internetkonzern wie Google, der in anderen Ländern bereits mit seinem intelligenten Rauchmelder Nest in die Haushalte vordringt, ihnen das Geschäft streitig macht, wurde darauf verwiesen, wie viel Vertrauen die Stadtwerke in der Bevölkerung genießen. Und tatsächlich halten 80 Prozent der Deutschen ihren Stadtwerken die Treue. Es könnte aber auch schlichtweg an der Bequemlichkeit liegen.

"Viele haben die Haltung, dass Strom aus der Steckdose zu kommen hat, Nur wenige haben Lust, sich mit dem Wechsel des Anbieters zu beschäftigen", sagt Jan Oetjen, Geschäftsführer von web.de. VKU-Chefin Reiche verweist zwar darauf, dass Kunden in den eigenen vier Wänden ein Höchstmaß an Sicherheit verlangen. Aber zieht dieses Argument noch, wenn der Rivale kein übergriffiger Konzern aus dem fernen Silicon Valley ist? Sondern ein deutsches Unternehmen, das bei seinen Angeboten ausdrücklich darauf hinweist, dass die persönlichen Daten verschlüsselt übertragen werden - nach den hohen Anforderungen des hiesigen Datenschutzes?

Seit 1998 können die Deutschen ihren Stromversorger frei wählen. Zwar zählen zu den neuen Anbietern, die seit der Liberalisierung ihr Glück in diesem Geschäft versuchten, mit Flexstrom und Teldafax auch zwei Unternehmen, die spektakuläre Pleiten hingelegt haben. Kein anderes Unternehmen, das in Deutschland Insolvenz anmeldete, hinterließ so viele Gläubiger wie Teldafax im Jahr 2011 und Flexstrom drei Jahre später. Dennoch gebe es viele Unternehmen, die mit neuen Ansätzen die Möglichkeiten ausloten - und damit durchaus wie der ehrliche Kaufmann agieren, heißt es bei der Bundesnetzagentur, wo sich jeder neue Stromanbieter anmelden muss.

Unter den privaten Haushalten wechselt nicht einmal jeder zehnte im Jahr den Stromanbieter. Auch deshalb setzt der Neuling auf die 60 Millionen E-Mail-Postfächer, die sie nun für ihre Angebote nutzen können. Damit erreiche man rein rechnerisch jeden zweiten Haushalt, schwärmt Oetjen. Und das in einem Moment, in dem die Menschen ohnehin gerade online sind, vielleicht den Newsletter zum Winterschlussverkauf gesucht haben- und dann den Stromanbieter wechseln.

Das langfristige Ziel, das United Internet verfolgt, ist das Geschäft mit neuen Diensten rund um ein vernetztes Haus. Intelligente Stromzähler werden in Privathaushalten von 2020 an zur Pflicht. In ein paar Jahren, sagt Oetjen, könne man mit dieser Technologie womöglich den Stromverbrauch an das mit dem Wetter schwankende Angebot von Ökostrom anpassen. Batterien fürs Elektroauto könnten zum Puffer werden, ein Chip die Waschmaschine in Gang setzen, wenn die Sonne scheint. Das Geschäft mit solchen Diensten macht nach Ansicht von Oetjen derjenige, der den Kontakt zum Kunden hat. "Einen intelligenten Stromzähler kann nur einbauen, wer den Kunden mit Strom versorgt. Diesen Zugang wollen wir uns nun mit einem ersten Schritt sichern."

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SZ vom 22.09.2016/hgn
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