Süddeutsche Zeitung

Nervosität an den Börsen:Adieu Panik, willkommen Rezession?

Die Angst geht um an den Börsen: Analysten fürchten ein neues schwarzes Loch, in das die Weltwirtschaft stürzen könnte. Aber selbst wenn eine Rezession ausbleibt, könnte es ungemütlich bleiben, wie eine Blick in die Vergangenheit zeigt.

Catherine Hoffmann

Die Ruhe währte nur kurz. Zwei Tage gab es mal keine einstürzenden Aktienkurse, krachende Banken, schlingernde Staaten. Dann brach der Dax wieder ein. Binnen Minuten fiel das Börsenbarometer am Donnerstag um 200 Punkte, schloss dann mit minus 1,7 Prozent. Fondsmanager gucken bestürzt auf die Bilanz der vergangenen Wochen. Vom jüngsten Hoch zum Tief hat der Dax 27,3 Prozent verloren. "Der Markt ist schnell und tief gefallen", sagt Marc Faber, Investorenlegende und bekennender Schwarzseher. "Es riecht förmlich danach, dass irgendetwas gründlich schiefläuft in den kommenden Monaten."

Die größte Sorge der Anleger gilt der Weltwirtschaft: Saust sie abermals in ein tiefes schwarzes Loch wie 2009, als in Deutschland die Wirtschaftsleistung um fast fünf Prozent einbrach? Für Nervosität sorgen die vielen Frühindikatoren, die der Konjunktur die Richtung weisen: Sie zeigen allesamt nach unten in Europa und den USA. Eine kraftlose Wirtschaft aber macht es den verschuldeten Regierungen noch schwerer, ihre Haushalte zu sanieren. Strömen weniger Steuern in die Staatskassen, müsste noch mehr gespart werden.

"Der Schuldenabbau wird in den nächsten Jahren das Wachstum belasten", sagt Hans-Jörg Naumer, der bei Allianz Global Investors die Kapitalmarktanalyse leitet. "Das Risiko einer Rezession ist nicht ganz auszuschließen." Wenn sich alle darauf einschießen, kommt sie bestimmt. Lassen sich die Unternehmer und Verbraucher von der trüben Stimmung an der Börse anstecken, ziehen sich Investitionen zurück und verweigern den Konsum, dann erfüllt sich die düstere Vorhersage der Börse: Adieu Panik, willkommen Rezession!

Ob die Furcht vor einer neuen Wirtschaftskrise berechtigt ist, bleibt vorerst aber offen. Vom verstorbenen Nobelpreisträger Paul Samuelson stammt der schöne Satz: "Der Aktienmarkt hat neun der letzten fünf Rezessionen vorausgesagt." Vielleicht irren sich die Börsianer ja auch diesmal. Da niemand eine Glaskugel für die Zukunft besitzt, hilft vielleicht der Blick zurück in die Vergangenheit. Markus Reinwand, Analyst der Landesbank Hessen-Thüringen, hat versucht, die Emotionen beiseite zu schieben und ein paar Fakten zu schaffen.

Mehr als eine Verschnaufpause ist nicht drin

Seine historische Analyse zeigt: Nach einem Kursrückgang um 20 Prozent steckt der Dax in einem Bärenmarkt, also einer lang anhaltenden Phase drastischer Kurseinbußen. In den Bärenmärkten seit 1960 betrugen die Verluste im Mittel rund 42 Prozent; das Leiden zog sich 20 Monate hin. Meist gingen die fallenden Aktienkurse mit einer Rezession in Deutschland oder den USA einher. Aber auch in den Jahren, in denen die Wirtschaft nicht schrumpfte (1987 und 1998), rutschte der Dax deutlich ab - minus 39 Prozent. "Selbst wenn eine Rezession ausbleibt, könnte es bis in den Herbst hinein ungemütlich bleiben", sagt Reinwand deshalb. Mehr als eine Verschnaufpause sei vorerst nicht drin.

Immerhin ist der Dax bei 5700 Punkten schon wieder recht vernünftig bewertet, auch wenn die Gewinnprognosen der Analysten für die 30 Unternehmen noch zu optimistisch sein dürften. Wer etwa davon ausgeht, dass die Nettoergebnisse der Konzerne binnen zwölf Monaten um 25 Prozent sinken, kommt zu dem Schluss, dass der Index mit 6000 Punkten ein faires Niveau erreicht. Das setzt voraus, dass ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von zwölf angemessen ist. Je geringer diese Kennzahl ist, desto günstiger sind Aktien bewertet.

Damit lässt sich spielen: Anleger, die angesichts der Unsicherheit ein KGV von zehn für passend halten, kommen auf ein Kursniveau von 5000 Punkten. Wer obendrein noch fürchtet, dass die Gewinne nicht um 25 sondern um 40 Prozent schrumpfen, landet bei gut 4000 Dax-Zählern. Üblicherweise gehen die Gewinne in einem Abschwung um ein Drittel zurück. Die Rechenübung zeigt: "Noch schreien die Bewertungen nicht danach, zuzugreifen", sagt Reinwand. "Anleger sollten besser noch ein bisschen warten."

Dann aber gilt es, die Angst zu überwinden. Denn während die Staaten in Europa und die USA unter hohen Schulden leiden, haben viele Unternehmen in den vergangenen Jahren ihren Schuldenberg abgetragen. Das macht gut geführte Gesellschaften zu einem attraktiveren Investment als Staatsanleihen mit zweifelhafter Qualität und Renditen, die kaum die Inflation ausgleichen.

Anders formuliert: Kein Unternehmer würde heute seine Firma verkaufen, um in Bundesanleihen zu investieren, die mit 2,2 Prozent rentieren - bei 2,4 Prozent Inflation. Dax-Konzerne bieten im Schnitt 3,9 Prozent Dividendenrendite plus Gewinnpotential.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1134989
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.08.2011/sebi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.