Naturschutz:Da kriecht doch was

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Von Juchtenkäfer bis Zauneidechse: Wo Menschen bauen, wohnen Tiere - und dienen oft als Argument gegen profitable Projekte. Eine kleine Feldforschung.

Von Janis Beenen, Angelika Slavik und Felicitas Wilke

Vorausschauend wäre es, zuallererst an den Feldhamster zu denken. Oder an die Gelbbauchunke. Das würde vielen Unternehmen und Investoren Unheil ersparen, sagt Richard Raskin. Der promovierte Biologe sucht nach Lösungen, wenn ein Tier oder eine Pflanze ein Bauprojekt aufhält - also oft. Im Hambacher Forst bei Köln etwa streiten sich seit Jahren Umweltschützer und RWE. Der Energiekonzern will vor Ort Braunkohle abbauen und könnte dabei der Bechsteinfledermaus in die Quere kommen.

Hinter Beispielen wie diesem stecken Grundkonflikte: Natur versus Mensch, Tierschützer versus Investoren, Lebensraum versus Arbeitsplätze.

In der EU regelt die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie aus dem Jahr 1992, dass die natürlichen Lebensräume von Tieren und Pflanzen geschützt werden müssen. Allerdings unterscheiden sich die Arten, die als besonders gefährdet und schützenswert gelten, von Bundesland zu Bundesland. Ist ein Tier "planungsrelevant", wird es zum Argument, um ein Großprojekt zu verhindern oder zu verzögern. In Nordrhein-Westfalen, wo Umweltgutachter Richard Raskin zu Hause ist, stehen 184 Arten unter strengem Schutz. Dass zu den planungsrelevanten Arten deutlich mehr Vögel als zum Beispiel Insekten oder Pflanzen gehören, sei kein Zufall, sagt der Biologe. "Manche Arten haben eine stärkere Lobby als andere."

Wer in Deutschland baut, muss auch an den Artenschutz denken, so sehen es Gesetze vor. Doch manchmal, sagt Raskin, planten die Bauherren das ganze Projekt schon durch, bevor sie überhaupt wissen, ob ihnen Tierchen ungelegen kommen könnten. Dann heißt es, dass Ausgleichsflächen als Lebensraum geschaffen und Brutperioden abgewartet werden müssen, bis es mit dem Bau weitergehen kann. Das dauert lange und ist teuer. Schlauer wäre es da, gleich an die potenziellen Störenfriede zu denken und alle Eventualitäten zu prüfen, bevor der Bauplan steht, sagt Raskin.

Wenn der Biologe ein Projekt betreut, hat er nicht nur mit Investoren zu tun, sondern auch mit mehr oder weniger eifrigen Naturschützern. Manchen geht es wirklich um das Schicksal der Knoblauchkröte, andere möchten einfach kein neues Baugebiet vor ihrer Haustüre - und werden plötzlich zu engagierten Krötenfans. "Viele wissen inzwischen, dass ein Tier das schärfste Schwert gegen Bauprojekte ist", sagt Raskin. Baulärm, Verschandelung der Aussicht, damit kommt man nicht weit. Mit einer planungsrelevanten Art schon.

So war es auch kurz vor der Jahrtausendwende an der deutsch-niederländischen Grenze bei Aachen. Ein Gewerbegebiet sollte dort entstehen, von 12 000 Arbeitsplätzen war die Rede. Dann entdeckte Raskin vier verlassene Hamsterbauten auf dem Gelände. Die Gegner des Großprojekts zählten allerdings 300 Bauten. Jahre vergingen, alle stritten um den planungsrelevanten Feldhamster, der nirgends gesichtet wurde. Am Ende entstanden ein paar hundert Arbeitsplätze in dem Gewerbegebiet - der Hype um den Neuen Markt, den die Investoren nutzen wollten, war längst verpufft.

Auch die Vertreter der Naturschutzverbände vermuten, dass Gegner diverser Projekte ihre Umwelt-Argumente instrumentalisieren. Objektiv lasse sich der Eindruck nicht nachprüfen, sagt Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Doch er erinnere sich zum Beispiel "an ein paar Golfer, die ihren Platz vor Fluglärm schützen wollten - mit dem Argument der biologischen Vielfalt." Daher stellt Wessel klar: "Was die Instrumentalisierung angeht, so muss der in jedem Fall entgegengewirkt werden." Sie schade dem Artenschutz und seiner Glaubwürdigkeit. Am einfachsten sei das durch vernünftige Planung zu verhindern: mit ökologischer Baubegleitung und einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung.

Heute dauert es in den meisten Fällen nicht mehr so lange wie noch vor einigen Jahren, bis sich alle Parteien mit Richard Raskin auf eine Lösung einigen können. Die Rechtsprechung ist klarer als vor 15 Jahren und die Wirtschaft sensibilisierter für das Thema. Raskin kann dann seinen Job machen - und schon mal Windräder zum Stehen bringen. In Nächten, in denen viele Fledermäuse unterwegs sind, kam er auf die Idee, sie abzuschalten, damit die Tiere nicht durch die Rotorblätter zu Schaden kommen. Ach, wenn es immer so einfach wäre.

Echsen mit dem Lasso fangen

Egal, ob die Deutsche Bahn einen Bahnhof baut oder neue Gleise verlegt: Kritik von Naturschützern gibt es fast immer. Der bekannteste Fall ist Stuttgart 21. In Bäumen nahe der Baustelle residiert der Juchtenkäfer. Das Insekt, gerade ein paar Zentimeter groß, steht unter Artenschutz. Im Dezember 2011 führte der Konflikt um das Wohl des Käfers zum kurzzeitigen Baustopp. Verzögerungen bestehen weiterhin. Um Juchtenkäfer-Verdachtsbäume zu fällen, braucht es die Genehmigung der EU-Kommission. Das Verfahren kann Jahre dauern. Bis 2024 soll der unterirdische Bahnhof endlich fertig sein - drei Jahre später als geplant und mit 7,6 Milliarden Euro deutlich teurer als veranschlagt. Der Juchtenkäfer-Streit ist ein Grund. Hinzukommen die Belange Hunderter Eidechsen. Für die Umsiedlung streng geschützter Exemplare gibt die Bahn 15 Millionen Euro aus. Mit einem Miniatur-Lasso werden die Tiere eingefangen und in einem "artgerechten Gebiet" freigelassen.

Um solche Konfrontationen mit der Natur vor einem Baubeginn zu umgehen, plant die Bahn vor. Zunächst gebe es bei solchen Projekten eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch unabhängige Gutachter, sagt ein Bahnsprecher. Auf dieser Grundlage entwickle das Unternehmen einen landschaftspflegerischen Begleitplan. "Dieser wird mit den zuständigen Landesbehörden so abgestimmt, dass Natur und Landschaft weitgehend geschützt und die unvermeidlichen Eingriffe kompensiert werden", heißt es.

Dennoch lassen sich auch abseits von Stuttgart 21 etliche Episoden über Nachbesserungen erzählen. 30 Großtrappen - das sind relativ große, braun gescheckte Vögel - erschwerten die Planung einer ICE-Strecke durchs Havelland. Der Konzern musste für rund 270 000 Euro pro Vogel Schutzwälle an den Trassen aufschütten.

Man nennt sie Hufi

Die Waldschlösschenbrücke in Dresden ist bekanntlich etwas größer, als ihr Name vermuten lässt. Seit dem Jahr 2013 ziert die 181 Millionen Euro teure und 636 Meter lange Elbüberquerung die Stadt. Wegen des Bauwerk verlor Dresden seinen Weltkulturerbe-Titel für das hübsche Elbtal. Die Aberkennung ärgert viele Dresdener bis heute. Aber zumindest den Bedürfnissen der Kleinen Hufeisennase entspricht der Bau. Das Verwaltungsgericht Dresden stoppte im Jahr 2007 den Baubeginn. Naturschützer hatten in einem Eilantrag den mangelnden Schutz der Fledermaus - vor Ort Hufi gerufen - beklagt. Gut drei Monate besserten die Planer nach. Reinhard Koett-nitz, Leiter des Straßen- und Tiefbauamtes in Dresden, sagt: "Zum Schutz der Kleinen Hufeisennase besteht eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30." Während der Aktionszeit der Tiere, die Stadt bemisst diese exakt vom 1. April bis zum 31. Oktober, gilt das Limit. Selbstverständlich nur für die Autofahrer und nicht für die flinke Hufi. Damit sich alle an die Begrenzung halten, gibt es zwei Blitzer. Kosten: 160 000 Euro. Hinzu kommt eine LED-Spezialbeleuchtung. Das Licht soll keine Insekten anlocken und damit die Gefahr minimieren, dass die Fledermaus bei der Jagd mit einer Windschutzscheibe kollidiert. Ach ja, einen Grünstreifen für 200 000 Euro erhielt Hufi auch noch. Die Fledermaus wurde bis zur Eröffnung der Brücke nie vor Ort gesichtet, auch in den vergangenen Jahren blieb das Tier ein Phantom.

Neuer Promi für Hamburg

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Hamburg in diesem Jahr einen neuen Promi bekommen hat. Seither ist Sylvie Meis nur mehr die zweitwichtigste Bewohnerin dieser Stadt, denn den Rang abgelaufen hat ihr: der Schierlings-Wasserfenchel. Man könnte jetzt denken, der Schierlings-Wasserfenchel sei bloß irgend so ein Unkraut, für das sich nur ein paar weltverbessernde Hippies interessieren. Aber diese Pflanze ist es, die Hamburgs wichtigstes Infrastrukturprojekt verhindert hat.

Seit 15 Jahren streitet die Stadt darüber, ob die Elbe noch weiter vertieft werden kann, damit die immer größeren Schiffe der internationalen Containerreedereien den Hafen besser erreichen können. Es gab Einsprüche, Anhörungen, Prozesse, Revisionen. In diesem Jahr nun sollte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig endlich eine Entscheidung treffen. Die Stadt rechnete fest damit, nun endlich die Bagger losschicken zu können, aber dann kürten die Richter den Schierlings-Wasserfenchel zum Sieger in diesem epischen Kampf. Bevor dessen Überleben nicht gesichert sei, werde nicht gebaggert, befanden sie.

Und so tänzelt diese Stadt nun beflissen um ein seltsames kleines Kraut. Ausgleichsflächen werden präsentiert, also eine Art Ersatzgrundstück für den Schierlings-Wasserfenchel. Die Stadtpolitik hofft jetzt, dass er sich dort wohlfühlen wird. Wann die Bagger kommen? Man weiß es nicht. Vielleicht, wenn der Schierlings-Wasserfenchel sich gut eingelebt hat.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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