Netflix:Disney kündigt die Freundschaft

Der Unterhaltungskonzern will Filme, Serien und Zeichentrickklassiker künftig selbst über das Internet verkaufen. 2019 startet der US-Konzern seinen eigenen Streamingdienst.

Von Kathrin Werner, New York

(c) RTL / Disney: Die Eiskönigin

Wie verzaubert: Erst verdiente Disney mit dem Trickfilm „Frozen“ an den Kinokassen. Dann mit Elsa- und Anna-Figuren und DVD-Verkäufen. Künftig soll auch das Streaming alter Filme Disney Geld bringen.

(Foto: RTL/ Disney)

Disneys Idee ist nicht ganz neu. In den Zeiten von Sturm und Drang in Hollywood, den 20er-, 30er- und 40er-Jahren, waren die großen Filmstudios Maschinen, die fast ohne Hilfe von außen auskamen. Schauspieler, Regisseure und Drehbruchschreiber waren feste Mitarbeiter. Sie hatten ihre eigenen Entwicklungslabore - und sogar ihre eigenen Kinos. Praktisch für sie, so hatten sie automatisch Abnehmer für ihre Streifen und Kontrolle über Preise. Nicht so praktisch für Menschen, die Filme schauen wollten. Wer einen Paramount-Film sehen wollte, musste in ein Paramount-Kino gehen, auch wenn es am anderen Ende der Stadt lag. 1948 verbot der Oberste Gerichtshof der USA das Ganze. Die Studios mussten ihre Kinos verkaufen.

In den Zeiten von Sturm und Drang im Internet ist Netflix zu so etwas wie einem Kino geworden. Über die Website lassen sich gegen eine Monatsgebühr Filme und Serien ansehen. Und zwar von fast allen großen Filmstudios. Netflix ist ein Multiplex-Kino für das Internet. Doch nun will Disney zu den guten alten Zeiten zurück und sein eigenes Internet-Kino aufziehen. Sehr zur Verstimmung von Netflix hat der Konzern verkündet, ab 2019 seine Filme nicht mehr bei Netflix zu zeigen, sondern einen eigenen Streamingdienst zu starten. Wenn der Vertrag mit Netflix ausläuft, müssen Kunden ein weiteres Abo abschließen, wenn sie Disney- oder Pixar-Filme sehen wollen.

Lange Zeit hatten Studios wie Disney Netflix als einen freundlichen, zusätzlichen Kunden für ältere Filme gesehen. Disney verdiente daran, dass Netflix die Filme abnahm, nachdem Disney bereits auf etlichen Ebenen daraus Kapital geschlagen hatte. Beispiel "Frozen", der Trickfilm, der in Deutschland als "Die Eiskönigin - völlig unverfroren" bekannt ist: Erst verdiente Disney an den Kinokassen mit Elsa und ihrer kleine Schwester Anna. Danach kamen die meisten Einnahmen aus der Sparte für Elsa- und Anna-Figuren, eisköniginnenblaue Kinderschuhe und allerlei anderes Disney-Zubehör. Es gab ein paar DVD-Verkäufe. Hinzu kamen Erlöse von Familien, die wegen Elsa und Anna in Disneys Hotelresorts, Freizeitparks und auf Kreuzfahrtschiffen urlauben. Wenn niemand mehr DVDs kauft oder ins Kino geht, geht der Film dann an Netflix. Und Disney verdient noch einmal.

In den vergangenen Jahren wurde Netflix zu einem großen Konkurrenten für Disney

Doch in den vergangenen Jahren ist Netflix zu einem ernsthaften Konkurrenten für Disney herangewachsen. Viele Menschen gehen nicht mehr ins Kino, sondern warten einfach, bis der Film im Internet zu haben ist. Auch Fernsehsender leiden darunter, zu Disney gehören etliche davon, unter anderem der Sport-Kabelkanal ESPN. In den USA nimmt der Trend immer mehr Tempo auf, er heißt "Cord Cutting", weil die Kunden sinnbildlich das Kabel zerschneiden. Am Dienstag legte Disney Quartalszahlen vor, der Gewinn schrumpfte um neun Prozent auf 2,4 Milliarden Dollar.

Netflix hingegen nutzt seine steigenden Abo-Einnahmen mehr und mehr dazu, selbst Filme und Serien zu produzieren. In diesem Jahr wird Netflix Prognosen zufolge rund sechs Milliarden Dollar für Film- und Serieninhalte ausgeben. Darin enthalten sind etliche Eigenproduktionen und die Lizenzen, die die Firma aus Kalifornien an Disney und andere Studios überweist. 2016 waren es rund fünf Milliarden Dollar. In der vergangenen Woche hatte Netflix den Comicbuch-Verlag Millarworld gekauft und damit Zugang zu weiteren exklusiven Filmrechten bekommen.

Disney wollte nicht weiter tatenlos zusehen, wie Netflix den Markt für Filme im Internet mehr und mehr beherrscht. Damit der neue Netflix-Konkurrent nicht an der Technik scheitert, kauft der Konzern einen Anbieter von Streaming-Technik, Bamtech. Disney hatte sich schon vor einem Jahr einen 33-Prozent-Anteil an Bamtech gesichert und zahlt nun 1,6 Milliarden Dollar für weitere 42 Prozent. Im kommenden Jahr will Disney mit dem ersten eigenen Streaming-Kanal an den Markt gehen, zunächst mit Sportsendungen. Der Filmkanal soll folgen. Was die Abonnements kosten, gab Disney noch nicht bekannt.

Welche Disney-Produktionen ab 2019 auf dem eigenen Internetdienst laufen, steht ebenfalls noch nicht fest. Auf jeden Fall werden es die Disney- und Pixar-Trickfilme sein. Möglich wären auch mehrere verschiedene Streaming-Kanäle für die vielen Produktionen aus dem Haus, die ganz unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Schließlich ziehen die Marvel-Comic-Verfilmungen andere Zuschauer an als "Frozen" und oder als die "Star-Wars"-Reihe. Es könnte auch sein, dass neben Disney-Serien wie "Jessica Jones" auch ein Teil der Filme bei Netflix bleibt oder Disney einen Vertrag mit einem anderen Streaming-Anbieter abschließt. "Alles steht zur Diskussion", sagte Disney-Chef Bob Iger.

Besonders um die jüngsten Zuschauer steht ein Wettlauf der Dienste bevor

Ob es Disney gelingen wird, die Zuschauer von Netflix wegzulocken und sie für ein weiteres Streaming-Abo zu gewinnen, ist fraglich. Die beliebten Eigenproduktionen wie "House of Cards", "Orange Is the New Black" und "Stranger Things" haben viele Menschen, vor allem viele Amerikaner, an Netflix gebunden. Wer die nächsten Staffeln sehen will, muss das Netflix-Abo behalten. Allerdings hat auch Netflix Konkurrenz bekommen durch alternative Streamingdienste wie Hulu oder Amazon Prime Video, deren Zuschauerzahlen steigen.

Der Streaming-Markt ist noch nicht komplett verteilt. Disney ist allein wegen der Größe und Programmvielfalt der Anbieter aus der analogen Filmwelt, der im Internet die besten Chancen hat, glaubt Iger. "Niemand ist besser positioniert, um die Industrie in dieser dynamischen neuen Ära anzuführen." Besonders um die jüngsten Zuschauer steht ein Wettlaufen der Streamingdienste bevor. Netflix und Amazon haben sich in den vergangenen Jahren vor allem auf Eigenproduktionen für Erwachsene konzentriert, für Kinder fehlen Angebote. Hier sieht Disney Chancen. Kinder sind ein Milliardenmarkt - und gut für die Kundenbindung. "Singles oder Paare sind vielleicht bereit, das Streaming-Abo eine Weile auszusetzen, bis sie wieder Inhalte sehen, die sie interessieren", sagte der Branchenkenner Mike Olson von der Bank Piper Jaffray der Los Angeles Times. "Wenn man Kinder hat, die eine Menge Inhalte anschauen, kündigt man auf keinen Fall."

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