RWE-Tochter:Dieser Börsengang könnte der größte seit 16 Jahren werden

RWE-Windpark

Ein Windpark von RWE vor der Küste Großbritanniens.

(Foto: dpa)
  • Am Freitag bringt der Energieversorger RWE seine Tochter Innogy an die Börse. Die Nachfrage nach den Papieren dürfte groß sein.
  • Der Konzern siedelt bei Innogy sein zukunfsfähiges Geschäft mit Netzen und Erneuerbaren an.

Von Varinia Bernau und Angelika Slavik, Bremerhaven/Essen

Von jedem Manager, der etwas auf sich hält, muss es diese Fotos geben: Der Macher verlässt den Chef-Schreibtisch und begibt sich ins Feld. Das Feld ist, bevorzugt, eine Fertigungshalle oder eine Baustelle, jedenfalls ein Ort potenzieller Gefahr. Deshalb trägt der Macher die unschlagbare Kombination aus Maß-Jackett, dunkelblau, und Schutzhelm, in Signalfarbe. Deutlicher kann man nicht demonstrieren, dass man jeder Herausforderung gewachsen ist.

Für Hans Bünting, 51, ist es nun in Bremerhaven so weit. Bünting, sein Jackett und sein Helm stehen in einer Fertigungshalle in Bremerhaven vor einem riesigen Stück Metall. Das Stück Metall wird irgendwann mal ein Rotorblatt an einer Windkraftanlage. Bünting wirft sich in Pose.

Sein Auftritt ist Teil einer großen Show, die seinem Arbeitgeber RWE am Freitag den Start in eine neue Ära ermöglichen soll. Bünting, seit mehr als zwanzig Jahren beim Energiekonzern RWE, verantwortet seit vier Jahren das Geschäft mit erneuerbaren Energien. Lange war diese Sparte so etwas wie das ungeliebte Kind im Konzern. Seit Anfang dieses Jahres aber, seit sich Konzernchef Peter Terium an die Aufspaltung des Unternehmens gemacht hat, sind die erneuerbaren Energien die große Hoffnung. Vielleicht auch die einzige. Das Geschäft mit den Erneuerbaren heißt nun Innogy. Am Freitag sollen die Innogy-Papiere zum ersten Mal an der Börse gehandelt werden. Es ist ein großes Projekt. Und ein mutiges.

Gerade einmal fünf Prozent des Stroms, den Deutschlands zweitgrößter Energieversorger RWE im vergangenen Jahr lieferte, waren Ökostrom. Es ist noch nicht lange her, da wurden in diesem Bereich die Investitionen gekürzt. Jetzt ist alles anders. Wofür Innogy stehen soll, ist auf großen Plakaten und in gefühligen Fernsehspots zu sehen: "Was würden wir tun, wenn wir noch mal neu anfangen könnten?", heißt es da. Die Antwort gibt es gleich dazu: "Wir würden weniger Anzüge tragen und mehr Verantwortung. Nicht so viel reden, mehr zuhören." Und weil das noch nicht genug ist: "Wir würden unseren Kindern das größte Geschenk machen: eine bessere Welt."

In der alten Welt haben ein paar wenige große Konzerne mit ihren zentralen Kraftwerken die Kunden versorgt. Es war Strom aus Atomkraft oder aus Braunkohle. Inzwischen erzeugen viele Kunden ihren eigenen Strom. Und selbst unter denjenigen, die das nicht selbst erledigen, wünschen sich viele eine möglichst umweltfreundliche Energieversorgung. Die konventionellen Kraftwerke werfen immer weniger ab. Auf RWE lasten Schulden in Höhe von 28 Milliarden Euro, etwa Rückstellungen für den Abriss von Atommeilern, die Renaturierung der Braunkohlegebiete oder Pensionsverpflichtungen. Mit dem Börsengang von Innogy, das gleichwohl eine RWE-Tochter bleibt, will sich Konzernchef Terium frisches Geld verschaffen. Aber es geht auch darum, sich neu auszurichten.

Denn in der neuen Energiewelt laufen die Geschäfte anders. Windkraftanlagen auf dem offenen Meer zu bauen, ist noch immer eine äußerst riskante Angelegenheit. Deshalb werden die meisten Projekte gemeinsam gestemmt. An dem Windpark, 40 Kilometer vor der Nordseeinsel Juist, für den vom Hersteller Senvion in Bremerhaven gerade die Turbinen gefertigt werden, die der Manager Bünting so öffentlichkeitswirksam inspiziert, hält Innogy nur 15 Prozent. An fünf weiteren auf dem Meer ist das Unternehmen derzeit beteiligt. Bünting trägt im Werk nun auch eine Warnweste. Darauf steht: Move forward!

Selbst langjährige RWE-Kritiker äußern sich anerkennend

Bei der Flucht nach vorne hat Innogy nicht nur den Wind für sich entdeckt, auch die Sonne. Und dies ebenfalls über Partnerschaften. Die Vermarktung von Solaranlagen liegt bislang in den Händen des Bielefelder Start-ups Greenergetic. Das bietet ein Onlineportal, auf dem sich mit wenigen Klicks ermitteln lässt, ob das eigene Dach für eine Solaranlage geeignet ist und wie viel sich damit im Vergleich zur klassischen Stromversorgung sparen lässt. Greenergetic wählt die passende Anlage aus, kümmert sich um Finanzierung, Bau und Installation. Innogy hält etwa 20 Prozent an der jungen Firma.

Vor allem im Nahen Osten, in Nordafrika und der Türkei will die Firma ihre Kapazitäten zur Stromerzeugung aus Sonnenenergie ausbauen - und hat sich dazu Ende August für einen zweistelligen Millionenbetrag den Solar- und Speicherspezialisten Belectric Solar & Battery gekauft. Das Unternehmen kennt sich vor allem mit großen Solaranlagen auf freien Flächen aus. Und dann ist da noch Heliatek. Das Dresdner Start-up entwickelt Solarfolie, die eines Tages vielleicht sogar auf Autodächern den Strom für den Elektroantrieb erzeugen könnte. RWE gehörte zu den ersten Investoren, die Heliatek mit Risikokapital ausgestattet haben.

Ein Anreiz in unruhigen Zeiten

Selbst langjährige RWE-Kritiker äußern sich anerkennend. Auch wenn der Gesamtkonzern "ein Dinosaurier" bleibe, sei es doch erfreulich, dass RWE erkannt habe, wo die Zukunft der Energieversorgung liege, findet etwa Greenpeace. Man könnte also sagen, dass sich Terium endlich in dem Maße zu den erneuerbaren Energien bekennt, das es braucht, um das Geschäft richtig groß zu machen. Man könnte aber auch sagen: Bislang geht es hier vor allem um große Hoffnungen.

Denn die Gewinne aus dem Ökostromgeschäft sind bisher überschaubar: 376 Millionen Euro waren es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres, gerade einmal 15 Prozent des Gewinns vor Steuern und Abschreibungen. Den weitaus größeren Teil, nämlich fast 60 Prozent, steuern die Netze zum Gewinn bei - das ist es, was den eigentlichen Wert von Innogy ausmacht und Investoren lockt. Denn dieses Geschäft wird von der Bundesnetzagentur reguliert.

Die Gewinne sind zwar gedeckelt, aber auch auf viele Jahre gesichert. Das Risiko für Investoren ist also überschaubar. Das ist Anreiz in unruhigen Zeiten, deswegen ist die Innogy-Aktie stark nachgefragt. Gerade große Fonds, die in Zeiten von niedrigen Zinsen kaum noch anderswo ihr Geld anlegen können, greifen zu. Finanzinvestor Blackrock hat schon zugesagt, Aktien im Wert von 940 Millionen Euro zu kaufen. Die Nachfrage nach dem Papier ist so groß, dass Innogy fünf Milliarden Euro einsammeln könnte. Das wäre die größte Emission seit 2000, als die Deutsche Post und der Chipkonzern Infineon gelistet wurden. Ob Innogy die Welt besser macht, zumindest die Welt der Aktionäre? Bünting sagt, er sei "sehr optimistisch". Wer könnte einem Mann mit Helm widersprechen?

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