Negativzinsen:Das Vertrauen der Bürger ins Geldsystem steht auf dem Spiel

Euro-Inflationsrate

Immer mehr Banken in Deutschland verlangen Strafzinsen von ihren Kunden.

(Foto: Nicolas Armer/picture alliance/dpa)

Die Volksbank Raiffeisenbank Fürstenfeldbruck macht nur den Anfang: Irgendwann könnten alle Banken Minuszinsen verlangen. Das ist eine riskante Entwicklung.

Kommentar von Harald Freiberger

Es ist kein Zufall, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz meint, sich nun in die Debatte um Negativzinsen einmischen zu müssen. Banken wären schlecht beraten, wenn sie der breiten Masse der Kunden Minuszinsen in Rechnung stellten. Ohnehin gebe es hohe rechtliche Hürden, und es sei eine Sache für sehr Reiche, die "oft sogar mehrere Millionen" haben. Nein, stellt Scholz fest: "Das ist kein Massenphänomen."

Die Erfahrung lehrt, dass es besorgniserregend wird, wenn der Finanzminister anfängt, die Bürger zu beruhigen. Und in der Tat erreicht das Thema in diesen Tagen eine neue Dimension. Die Europäische Zentralbank (EZB) berechnet Geschäftsbanken schon seit fünf Jahren negative Zinsen, wenn sie kurzfristig Geld bei ihr parken. Sie will diese damit verleiten, ihr überschüssiges Geld nicht zu parken, sondern als Kredite auszureichen, damit Unternehmen investieren und die Wirtschaft ankurbeln.

Banken haben diese negativen Zinsen teilweise weitergereicht, aber bisher nur bei sehr hohen Summen an vermögende Kunden und Firmen. Mit der Volksbank Raiffeisenbank Fürstenfeldbruck berechnet nun erstmals ein Institut auch normalen Kunden einen Minuszins von 0,5 Prozent, und zwar ab dem ersten Euro, wenn sie Tagesgeld bei ihr neu anlegen wollen.

Anders als der Finanzminister sehen das einige Fachleute nicht als Lappalie, sondern als Dammbruch. Und es ist zu befürchten, dass sie damit recht haben. In Deutschland steht gerade sehr viel auf dem Spiel, nämlich das Vertrauen der Bürger in das Geld und das Geldsystem.

Was Anlass zur Sorge gibt, ist die Begründung der Fürstenfeldbrucker Bank. Sie will mit dem Minuszins die Kunden anderer Banken abschrecken, weil sie feststellt, dass diese vermehrt Geld bei ihr anlegen. Der Grund dafür ist, dass andere Institute zunehmend die Grenzen senken, ab der sie selbst negative Zinsen verlangen. Und das liegt daran, dass die EZB im September den Negativzins verschärfte und damit signalisierte, dass er noch längere Zeit Bestand haben wird. Offenbar sehen sich immer mehr Banken gezwungen, die Kosten auf die Kunden abzuwälzen. So weichen diese auf andere Banken aus, weil sie den Negativzins vermeiden wollen.

Was passiert, wenn Kunden ihr Geld in Sicherheit bringen wollen?

Wenn man diese Entwicklung zu Ende denkt, werden irgendwann alle den Negativzins verlangen müssen - für jeden Kunden ab dem ersten Euro. Scholz hat recht damit, dass es rechtliche Hürden gibt. So dürfen bestehende Darlehensverträge nicht einfach mit negativen Zinsen belegt werden. Es passiert aber bereits, dass Institute in neue Verträge entsprechende Passagen einfügen. Die Vertreter der Banken betonen, dass sie negative Zinsen für die breite Masse der Kunden vermeiden wollen. Sie fügen aber hinzu, dass sie nicht wissen, wie lange sie das noch durchhalten können.

All dies verunsichert die Kunden massiv. Nicht nur Vermögende fragen sich inzwischen, was sie tun sollen, wenn ihnen die Bank für Erspartes keine Zinsen mehr zahlt, sondern ihnen welche abknöpft. Was aber passiert, wenn sie ihr Geld dann irgendwie in Sicherheit bringen wollen - und es in großen Mengen einfach abheben? Finanzminister Scholz weiß, warum er die Leute jetzt beruhigen muss.

Die Ausweitung negativer Zinsen auf immer mehr Kunden ist deshalb überaus riskant. Das werden hoffentlich die Banken bedenken. Und damit sollte sich auch die EZB noch einmal befassen.

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