Plan W:Weiblich, muslimisch - und integriert

Tijen Onaran

"Man kann Leistung durch ein gutes Netzwerk multiplizieren und sichtbarer machen", sagt Tijen Onaran.

(Foto: Urban Zintel)

Tijen Onaran galt als aufstrebendes Talent der FDP. Ein Leben als Politikerin wollte sie dann aber doch nicht führen. Jetzt hilft sie anderen Frauen.

Von Sophie Burfeind

Es wird Plakate von dir geben, hatten sie gesagt, und ab und zu musst du auf eine Veranstaltung. Tijen Onaran saß dann jeden zweiten Abend auf einem Podium in einer anderen Stadthalle. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kopftuch, ja, oder nein? Fühlen Sie sich zwischen den Kulturen zerrissen, Frau Onaran? Und Ihre Mutter trägt wirklich kein Kopftuch? Jeden Abend ein Saal voller Leute, jeden Abend die gleichen Fragen.

Tijen Onaran war damals 20, hatte ein katholisches Mädchengymnasium besucht und mit ihren Eltern nach der Tagesschau politische Talkrunden veranstaltet. Sie als Anne Will, ihre Eltern als Politiker. Ja, sie war türkisch, aber ihre Mutter ging zum Beten in die Kirche, Gotteshaus bleibt Gotteshaus, sie konnte türkischen Jungs auf Türkisch antworten, mehr nicht. Ihre Herkunft spielte keine Rolle. Dann trat sie der FDP bei und wurde 2006 Kandidatin im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg: Auf einmal hatte sie Migrationshintergrund.

Sie lernte, wie es ist, in Denk-Schubladen gesteckt zu werden: weiblich, ausländisch (aber erfolgreich integriert), muslimisch - und gleichzeitig nicht hineinzupassen. FDP? Wählen Gastarbeiterkinder nicht SPD? Sie lernte, dass Politik ein Spiel ist, in dem Gewinner plötzlich zu Verlierern werden, ein Spiel, in dem man sich an die Regeln halten sollte, in dem man Verbündete braucht. Aus Tijen Onaran wurde zwar keine Politikerin, aber dafür eine Netzwerkerin. Denn Koalitionen bilden, das lernt man nirgendwo so gut wie in der Politik.

Ich helfe dir, du hilfst mir - so funktioniert ihr Netzwerk

Es ist das Ende eines schönen Sonnentages in Berlin, Onaran, 32, steht auf goldenen Pumps in einem hellen Büroraum mit Café und begrüßt die Frauen, die an den Tischen sitzen. Jeden Monat findet ein Afterwork-Treffen des Vereins "Women in Digital" statt, jedes Mal in einer anderen Stadt, bei anderen Unternehmen. Es kommen vor allem Frauen aus der Digitalwirtschaft - Tech-Firmen, E-Commerce, Frauen, die digitale Projekte betreuen. Heute sprechen sie darüber, wie es ist, ein Unternehmen zu führen, und wie flexible Arbeitszeitmodelle funktionieren, bei größeren Konferenzen geht es um Themen wie Digitalisierung oder künstliche Intelligenz. Onaran hat den Verein 2016 gegründet, inzwischen erreicht er schon mehr als 20 000 Frauen.

Natürlich ist "Widi", wie Onaran ihre Initiative nennt, nicht das einzige Frauennetzwerk in Deutschland. Seit den Neunzigerjahren sind viele Netzwerke entstanden, in denen sich Frauen austauschen und gegenseitig unterstützen, viele sind für Führungskräfte gedacht und auf Frauenthemen ausgerichtet. Ihr Verein, sagt Onaran, richte sich an alle Frauen und befasse sich mit Zukunftsthemen. Fördermitglieder wie Microsoft, Siemens, die Deutsche Bahn oder Bertelsmann ermöglichten interessante Kooperationen. "Die Unternehmen schicken auch Leute zu uns, weil das ein spannender Talentpool für sie ist."

Ich helfe dir, du hilfst mir. Nicht nur das soziale Miteinander funktioniert nach diesem Prinzip, auch in der Berufswelt ist es kein Geheimnis mehr, dass ein gutes Netzwerk gut für die Karriere ist. Es gibt daher berufliche Netzwerke und in größeren Städten fast täglich Networking-Events. Das beste Image hat das Netzwerken trotzdem nicht: Geben und Nehmen ist ja auch das Prinzip von Korruption.

Man kann dieses Prinzip kritisieren, weil es Dinge intransparent macht und womöglich nicht der Beste die Stelle bekommt, sondern der mit den besten Kontakten. Man kann es aber auch so sehen wie Tijen Onaran: "Für mich gehören Leistung und Netzwerken zusammen. Man kann Leistung durch ein gutes Netzwerk multiplizieren und sichtbarer machen."

Überall dabei sein, nicht aufgeben - darin war sie schon immer gut

Vor zwölf Jahren machte sie Werbung für politische Positionen, jetzt macht sie Werbung für Netzwerke. Deren Image ist in etwa so gut wie damals das der FDP. Onaran ist eine talentierte Imageberaterin.

Nachmittags, ein paar Stunden zuvor. Tijen Onaran sitzt in einem Café am Gendarmenmarkt, wo sie das erste Treffen von "Woman in Digital" organisiert hat. Sie saß lange alleine da, dachte, dass niemand mehr kommt, aber dann kamen sie alle auf einmal. Überall dabei sein, warten, nicht aufgeben, darin war sie schon immer gut. In der Schule, in der Politik. Bei der Wahl in Baden-Württemberg schaffte sie es nicht in den Landtag, aber sie lernte Silvana Koch-Mehrin kennen, damals Europaabgeordnete und Vertraute des damaligen FDP-Chefs Guido Westerwelle.

Sie wurde ihre Wahlkampfassistentin und Referentin, vertrat sie auf Veranstaltungen, fuhr sie durch die Republik, dachte an Termine und Strumpfhosen. "Damals geriet Silvana zunehmend unter Beschuss", sagt Onaran, sie lernte, wie Gewinner zu Verlierern werden. Silvana Koch-Mehrin wurde kritisiert, weil sie bei Ausschusssitzungen im EU-Parlament nur selten anwesend war, 2011 trat sie wegen Plagiatsvorwürfen zurück.

"Krise kann ich", sagt Onaran

Über Silvana Koch-Mehrin lernte sie Guido Westerwelle kennen, über Guido Westerwelle Leute, die Leute im Bundespräsidialamt kannten. Sie wollte dort arbeiten, weil sie gerade ihre Masterarbeit darüber schrieb, wie Bundespräsidenten mit dem Thema Integration umgingen. Sie bekam einen Job im Bundespräsidialamt, kurz darauf stürzte Christian Wulff. "Krise kann ich", sagt Onaran.

Sie hatte genug davon, für andere zu arbeiten, ein politisches Mandat anstreben wollte sie auch nicht, der Preis war ihr zu hoch. Sie wollte reisen und wurde gefragt, ob sie Pressesprecherin einer privaten Hochschule werden wolle, sie sagte Ja. Es folgten Jobs in der Autoindustrie, im Online-Handel, es war immer jemand da, der ihr etwas anbot. Tijen Onaran kennt viele Leute und viele Leuten kennen sie. "Dass Netzwerken sich manchmal erst nach Jahren auszahlt, vergessen viele", sagt sie. Was ihr weitergeholfen hat, will sie jetzt anderen ermöglichen.

Als sie vor einem Jahr den Verein gegründet hat, hat sie sich auch selbständig gemacht, als PR-Beraterin für Unternehmen. Sie habe lange überlegt, lange Angst gehabt, dass es nicht klappt, sie keine Kunden haben würde. "Aber dann dachte ich mir: Was soll denn passieren? Selbst wenn alle Stricke reißen, dann klopfe ich halt in meinem Netzwerk an."

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