Netzneutralität:Den USA droht ein Zwei-Klassen-Internet

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2014 löste die geplante Abschaffung der Netzneutralität heftige Proteste aus. Diesmal dürfte sich die FCC nicht umstimmen lassen.

(Foto: AFP)
  • Die Regulierungsbehörde FCC will die Netzneutralität in den USA aufheben.
  • Damit könnten Provider Zusatzgebühren für Apps und Webseiten erheben, um Daten schnell weiterzuleiten.
  • Möglicherweise drohen auch kostenpflichtige Zusatzpakete für Nutzer, wenn diese bestimmte Dienste verwenden wollen.
  • Am 14. Dezember stimmt das Gremium ab - eine Zustimmung gilt trotz Protesten als sicher.

Von Johannes Kuhn

Der Plan soll die "Ordnung der Internet-Freiheit" wiederherstellen. Das verspricht jedenfalls die US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC). Tatsächlich laufen die Überlegungen auf etwas ganz anderes heraus: die Abschaffung der Netzneutralität.

Die neuen Regeln, am Dienstag skizziert und ab Mittwoch in Gänze online einsehbar, markieren eine Kehrtwende. Breitband- und Mobilfunkanbieter dürfen künftig selbst entscheiden, ob sie bestimmte Daten bevorzugen. Damit würden sie eine Art Überholspur auf der Datenautobahn schaffen. Das könnte zu einem Zwei-Klassen-Internet führen, in dem Start-ups keine Chance gegen etablierte Anbieter mehr haben, weil sie keine Vorzugsbehandlung einkaufen können.

2015 hatte die FCC den Internet-Anbietern verboten, legale Datenpakete schneller auszuliefern, zu blockieren, zu drosseln oder für die Übermittlung Extragebühren zu verlangen. Dieser Schritt kam nur zustande, weil das fünfköpfige FCC-Gremium mehrheitlich mit Demokraten besetzt war. Und selbst damals fiel die Entscheidung erst nach zähem Ringen, einer deutlichen Positionierung des damaligen Präsidenten Barack Obama und einem heftigen Protesten der netzaffinen Öffentlichkeit.

Republikaner haben die Mehrheit

Mit der Amtszeit Donald Trumps stellen die Republikaner die Mehrheit. Während die Demokraten dem Silicon Valley nahestehen, halten es die Konservativen eher mit Breitband-Internetanbietern wie Comcast, Time Warner oder Verizon. Webseiten-Betreiber, Internet-Firmen, Nutzer und Verbraucherschützer protestieren seit Wochen gegen das Vorhaben der Regulierungsbehörde. Doch wenn die FCC am 14. Dezember über die Regeln abstimmt, wird sie die Netzneutralität aller Voraussicht nach kippen.

Unklar ist, welche Folgen die Deregulierung für die amerikanischen Internet-Nutzer haben wird. Die Firmen könnten die Kunden extra zahlen lassen, wenn sie Dienste wie Youtube, Netflix oder soziale Netzwerke aufrufen wollen. Ein anderes Szenario betrifft die Anbieter von Online-Diensten: Provider könnten Geld für den Datentransport verlangen, also eine Art Maut kassieren. Für Großkonzerne wie Google, Facebook, Amazon und Netflix wären diese Gebühren kein Problem. Start-ups könnten sich einen solchen Wegzoll aber kaum leisten. Das würde die Dominanz der etablierten Konzerne weiter stärken und Konkurrenten benachteiligen.

Ob Verträge mit teuren Zusatzoptionen oder noch weniger Vielfalt im Netz - für die Nutzer sind beide Varianten schlecht. Die einzigen Gewinner wären amerikanische Festnetz- und Mobilfunkanbieter. Sie hatten wiederholt versprochen, dass sie die Mehreinnahmen in den Ausbau der Infrastruktur investieren würden - eine Behauptung, die sie gegenüber ihren Aktionären allerdings nicht äußern. Mignon Clyburn, eine demokratische Vertreterin im FCC-Vorstand, sprach von einem "Geschenk an die größten Telekommunikations-Anbieter des Landes", das politisch und rechtlich fragwürdig sei. "Die Vorschläge gehören in den Mülleimer."

Plötzlich ein neuer Zensurknopf

Ohne Netzneutralität würden Provider zu neuen Gatekeepern. Das wäre brisant, weil sie theoretisch Zensur ausüben könnten, indem sie ihren Kunden den Zugang zu bestimmten Webseiten verweigern. Der FCC-Vorschlag verbietet dies offenbar nicht. Die Kunden sollen lediglich Auskunft erhalten, wie die Firmen mit den Datenpaketen verfahren.

Die Republikaner argumentieren damit, dass der freie Wettbewerb mögliche Probleme regelt: Wer will, kann ja wechseln. Diese These hat allerdings nichts mit dem amerikanischen Alltag zu tun. Es existieren nur eine Handvoll relevanter Firmen, die den Breitband-Markt regional aufgeteilt haben, statt auf nationaler Ebene zu konkurrieren.

In vielen Gegenden gibt es einen oder höchstens zwei Anbieter. 50 Millionen US-Haushalte haben keinen oder nur einen Provider, der Festnetz-Geschwindigkeiten von 25 Megabits pro Sekunde anbietet. US-Bürger zahlen für ihre Internet-Anschlüsse weit mehr als Kunden in anderen Ländern. Auch beim mobilen Internet gibt es nur vier relevante Anbieter. Außerhalb der Metropolen reduziert sich die Auswahl noch weiter. Meist gibt es nur ein bis zwei Unternehmen, die stabiles LTE-Netz anbieten. Weltweit liegen die USA in der Geschwindigkeit des Mobilfunk-Internets einer Messung zufolge nur auf Rang 28.

"Krawall machen"

Bereits seit längerem beschweren sich Verizon und Co., dass sie an der Wertschöpfung von Internet-Giganten wie Google und Facebook nicht teilhaben. Die Pläne der FCC könnten das ändern, allerdings werden zahlreiche Klagen gegen das Regelwerk erwartet. Zudem könnte ein anders gesinnter Präsident den Kurs erneut ändern.

Der Streaming-Dienst Netflix, der gemeinsam mit anderen Video-Portalen wie Youtube inzwischen 73 Prozent des Datenverkehrs beansprucht, kritisierte die FCC in einer Stellungnahme. Auch Interessensverbände der Internet-Branche sowie Verbraucherschützer reagierten empört.

Facebook und Google halten sich dagegen auffällig bedeckt. Das liegt auch an der politischen Situation in den USA. Trump und die Republikaner haben zuletzt immer wieder Kritik am Silicon Valley geübt und staatliche Regulierung ins Spiel gebracht. Deshalb wollen die Konzerne die konservativen Politiker nicht weiter gegen sich aufbringen. Außerdem profitieren sie teils selbst vom "Zero Rating", bei dem Mobilfunkbetreiber ihren Kunden das Datenvolumen bestimmter Apps und Webseiten nicht in Rechnung stellen. Auch das ist ein Verstoß gegen die Netzneutralität.

Am 10. September 2014, dem sogenannten "Internet Slowdown Day", hatten etliche große Webseiten nur ein rotierendes Ladesymbol angezeigt, um vor der drohenden Abschaffung der Netzneutralität zu warnen. Ob es erneut zu einem digitalen Massenprotest kommen wird, ist unklar. Da FCC und Republikaner eine einheitliche Linie vertreten und das Thema in der konservativen Wählerschaft kaum Beachtung findet, sind die Erfolgsaussichten eines Protests ohnehin gering. Das zweite demokratische FCC-Mitglied Jessica Rosenworcel forderte die amerikanischen Internet-Nutzer dennoch dazu auf, "Krawall zu machen".

Eine frühere Version dieses Artikels zeigte Screenshots des Angebots eines portugiesischen Mobilfunkanbieters als Beispiel für einen Verstoß gegen die Netzneutralität. Tatsächlich handelt es sich in diesem Fall um ein optionales Zusatzpaket, bei dem bestimmte Dienste nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden. Etwas ähnliches bieten Telekom und Vodafone bereits in Deutschland an. Ein solches Angebot wäre wohl auch mit den derzeitigen Netzneutralitäts-Regeln in den USA vereinbar.

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