Netflix-Quartalszahlen:Ganz toll, wie ihr das macht

Netflix-Quartalszahlen: Die Schauspielerin Emma Corrin als Prinzessin Diana in der neuen Staffel der Netflix-Serie "The Crown".

Die Schauspielerin Emma Corrin als Prinzessin Diana in der neuen Staffel der Netflix-Serie "The Crown".

(Foto: Des Willie/AP)

Das Streamingportal Netflix hat ein famoses Quartal hingelegt - die Zahl der Abonnenten ist erstmals auf mehr als 200 Millionen weltweit gestiegen. Der Gründer erlaubt sich deshalb einen Spaß.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer es sich leisten kann, die Konkurrenz in höchsten Tönen zu loben, dem geht es selbst meist ziemlich gut. So auch im Fall Netflix. Das Streamingportal hat mit seinen Quartalszahlen selbst Optimisten überrascht: Mehr als 37 Millionen Abonnenten konnte es im vergangenen Jahr dazugewinnen und damit die magische Marke von 200 Millionen überschreiten - es sind nun 203,7 Millionen. Der Umsatz stieg gegenüber dem Vorjahr um 24 Prozent auf 25 Milliarden Dollar. Der Aktienkurs stieg am Mittwoch um fast 16 Prozent auf knapp 582 Dollar.

Das sind die nackten Zahlen, über die nun alle sprechen. Wer jedoch wissen will, wie es Netflix wirklich geht, sollte den üblichen Brief an die Investoren genauer lesen. Ganz im Gegensatz zu früheren Botschaften sind alle Konkurrenten erwähnt - also nicht nur die üblichen Verdächtigen Amazon Prime, HBO Max oder Apple TV+, sondern auch Peacock, das Portal des Konzerns NBC, Discovery+, Hulu und Paramount+. Und natürlich Disney+, wobei sicherlich nicht zufällig ein Ausrufezeichen hinter dem wahnwitzigen Wachstum des Mitbewerbers steht. "Es ist überaus beeindruckend, was Disney getan hat", sagte Gründer Reed Hastings beim Videogespräch mit Analysten: "Es gibt nun eine Reihe an Angeboten von linearem TV, Videospielen und auch nutzergenerierten Inhalten wie bei Youtube oder Tiktok."

Das ist in etwa so, als würde Mercedes schreiben: "Toll, wie viele Autos Volkswagen verkauft hat und dass bald noch ein neuer Hersteller dazu kommt. Es ist ja wirklich wunderbar, zur Zeit ein Mensch zu sein, der ein Fortbewegungsmittel braucht. Es gibt da noch Audi und Ford und BMW, und die Leute können nun auch Elektroautos von Tesla kaufen." Es ist eine Demonstration der Stärke von Netflix, die Konkurrenten zu loben, und dazu gehört auch dieser vermeintlich bescheidene Satz: "Wir werden hart arbeiten, unseren kleinen Anteil Bildschirmzeit gegenüber diesen bedeutsamen Mitstreitern wachsen zu lassen."

Die Zeit, die Leute vor dem Bildschirm sitzen, ist wegen der Covid-Pandemie immens gestiegen

Es geht also um die Zeit, die Menschen dem eigenen Angebot widmen, Hastings hatte schon im März 2019 im Gespräch mit der SZ gesagt: "Von der Zeit, in der sich Leute mit Fernseher, Tablet oder Telefon beschäftigen, hätten wir von Netflix gerne einen möglichst großen Anteil." Nun hat es in diesem Jahr zwei Trends gegeben: Diese Zeit, in der sich Leute mit Fernseher, Tablet oder Telefon beschäftigten, ist wegen der Covid-Pandemie immens gestiegen - gleichzeitig aber auch die Zahl der Mitbewerber. Und es hat mindestens ebenso viele Experten gegeben, die Probleme für Netflix prognostizierten, wie solche, die weiteres Wachstum voraussagten.

Zur Erinnerung: Netflix ist der frühe Vogel im Streamingbereich, der die digitale Revolution in der Unterhaltungsbranche eingeleitet und vorangetrieben hat. Klar, der frühe Vogel kriegt den Wurm, aber er muss dafür früher aufstehen als die anderen und vielleicht auch ein bisschen cleverer suchen. Das hat Netflix jahrelang getan, es hat massiv in eigene Inhalte investiert - und in die bereits vorhandenen Produkte anderer Produzenten (zum Beispiel die zuerst von NBC ausgestrahlte Serie "Friends"). Doch die Frage war: Was passiert, wenn diese etablierten Unternehmen auch endlich bemerken, dass Streaming nicht Zukunft, sondern Gegenwart ist?

Was passiert, das ist gerade bei Disney+ zu beobachten. Der Disney-Konzern hat kürzlich auf dem "Investor Day" seine Strategie vorgestellt, es war eine Präsentation der prächtigen Federn. Bis 2024 will das Unternehmen über alle Plattformen hinweg 350 Millionen Abonnenten haben und dabei nicht nur acht Milliarden Dollar pro Jahr in eigene Inhalte investieren, sondern auch den mit Klassikern gut gefüllten Safe öffnen. Feuern aus allen kreativen Rohren, und deshalb durfte schon die Frage erlaubt sein: Welche Würmer bleiben dann noch für Netflix?

Nun, der Konzern hat gekontert mit Inhalten wie "The Crown", "The Queen's Gambit" oder "Mank", bei denen die Leute Netflix nicht nur Zeit vor dem Bildschirm schenkten, sondern auch abseits davon. Sie debattierten über die historische Korrektheit von "The Crown" und über die Faszination von Schach wegen "The Queen's Gambit". Zu Jahresbeginn dann der Knaller: Netflix will 2021 jede Woche einen neuen Film veröffentlichen. Dass die Abo-Gebühr fast überall um einen Dollar pro Monat erhöht wurde, darüber sprach kaum jemand.

Netflix will in diesem Jahr keine Verluste machen und danach dauerhaft profitabel sein

"Es ist großartig, dass Disney und wir derart konkurrieren", sagte Hastings, fügt aber an, dass es noch ein wenig dauern werde, bis der Konkurrent so was präsentiere wie das historische Drama "Bridgerton" von Shonda Rhimes - ein kleiner Seitenhieb, denn Rhimes ist 2017 nach 15 Jahren vom Disney-Kanal ABC zu Netflix gewechselt. Bridgerton lief im ersten Monat in mehr als 63 Millionen Haushalten.

All das führte zu diesen grandiosen Quartalszahlen; zu diesem Selbstvertrauen, die Konkurrenz zu loben - und zu dieser Ankündigung, die Investoren gleich noch mehr frohlocken ließ. "Wir werden keine externe Finanzierung mehr für unser Tagesgeschäft brauchen", hieß es im Brief an die Anleger, und noch mehr: Das Unternehmen will in diesem Jahr keine Verluste machen und danach dauerhaft profitabel sein, zudem prüfe Netflix gerade, Anteile von Investoren zurückzukaufen.

Vereinfacht ausgedrückt: Das Geschäftsmodell, aggressiv in Inhalte zu investieren und dafür sehr viel Geld zu borgen (mehr als 16 Milliarden Dollar in zehn Jahren), hat sich als richtig und nachhaltig erwiesen - entgegen den Prognosen von Experten, die Netflix mit einem Kartenhaus verglichen haben, das unter der Last der Schulden einstürzen werde. Das Unternehmen hat noch immer zwischen zehn und 15 Milliarden Dollar Schulden, der Cash-Flow dürfte es aber erlauben, diese langsam abzutragen, ohne Einschnitte bei Investments machen zu müssen. Man kann es sich also leisten, den schärfsten Konkurrenten über den grünen Klee zu loben.

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