Mobile World Congress:EU will Netflix und Amazon zur Kasse bitten

Mobile World Congress: Auf einer Mission: EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will die Datenschleudern des Netzes zur Kasse bitten - zugunsten der Telekommunikationsfirmen, die die Netze ausbauen.

Auf einer Mission: EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton will die Datenschleudern des Netzes zur Kasse bitten - zugunsten der Telekommunikationsfirmen, die die Netze ausbauen.

(Foto: Valeria Mongelli/Imago/Zuma Wire)

Fünf Firmen sind für 55 Prozent des Datenverkehrs verantwortlich. Zeit, dafür auch zu bezahlen, findet EU-Kommissar Thierry Breton. Doch sein Vorschlag stößt auf Widerstand.

Von Helmut Martin-Jung, Barcelona

Die Zahlen sind gewaltig: Mehr als fünf Milliarden Menschen können mittlerweile mobil miteinander kommunizieren, das sind 70 Prozent der Weltbevölkerung. Eine Milliarde Anschlüsse sind sogar in der jüngsten Mobilfunktechnologie 5G geschaltet - dabei ging alles erst vor 35 Jahren überhaupt los. Ständig wächst die Zahl der Kundinnen und Kunden, vor allem aber die der Daten, die dabei übertragen werden. Verglichen mit dem Datenaustausch von vor zehn Jahren sind es heute schon 27 Mal so viele - und das wird allmählich zum Problem für die Mobilfunkanbieter. Denn das Wachstum soll so weitergehen. Und das bedeutet für sie, dass sie Milliarden in den Ausbau der Netze investieren müssen, zugleich aber wegen des Konkurrenzdrucks die Preise eher senken sollten.

Unterstützung von ungewöhnlicher Seite

Klagen darüber sind nichts Neues. Jeder Industriezweig strebt nach den besten Bedingungen. Nun aber bekommt die Mobilfunkbranche Unterstützung von ungewöhnlicher Seite. Kein geringerer als EU-Binnenmarkkommissar Thierry Breton findet, die Unternehmen der Branche sollten nicht alleine schultern, was schließlich ganz Europa zugutekomme - gut ausgebaute Kommunikationsnetze. In einer Rede beim größten Treffen der Branche, dem Mobile World Congress in Barcelona (MWC), forderte er, auch Firmen, die mit der Nutzung der Netze gutes Geld verdienen, sollen sich an den Ausbaukosten beteiligen. Dabei hat er Anbieter wie Netflix, Google oder Meta (Facebook, Instagram) im Sinn. Nur fünf Unternehmen würden mit ihren Daten zusammen 55 Prozent des Internetverkehrs verursachen, sagt Christel Heydemann, Chefin des französischen Telekommunikationsanbieters Orange.

Es geht also um die alte Frage: wer soll das bezahlen? Fünf Milliarden Euro jährlich würde Breton gerne von diesen Firmen einsammeln, um die Mobilfunkanbieter wenigstens etwas zu unterstützen. Der EU-Kommissar, früher selbst als Chef des französischen Orange-Konzerns in der Branche tätig, begründet seinen Vorstoß mit dem Argument, es gehe nicht um den Konflikt zwischen Mobilfunkanbieter und den Großnutzern. Sondern darum, dass der Ausbau der Netze in der EU nicht schnell genug vorankomme, wenn die ganze Last ausschließlich bei den Netzbetreibern liege. "Wir brauchen die Netze der Zukunft", sagt Breton bei seiner Rede, "dabei geht es nicht darum, ob das Interesse des einen oder des anderen im Vordergrund steht".

Die Mobilfunkanbieter sehen sich ohnehin im Wandel. Man rede hier nicht mehr von einem Telefonnetzwerk, sagt José Maria Álvarez-Pallete, der Chef des spanischen Telekom-Riesen Telefónica, "es ist ein dezentralisierter Supercomputer". Den braucht es nämlich, um all die Anforderungen zu erfüllen, welche das neue 5G-Netz und seine Nachfolger aufwerfen. Software statt spezialisierter Hardware, künstliche Intelligenz, Cloud-Dienste und Rechenzentren nahe an Sendemasten oder Einsatzorten - im Fachjargon Edge-Computing genannt. Jede Menge zu tun also, die Unternehmen müssen sich quasi im Live-Betrieb umbauen, sich "neu erfinden", wie Telefónica-Chef Álvarez-Pallete gleich zweimal in seiner Ansprache beim MWC sagt.

Ob die Milliarden fließen, ist unsicher

Die Milliarden der großen Datenschleudern wären ihnen da natürlich sehr willkommen. Doch ob sie irgendwann fließen, ist unsicher. Es ist schon einmal ungewöhnlich, dass der Vorschlag für den Obolus ausgerechnet von der EU kommt. Schließlich gilt die ja als Hort der sogenannten Netzneutralität. Will heißen: Das Netz ist neutral, jeder nutzt es, wie er will, alle haben dieselben Rechte. Das will Thierry Breton nun ändern. Es gibt eine sogenannte Konsultation, bei der die Beteiligten befragt werden. Einseitig Stellung für die Netzanbieter beziehe man damit nicht, behauptet Breton. Schon Im Herbst, so sehen es seine Pläne vor, könne der Entwurf für eine gesetzliche Regelung dafür vorliegen, die Gigabit Infrastructure Initiative.

Kritikerinnen wie die niederländische Wirtschaftsministerin Micky Adriaansens sehen das ganz anders. Sie fürchtet, die Sache könnte den Verbrauchern schaden. Denn Firmen wie Netflix, Microsoft und andere würden die dadurch entstehenden Kosten an die Verbraucher weitergeben. Die niederländische Regierung hat zudem eine Studie zum Telekommunikationsmarkt in Auftrag gegeben, die genau zu diesem Ergebnis kommt. Zudem gehe es den Netzanbietern gar nicht so schlecht. Der Studie zufolge hatten sie trotz steigenden Datenvolumens in den Netzen keine höheren Kosten. Durch Modernisierung der Netze hätte sich sogar die Kosten verringert, unter anderem, weil weniger Personal benötigt werde. Adriaansens jedenfalls sieht keinen Grund, jetzt schnell etwas zu ändern. Zumal auch nicht klar sei, ob und wie sich eine solche Internetsteuer überhaupt durchsetzen ließe.

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