Süddeutsche Zeitung

Neue Atomkraftwerke für Europa:Garantiert unrentabel

Trotz starker Kritik will die EU-Kommission zwei neue, und sehr teure, britische Atommeiler billigen. Es geht um Steuergeld in Höhe von 19 Milliarden Euro.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel, und Cathrin Kahlweit, Wien

Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia hat "den Beschluss der Kommission für die Hilfsmaßnahmen, die das Vereinigte Königreich plant, um das Kernkraftwerk Hinkley Point C zu unterstützen", akribisch vorbereiten lassen. Nach mehr als 500 technischen Paragrafen finden sich die zwei entscheidenden Sätze, mit denen er Bau und Betrieb von zwei faktisch völlig unrentablen Atomreaktoren ermöglichen will. "Die Hilfe für Hinkley Point C (...) ist vereinbar mit dem Binnenmarkt", ist in der Beschlussvorlage nachzulesen. Und: "Die Gewährung der Hilfe ist ordnungsgemäß autorisiert."

Sollte Almunia diese Sätze an diesem Mittwoch unterschreiben, darf London von 2016 an bis zu 19 Milliarden Euro Steuergeld in die Hand nehmen, um neue Atomkraftwerke bauen und betreiben zu lassen. Und das, obwohl entscheidende Fragen nicht abschließend geklärt sind: Wie und wo wird der nukleare Abfall entsorgt? Wie werden die Reaktoren versichert? Wer ist für den Rückbau zuständig?

Almunia will diese Fragen seinen Nachfolgern überlassen, seine Unterschrift unter den Beschluss soll eine seiner letzten Amtshandlungen als EU-Kommissar sein. Voraussetzung ist, dass eine Mehrheit seiner 27 Kommissarskollegen den Beschluss unterstützt. Das war am Dienstag keineswegs sicher.

Österreichs Regierung nennt die Pläne "inakzeptabel"

Ein "Schocker" sei der Beschluss, findet Andrea Carta, Chefjurist bei Greenpeace Europa. Almunia sei bereit, alle seine früher geäußerten Bedenken und die europäischen Wettbewerbsregeln zu vergessen, "um der britischen Regierung zu erlauben, mit Steuergeld ein Atomkraftwerk zu finanzieren". Claude Turmes, Energie-Experte der Grünen im Europaparlament forderte die nationalen Regierungen auf, "die Erpressung durch den britischen Premier Cameron notfalls vor Gericht zu stoppen".

Der österreichische Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) ließ am Dienstag wissen, es wäre "inakzeptabel", wenn die EU-Kommission am Mittwoch tatsächlich grünes Licht gebe für den Bau des teuersten und am höchsten geförderten Atomkraftwerks der Welt. Das würde der Renaissance einer "unrentablen, nicht nachhaltigen Technologie" Vorschub geleistet. Und außerdem sei die Sache schlicht "illegal". Österreich werde dagegen klagen.

Vor wenigen Tagen schon hatte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) in einem Brief an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärt: Sollte es dazu kommen, dass Brüssel enorme Subventionen der britischen Regierung für das geplante Atomkraftwerk Hinkley Point C in Südengland durchwinkt, dann werde damit ein "Präjudiz" geschaffen für "künftige Fördermöglichkeiten von Atomenergie". Und außerdem laufe eine solche Entscheidung dem Beihilferecht zuwider. Österreich behalte sich daher rechtliche Schritte vor, so Faymann.

Sein Umweltminister wird konkreter: Man wolle, wenn dieser Beschluss in der Kommission am Mittwoch durchgehe, vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Noch aber hoffe man, dass die Kommission, die ja nicht mehr lange im Amt sei, diese Entscheidung anstandshalber vertage.

Bisher steht Wien mit der Klage allein da. In Deutschland, wo über die von der Bundesregierung beschlossene Energiewende der Ausstieg aus der Atomkraft propagiert wird, ist wenig Protest zu hören, jedenfalls nicht an den verantwortlichen politischen Stellen. Man sehe, heißt es in Berlin, dass die Bundesregierung Recht habe, dass Atomkraft nicht rentabel sei. Weswegen London staatliche Beihilfe gewähren wolle. Im Übrigen sei der Energiemix Sache der Mitgliedstaaten. Und dass Regierungen gegen Beihilfebeschlüsse klagen, sei auch nicht vorgesehen, das sei Sache der Konkurrenz.

In Brüssel verwiesen EU-Diplomaten darauf, dass sich auch andere Länder staatliche Unterstützung bei der nationalen Energieerzeugung sicherten. Beispielsweise habe Deutschland durchgesetzt, dass es seine energieintensiven Betriebe von der Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien mehr oder weniger befreien lassen dürfe. Allein 2014 seien das um die fünf Milliarden Euro. Hochgerechnet auf 35 Jahre geplante Betriebszeit von Hinkley Point, wäre das deutlich mehr, als jetzt den Briten genehmigt wurde.

Die Genehmigung von Hinkley Point C könnte ein Präjudiz für Temelin schaffen

An anderer Stelle in der Kommission wird der Vergleich als absurd zurückgewiesen. Hinkley Point C sei keine grüne Energie, sondern der geplante dritte Block eines Atomkraftwerks, das die Briten von 2016 an bauen lassen wollen, und zwar von dem französischen Nuklearkonzern EdF (Electricité de France), in einem Konsortium mit chinesischen Unternehmen. Für EdF lohnt sich das Geschäft. Die Baukosten betragen 19 Milliarden Euro. London garantiert dem Konzern über 35 Jahre einen Abnahmepreis von 92,5 Pfund pro produzierter Megawattstunde zuzüglich Inflationsausgleich, das ist zweimal so hoch wie der gegenwärtige Marktpreis. Sollten die Kosten explodieren, wird London nachlegen. Kann EdF die Verpflichtungen nicht einhalten, wird der britische Staat einspringen. Sonst, so das Argument, lasse sich eine solche Anlage nicht rentabel betreiben.

Aus Wiener Sicht trifft die EU-Kommission mit Hinkley Point C eine Grundsatzentscheidung. Diese könnte, so Rupprechter, den Weg bereiten für das nächste Riesenprojekt: Temelin in der Tschechischen Republik, kurz hinter der österreichischen Grenze. Der tschechische Konzern CEZ will für den Bau der Blöcke 3 und 4 einen Strom-Abnahmepreis von 110 Euro pro Megawattstunde garantieren, und das auf 25 Jahre. Und so hoffen jetzt viele in Kontinentaleuropa, dass Cameron doch kein Geschenk aus Brüssel bekommt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2162792
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.10.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.