Süddeutsche Zeitung

Neue Berechnung des BIP:Kiffen für die Konjunktur

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Erwirtschaftet ist nun einmal erwirtschaftet - und deshalb wird künftig auch die Wirtschaftsleistung von Drogendealern und Zigarettenschmugglern im Bruttoinlandsprodukt eingerechnet. Die EU will es so und für den Staat hat die neue Berechnungsmethode einen erfreulichen Nebeneffekt.

Von Claus Hulverscheidt und Thomas Öchsner, Berlin

Wer als Buchhalter der Volkswirtschaft die jährliche Wirtschaftsleistung vermisst, darf keine Berührungsängste haben. Zum Beispiel mit dem Thema Prostitution. Was Zuhälter oder Bordellbetriebe erwirtschaften, steckt schon seit mehr als einem Jahrzehnt im Bruttoinlandsprodukt (BIP). Und auch die Schwarzarbeit rechnen die Fachleute des Statistischen Bundesamts mit einem Aufschlag in die magische Zahl ein, die immer wieder das Land bewegt. Schließlich gibt es nach wie vor noch die oft allzu einfache politische Lösung: Wenn das BIP steigt, geht es allen besser.

Nächstes Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt, das den Wert aller innerhalb eines Jahres hergestellten Waren und Dienstleistungen misst, noch weiter zulegen. Nicht nur, weil die Konjunktur besser laufen soll und die Forschungsinstitute ein Wachstum von mehr als zwei Prozent voraussagen. Grund ist vielmehr auch, dass künftig Drogenhändler und Zigarettenschmuggler die Wirtschaftsleistung erhöhen. Die Europäische Union (EU), die die methodischen Vorgaben für die sogenannte volkswirtschaftliche Gesamtrechnung erstellt, will es so. Erwirtschaftet ist nun einmal erwirtschaftet.

2013 betrug das BIP in Deutschland 2 738 000 000 000 Euro, also 2,738 Billionen Euro. Laut EU hätten die Statistiker den Drogenhandel und den Tabakschmuggel schon lange berücksichtigen sollen. In der Praxis wird dessen Erfassung in allen 28 EU-Staaten aber erst von September 2014 an eingeführt.

Zugleich werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung neu verbucht: Bislang galten sie als Vorleistungen, die von der Wertschöpfung abzuziehen sind. Künftig gelten sie als Investition und steigern damit das BIP. Das gilt auch für Militärgüter: Kauft ein Land neue Panzer oder Raketen, wird dies nun als Investition gewertet - "ungeachtet ihres destruktiven Potenzials", wie das Statistische Amt der EU, Eurostat, feststellt.

Drei Prozent höher könnte das BIP nach den EU-Vorgaben ausfallen

Insgesamt könnte das Bruttoinlandsprodukt durch die Umsetzung der EU-Vorgaben um drei Prozent höher ausfallen, rechnet das Statistische Bundesamt vor. Der Großteil des Anstiegs dürfte dabei darauf zurückzuführen sein, dass Forschung und Entwicklung als eigenständige Wertschöpfung angesehen werden. Was auf den Drogenhandel und Tabakschmuggel entfällt, sagen die Statistiker vorerst nicht.

Das zu berechnen dürfte nicht ganz einfach sein: Bei der Schattenwirtschaft sind naturgemäß offizielle Zahlen nicht zu bekommen. So schätzen Fachleute, je nachdem, wie breit sie den Begriff fassen, den jährlichen Umsatz auf 140 bis 420 Milliarden Euro. Gemessen am BIP entspricht das einer Quote von bis zu 15 Prozent. Der größte Anteil entfällt dabei auf die Schwarzarbeit, die besonders auf dem Bau, im Handwerk und in Privathaushalten (Putzfrauen) grassiert. Allein 2013 wurden hier rund 95 000 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Aber auch der Schmuggel von Zigaretten, Rauschgift und gefälschten Markenprodukten ist ein Milliardengeschäft. So geht die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG davon aus, dass pro Jahr allein zehn Milliarden Zigaretten illegal in Deutschland verkauft werden. Gleiches gilt für den Drogenhandel: Insgesamt 22 Tonnen Rauschgift stellte der Zoll 2013 sicher, die Dunkelziffer ist jedoch immens.

Steigt das BIP, sinkt die Schuldenquote

So müssen sich die Statistiker auch bei der Erfassung der Prostitution auf Schätzungen stützen. Danach beläuft sich der jährliche Umsatz für entsprechende Dienste auf 14 Milliarden Euro. "Je Kontakt läge der Preis über alle sexuellen Dienstleistungen somit bei gut 30 Euro", heißt es in dem Schätzmodell der Wiesbadener Behörde. Zieht man die Vorleistungen, etwa für Mieten, Schutzgeld oder Kondome ab, kommen die Statistiker auf eine Bruttowertschöpfung von sieben Milliarden Euro.

Das BIP war seit der Zeit des Wirtschaftswunders lange Zeit als das Maß für den Wohlstand betrachtet worden. Dieser Ansatz ist zuletzt verstärkt auf Kritik gestoßen, weil dieser Gradmesser nichts darüber aussagt, unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen gewirtschaftet wird. Eine Enquete-Kommission des Bundestags hatte sich deshalb 2013 dafür ausgesprochen, eine Art Wohlstandskompass mit zehn Indikatoren zu veröffentlichen und zum Beispiel zu berichten, wie viel klimaschädliche Gase Deutschland ausstößt oder wie viele Menschen Arbeit haben.

In die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts fließen solche Eckwerte nicht ein. Die Statistiker können jedoch ausrechnen, wie die neuen Messmethoden sich auf die Berechnung der Staatsschulden auswirken. Die Umstellung hat nämlich einen optischen Nebeneffekt: Steigt dadurch das BIP, sinken die Schuldenquoten, die ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukts gesetzt werden. Manchmal hilft dem Staat also sogar der Drogenschmuggel.

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SZ vom 25.03.2014
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