Netzpolitik:Große Parteien im Neuland

Arbeitssitzung Kompetenzteam Steinbrück

Gesche Joost (mitte) mit einem Teil des Komeptenzteams. Rechts hinter ihr: Kanzlerkandidat Steinbrück

(Foto: dpa)

Braucht Deutschland einen Internetminister? Im Schatten des Wahlkampfs bringen sich CDU und SPD in der Netzpolitik schon mal in Stellung. Dabei könnte Gesche Joost aus Steinbrücks Kompetenzteam der Union gefährlich werden. Für die vernetzte Gesellschaft könnte das von Vorteil sein.

Von Johannes Boie

Kurz sieht es so aus, als würde der Pressesprecher jetzt einfach umkippen. Sie käme dann morgen in die Fraktion, hat Gesche Joost eben gesagt, eine Viertelstunde referieren. Das scheint so nicht abgesprochen zu sein. Der SPD-Sprecher, der für Peer Steinbrücks Schattenkabinett viel zu viel zu tun hat, wird blass. Dann fällt Gesche Joost, 38, aber ein, dass sie nur Fraktion und Arbeitsgruppe verwechselt hat. Richtig, in die Arbeitsgruppe kommt sie morgen. Joost wird ein bisschen rot und muss lachen. Der Sprecher ist erleichtert und lacht auch.

Draußen zwitschern die Vögel am Einsteinufer im Berliner Westen. Gesche Joost arbeitet hier als Professorin in der Universität der Künste (UdK). Den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, berät sie schon seit dem Jahr 2006. Jetzt hat er sie in sein Schattenkabinett geholt, das er Kompetenzteam nennt. Joost hat dort die Zuständigkeit für das Internet und all seine Auswirkungen für die Bürger und die Politik, bei der SPD nennt man das "vernetzte Gesellschaft".

Beide Volksparteien, CDU und SPD, wissen, dass das Netz im Wahlkampf wichtig ist. Einerseits, weil es alltäglicher Gegenstand von Politik geworden ist. Andererseits, weil im Netz Politik gemacht wird. Deshalb steht immer auch die Frage im Raum, ob das Land vielleicht eine Ministerin oder einen Minister für Internetthemen benötigt. Wenn man nun in den Pressestellen der Parteien anfragt, mit wem man mal über das Netz in Wahlkampf und Politik sprechen könnte, schickt einen die SPD naturgemäß zu Gesche Joost. Die CDU empfiehlt die beiden Abgeordneten Michael Kretschmer, 38, und Peter Tauber, 38.

CDU-Nachwuchs gibt sich routiniert

Die beiden sitzen fünf Kilometer und ein paar Welten von Gesche Joost entfernt in der "Flamingo Fresh Food Bar" mitten im Berliner Regierungsviertel. Sie kümmern sich beide für die CDU im Parlament um Netzpolitik. Kretschmer und Tauber, so viel ist klar, würden im Schlaf nicht Arbeitsgruppe und Fraktion verwechseln. Auch wenn sie in der CDU eher zum Nachwuchs gehören, verhalten sie sich längst wie politische Routiniers. Das bedeutet, dass sie auch so reden: von Kompromissen, Strategien, Koordinierungen und Diskussionsgrundlagen.

Das Vokabular funktioniert immer, auch wenn es um Themen geht, die die Union zuletzt versemmelt hat. Zum Beispiel das Leistungsschutzrecht, mit dem Google gezwungen werden sollte, Zeitungsverlage am Umsatz zu beteiligen. Das Gesetz gilt mittlerweile quer durch alle Parteien als Fehler. Tauber hat damals dagegen gestimmt. Kretschmer, der stellvertretender Fraktionsvorsitzender für Kultur und Medien ist, stimmte dafür. Ihm fällt dazu ein, dass die Verabschiedung des Gesetzes ein Wert an sich sei, ganz so, als ginge es nicht um den Inhalt, sondern nur um das Durchboxen eines Gesetzes. Und beim Thema Netzausbau, den Schwarz-Gelb verschlafen hat, fragt Peter Tauber erst einmal "ob der Netzausbau tatsächlich so hinterherhinkt, wie immer behauptet wird".

Andererseits ist den CDU-Politikern auch klar, dass es ohne Selbstkritik nicht geht: "Zum Beispiel beim Datenschutz", sagt Tauber, "hätte man sicher mehr machen können." Beide kennen die Geschichten der Netzgesetze, die kleinsten Details der Verordnungen auswendig. Sie sind im Stoff, sehen aber vieles anders als die Netzszene, die in Deutschland von links-grünen Wählern dominiert wird. Das ficht die Abgeordneten nicht an: "Man macht Netzpolitik nicht nur, um sich von der Netzgemeinde abklatschen zu lassen." Vor allem Tauber twittert viel und sucht den Kontakt zur Szene. In der kommenden Legislaturperiode wollen sich die beiden Politiker vor allem um Themen wie Netzneutralität kümmern, weiterhin um den Breitbandausbau und Sicherheit im Netz. Dafür haben sie ein "Weißbuch" geschrieben, das Teil des CDU-Wahlprogramms ist.

Braucht Deutschland einen Internetminister?

Braucht Deutschland denn einen Internetminister? Tauber zeigt auf Kretschmer: "Er könnte es machen. Oder Peter Altmaier." Kretschmer sagt: "Für mich ist es wichtig, dass die Netzpolitik zentral koordiniert wird. Ob es klug ist, ein Ministerium fürs Netz zu haben, einen Staatssekretär für Digitales oder das Thema ins Kanzleramt zu geben, da sind die Überlegungen noch nicht abgeschlossen." Tauber bemerkt, dass die ganze Frage natürlich "mit dem Willen der Kanzlerin und mit der Person, die das dann macht" stehe oder falle. Das Machtgefüge im Regierungsviertel ist klar.

An der Universität der Künste ist es das eher nicht. Im Wahlkampf in die Bierzelte, das wolle sie zum Beispiel eher nicht machen, sagt Joost, das verhandele sie gerade. Wie sie dann Wahlkampf machen möchte? "Ich möchte in Gruppen Bilder erarbeiten", sagt sie, "ich arbeite eher in Szenarien." Was auch immer das bedeutet, im Bierzelt geht es sicher nicht. Funktioniert eine wie Joost überhaupt in der Politik? Die Professorin nimmt ein Blatt Papier und malt etwas auf, das aussieht wie ein Stück Schweizer Käse, wobei auch Löcher außerhalb des Käsestücks vorhanden sind. Die Löcher außerhalb seien die coolen Projekte in der Gesellschaft, sagt Joost. Die möchte sie in die Politik bringen. Die Politik ist in ihrer Zeichnung das Käsestück, da gibt es auch coole Projekte, aber andere. Joost möchte, dass die Grenzen zwischen Käse und dem Raum daneben fließend werden. Sie malt deshalb eine Schlangenlinie.

Wenn der überstrapazierte Satz von Altkanzler Helmut Schmidt stimmt, wonach man einen Arzt aufsuchen sollte, wenn man Visionen hat, dann könnten Kretschmer und Tauber ihre Krankenversicherung kündigen. Joost müsste stationär ins Krankenhaus.

Ein Hut, der den Weg weist

Allerdings ginge dann Deutschland verloren, was Joost sich bislang so ausgedacht hat, ganz ohne Arbeitsgruppen und Fraktionsgespräche. Wer sie in der UdK besucht, bekommt erst mal eine Führung durch das Atelier, in dem sie mit 17 Doktoranden an digitalen Ideen arbeitet. Joost zeigt einen Hut, der acht Vibrationsmotoren hat, und damit seinem Träger den Weg weisen kann, und einen Pullover, der an bestimmten Stellen wie ein Schalter funktioniert. Ein Schlaganfallpatient muss sich so im Notfall nur an die Brust fassen, um einen Notruf abzusetzen. "Voll cool", sagt Joost und lächelt. Der SPD-Pressesprecher lächelt auch, vielleicht überlegt er sich, ob Steinbrück einen Hut gebrauchen könnte, der ihm die Richtung weist.

"Ich finde, das ist ein großer Vorteil, als Quereinsteigerin reinzukommen", sagt Joost. Das soll jetzt schnell gehen. Sie sei in 15 Minuten im Regierungsviertel, sagt sie, mit dem Rad. Als Ministerin hätte sie einen Fahrer. Dann steht man auch mal im Stau. Joost setzt lieber auf Geschwindigkeit. Ihre Karriere ist lediglich anders als die eines Berufspolitikers, im Zweifel aber steiler. Sie war mit 33 Jahren schon Professorin, zwei Jahre allein für "Gender und Design", da geht es zum Beispiel darum zu erforschen, warum Bohrmaschinen nicht pink sind, sie spricht auf Ted-Konferenzen und gilt wahlweise als einer der "100 Köpfe von morgen" oder eine "der 100 wichtigsten jungen Deutschen". Und, klar, als Internetministerin stünde sie zur Verfügung, sagt sie, die Fachressorts alleine könnten das nicht schaffen: "Jeder macht das so ein bisschen mit, das reicht nicht."

Sie kritisiert das Leistungsschutzrecht - das die SPD mit zu verantworten hat - als "echt vermurkst" und den Netzausbau. Sie fordert, die Vorratsdatenspeicherung nach den amerikanischen Abhöraktionen "komplett neu zu denken", ohne sich auf Details festzulegen, was das genau bedeutet. Sie kritisiert Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung stellt, weil sie "das Problem nur aussitzt, ohne es zu lösen".

Wenig Ahnung vom Netz

Außerdem stört Joost, dass viele Politiker oft zu wenig Ahnung vom Netz hätten, wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der vom Internet rede wie vom Mond. Den Breitbandausbau will sie auch mithilfe von Bürgerfonds bewältigen, so würden die Nutzer an Kosten und Gewinnen für den Ausbau beteiligt. Damit das alles klappt, brauche sie nach der Wahl "auf jeden Fall eine rot-grüne Koalition", sagt Joost. Sie selbst ist nicht SPD-Parteimitglied, und auch wenn sie für den Wahlkampf Sonderurlaub eingereicht hat, gibt es für sie ein Rückkehrrecht an die Universität.

Man kann sich kaum vorstellen, dass Kretschmer und Tauber jemals Zeit haben, 15 Minuten in den Berliner Westen zu Gesche Joost zu radeln, und so schießen sie aus der Distanz gegen ihre neue Konkurrenz: "Sie ist mir vorher, bevor sie in das Schattenkabinett aufgerückt ist, nie begegnet. Entweder bin ich ein Ignorant oder sie ist halt nicht in Erscheinung getreten", sagt Tauber. Offen bleibt, ob er erkennen würde, wenn er ein Ignorant wäre. Kretschmer sagt "Frau Joost" sei "erkennbar nicht gut in der SPD-Fraktion vernetzt." Könnte sein, dass beide recht haben. Könnte aber auch sein, dass dies von Vorteil ist. Für Gesche Joost. Und für die vernetzte Gesellschaft.

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