Neue EU-Abgaswerte:Wer spart, zahlt drauf

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Brüssel verlangt von den europäischen Herstellern, dass sie Autos bauen, die deutlich weniger Kraftstoff verbrauchen. (Foto: dpa)

Der Kompromiss zu EU-Abgaswerten ist endlich da - und alle sind sauer. Die Industrie fühlt sich gegängelt, Umweltschützer beklagen Schlupflöcher für die Autobauer. Vordergründig handelt der Streit um CO2-Grenzwerte von der Umwelt. Tatsächlich geht es um den globalen Wettbewerb.

Von Thomas Fromm

Als der Streit um die Abgase in Europa immer heißer wurde, begann die Diplomatie der öffentlichen Briefe. Eigentlich waren es private Briefe, die immer irgendwann auch zu öffentlichen Briefen wurden. Energiekommissar Günther Oettinger schrieb im Herbst 2012 einen an Volkswagen-Chef Martin Winterkorn. Tenor: Macht euch keine Sorgen um verbindliche CO2-Grenzen nach 2020. "Mit freundlichen Grüßen aus Brüssel nach Wolfsburg, Ihr Günther Oettinger."

Noch etwas intimer lasen sich die Zeilen, die der Präsident des Verbands der Autoindustrie, Matthias Wissmann, vor ein paar Wochen an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schickte. "Liebe Angela", begann Wissmann seinen Brief. Es könne nicht sein, dass "wir unser leistungsfähiges und starkes Premiumsegment, das fast 60 Prozent der Arbeitsplätze unserer Automobilhersteller in Deutschland ausmacht, über willkürlich gesetzte Grenzwerte buchstäblich kaputt regulieren lassen". Der frühere Bundesverkehrsminister wusste da genau, welchen Hebel er im Kanzleramt zu bedienen hatte: Höhere Grenzwerte für CO2-Abgase mögen zwar der Umwelt helfen - für den Wirtschaftsstandort Deutschland aber seien sie pures Gift.

Denn Brüssel verlangt von den europäischen Herstellern nichts anderes, als dass sie in Zukunft Autos bauen, die weit weniger Kraftstoff verbrauchen als heute. Davon profitiert nicht nur die Umwelt, davon würden auch die Kunden profitieren: Denn weniger Kohlendioxid heißt auch weniger Spritverbrauch für den Einzelnen, bis zu einigen hundert Euro im Jahr kann das ausmachen. Für die Konzerne, die auch weiterhin ihre großen Geländewagen und schnellen Sportwagen verkaufen wollen, bedeutet das allerdings, dass sie Millionen und Milliarden in umweltfreundlichere Motoren investieren müssen. Oder kleinere Autos bauen. Außerdem: Verstoßen sie gegen die Auflagen, drohen ihnen hohe Strafen. Das alles schlägt nicht nur auf den Gewinn. Es schlägt auch aufs Image.

Monatelang wurde nun debattiert, gestritten, gefeilscht, sogar Bittbriefe wurden verfasst. Jetzt liegt er auf dem Tisch, der Kompromiss von EU-Mitgliedsländern, Europaparlament und EU-Kommission, der an diesem Donnerstag auf dem Gipfel in Brüssel verabschiedet werden soll. Und, kurios: Alle sind sauer. Die Manager der Autokonzerne und die Funktionäre des VDA sowieso, aber auch Umweltorganisationen wie Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe. Dabei hatten sich die Teilnehmer am späten Montagabend nur auf das geeinigt, womit ohnehin alle gerechnet hatten: auf schärfere Durchschnitts-Grenzwerte für Kohlendioxid-Emissionen, die zwischen 2015 und 2020 von 130 Gramm auf 95 Gramm pro Kilometer sinken sollen.

Verärgerung wegen der Details

Dass nun trotzdem jeder empört ist, liegt an den Details. Zum Beispiel diesem: Für die Autoindustrie endet das große Abgas-Feilschen keineswegs in sieben Jahren. Für das Jahr 2025 sollen neue Sparziele ausgehandelt werden. Noch stehen die Ziele nicht fest, aber sie dürften es in sich haben. Im Gespräch war bis zuletzt, dass die Autobauer den CO2-Ausstoß in den Jahren nach 2020 weiter von 95 Gramm auf 68 bis 78 Gramm pro Kilometer senken sollen. Dies sei "politisches Wunschkonzert" und habe mit "technischer Analyse oder Machbarkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun", warnte BMW-Chef Norbert Reithofer vor ein paar Wochen bei der Hauptversammlung des Konzerns. Machbar ist alles, sagen die Umweltverbände. Vor allem dann, wenn erst der politische Druck da ist.

Umstritten ist auch die Frage, ob und wie viele Boni die Autoindustrie für besonders sparsame Autos, zum Beispiel emissionsfreie Elektrofahrzeuge, bekommen soll. Es ist ein kompliziertes Verfahren, für die Autofahrer kaum nachvollziehbar. Autos mit wenig Emissionen, so die Forderung der Konzerne, sollen bei der Berechnung des CO2-Ausstoßes für Neuwagen mehrmals auf die Gesamtbilanz angerechnet werden. Mit anderen Worten: Ein Elektroauto auf der Straße darf in der CO2-Bilanz mehrmals auftauchen, um die Abgase von großen Geländewagen - zumindest rechnerisch - auszugleichen. Man braucht wenig Phantasie, um zu erkennen, dass diese sogenannten "supercredits" maßgeschneidert sind für Konzerne wie BMW. Hersteller, die kleine Autos bauen, haben nur wenig von diesem Bonus-System.

Eine verräterische Geste

Umweltschützer halten deshalb auch nichts von Supercredits - reine Schlupflöcher, so der Vorwurf. Oder, wie es bei Greenpeace heißt: Eine Form der "Subventionierung deutscher Spritschlucker" und im Grunde nichts anderes als Verschmutzungsrechte. Denn je häufiger emissionsarme Autos angerechnet werden, desto mehr könne am oberen Ende der Autopalette herumgepestet werden. "Merkel und Co sehen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit noch immer fälschlicherweise als Widerspruch", sagt die Chefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Mit dem Bonus-System folge man "der Lobbyarbeit der Automobil-Hersteller". "Supercredits kommen Super-Bedeutung zu", sagte Bundeskanzlerin Merkel vor ein paar Wochen in Berlin. Viele rätselten da. War das wirklich ihr Satz? Oder stammte der wieder aus irgendeinem Brief?

Nun könnte man meinen: Was die Umweltschützer kritisieren, sollte die Industrie als Erfolg verbuchen. So ist es aber nicht. Emissionsarme Autos mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 50 Gramm dürfen Autohersteller von 2020 an doppelt anrechnen, danach nur noch mit dem Faktor 1,67, im Jahre 2022 dann per Faktor 1,33. Der Industrie ist das zu wenig - sie zeigt nach China und in die USA, wo die Konzerne bessergestellt seien als in Europa.

Eine verräterische Geste, die zeigt: Es geht bei all dem nur vordergründig um CO2-Grenzwerte und Supercredits. Es geht um den globalen Wettbewerb der Autokonzerne, um ihre Zukunft, ihre Profite. Dort Länder wie Italien und Frankreich mit Herstellern wie Fiat und Peugeot, die vor allem kleinere Autos bauen. Hier Deutschland, das Land der großen Limousinen-Schmieden. Und überall der industriepolitische Kampf hinter den Kulissen. "Wollen wir die Kunden wirklich auf ein kleines europäisches Einheitsauto heruntertrimmen?", fragte VDA-Cheflobbyist Wissmann neulich im SZ-Interview. Das war auch gegen die gerichtet, die kleinere Autos bauen.

© SZ vom 26.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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