Die Hoffnungen waren groß: Als das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 eine transparentere Berechnung der Hartz-IV-Sätze anordnete, versprachen sich viele Bedürftige eine deutliche Erhöhung der staatlichen Hilfszahlungen.
Doch diese Träume werden sich wohl nicht erfüllen. Langzeitarbeitslose werden künftig wohl nur wenig mehr Geld vom Staat bekommen. Die Regierung strebt offenbar nur eine "moderate Erhöhung" des Hartz-IV-Satzes von derzeit 359 Euro an - die Rede ist von weniger als 20 Euro, wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr.
Demnach kamen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder trotz der drohenden Protestwelle bei einem Treffen am Donnerstagabend überein, sich "auf das verfassungsrechtlich Gebotene" zu beschränken.
Warenkorb soll neu gepackt werden
Zwar nannte Merkel nach Angaben von Teilnehmern keinerlei konkrete Zahlen. In der Union ging man jedoch im Anschluss an das Gespräch davon aus, dass am Ende "eine Erhöhung um vielleicht zehn bis zwölf, jedenfalls deutlich unter 20 Euro" stehen dürfte.
Um dies zu erreichen, könnte der Regelsatz im Zuge der Neuberechnung zunächst um etwa 25 bis 30 Euro angehoben werden. Zugleich würde aber der Warenkorb neu gepackt, auf dem diese Berechnung fußt: Er enthielte künftig keinen Tabak und womöglich auch keinen Alkohol mehr, für die Hartz-IV-Empfänger bislang rein rechnerisch 11,52 beziehungsweise 7,50 Euro im Monat ausgeben können.
Zur Begründung hieß es in der Koalition, der Staat sei nicht verpflichtet, hilfebedürftigen Menschen ihre Sucht- und Genussmittel zu bezahlen. Von der Erhöhung des Regelsatzes blieben somit weit weniger als 20 Euro übrig.
Regierungssprecher Steffen Seibert wollte die Zahlen am Freitag nicht bestätigen, räumte aber ein, dass die Regierung einen "geringen politischen Spielraum" bei der Zusammensetzung des Warenkorbs habe. Inwieweit sie diesen nutzen werde, entscheide sich am Sonntag. Zudem bestätigte Seibert, dass Merkel die Hartz-Sätze am Donnerstagabend mit den Unions-Ministerpräsidenten besprochen hatte: "Das Thema kam vor." Auf die Informationen, dass der Hartz-IV-Satz nur geringfügig angehoben werden soll, reagierte Seibert mit dem Hinweis, es sei "nicht sinnvoll, Einzelnes, was der eine oder andere erfahren haben will", zu erörtern.
Vorsorge im Haushalt dürfte keinesfalls reichen
In den Koalitionskreisen wurde darauf verwiesen, dass schon eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um monatlich zehn Euro jährliche Kosten von etwa 800 Millionen Euro nach sich ziehe. Nach Angaben von Experten ergäben sich bei einer deutlichen Aufstockung etwa um 30 oder gar 60 Euro zudem Konsequenzen für die Sozialhilfe, die Einkommensteuer und womöglich das Kindergeld, die den Staat mit einem weiteren Milliardenbetrag belasten würden.
Bislang ist im Haushaltsentwurf 2011 jedoch eine Vorsorge von lediglich 480 Millionen Euro für die Hartz-IV-Reform getroffen, die keinesfalls reichen dürfte. Nach Auffassung der Haushaltspolitiker von Union und FDP muss Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) sämtliche Mehrkosten durch Einsparungen innerhalb ihres eigenen Etats gegenfinanzieren. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, wies darauf hin, dass von der Leyens Etat immerhin 131,8 Milliarden Euro betrage.
Die FDP fordert darüber hinaus, dass im Rahmen der Reform auch neue Regeln für die Hinzuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern festgelegt werden. Die CSU wiederum erklärte, sie lehne von der Leyens Vorhaben ab, die Hartz-IV-Sätze künftig an die Entwicklung der Löhne und der Preise in Deutschland zu koppeln.
Offiziell verkündet werden die neuen Sätze Anfang der kommenden Woche. Zuvor berät am Sonntag eine Koalitionsrunde.
Sozialverbände werben für kräftigen Zuschlag
Sozialverbände werben für einen kräftigen Zuschlag auf 420 Euro, die SPD für 400 Euro monatlich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Sozialverbände AWO und VdK sowie die Opposition warnten die Regierung vor einer zu geringen Erhöhung.
Der Linke-Vorsitzende Klaus Ernst erklärte: "Wenn der Regelsatz bei rund 370 Euro liegen soll, dann wird das Prinzip Armut per Gesetz fortgeschrieben." Er sprach von einem Skandal. Über einen Betrag von 370 Euro hatte die Bild-Zeitung spekuliert.
Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte ein "unerträgliches Gemauschel" von Schwarz-Gelb. "Wir werden am Sonntag genau hinsehen, ob das Existenzminimum nach zuverlässigen, objektiven Kriterien ermittelt wurde", erklärte er.
Die Deutsche Bischofskonferenz kritisierte vorgesehene Sparmaßnahmen bei Hartz-IV-Empfängern, darunter die Streichung des Elterngelds.
Ein Sprecher des Ministeriums für Arbeit und Soziales sagte, die letzten Zahlen für die Neuberechnung seien am Donnerstag eingetroffen. "Die Berechnungen werden jetzt fertiggestellt", sagte er.