Wenn an der Börse Kurse erklärt werden, sind Tiervergleiche nicht weit. Da ist bei steigenden Kursen von Bullen die Rede, und von Bären, wenn die Kurse purzeln. Dieser Tage jedoch ist im Börsen-Zoo ein selteneres Mitglied zu besichtigen: An der US-Börse ist ein Wal aufgetaucht. So nennen Experten scheue Investoren, die meist unter der Oberfläche bleiben - aber große Wirkmacht entfalten.
Der zuvor unerkannte, aber einflussreiche Akteur könnte die Erklärung liefern für eine ganze Reihe von Anomalien an den Anlagemärkten: Warum viele Kurse auffällig zurückblieben, die einflussreichen Tech-Titel aber stiegen. Wieso sich die Corona-Lage eingependelt hat, spezielle Angstbarometer an der Börse aber immer stärkere Nervosität messen. Und warum immer wieder einzelne Titel überdimensional aufrauschen.
Viele Investoren nämlich haben seit dem Wochenende einen unglaublichen Verdacht: Könnte am Ende ein einziger Investor die weltweit tonangebenden Börsenkurse der US-Techgiganten maßgeblich nach oben befördert haben?
Hat ein japanischer Investor die US-Kurse getrieben?
Manche meinen nun, jenen Börsen-Wal gefunden zu haben, der mit verborgenen Geschäften große Marktmacht ausgeübt haben könnte. Wenn es nach der Analyse einiger Investoren geht, dann dürfte ein freundlicher Mann mit schütterem Haar mindestens mitverantwortlich sein für die Techwelle an der Börse - über Geschäfte in einem hochspeziellen Winkel des Finanzsystems. Denn der Chef der bekannten, japanischen Investmentgesellschaft Softbank dürfte im großen Stil am Optionsmarkt spekuliert haben lassen, so legen es Recherchen der Financial Times und des Wall Street Journal nahe. "Die Umsätze mit solchen Papieren waren in den vergangenen Wochen schon unnatürlich hoch", sagt Techexperte Christoph Schmidt von Fegra Capital.
Für vier Milliarden Dollar nämlich soll die bekannte japanische Investmentgesellschaft Softbank am Optionsmarkt eingekauft haben. Das Geschäft mit Optionen gilt vielen Börsenexperten als eine Art Wettbüro des Kapitalmarkts, für Laien ist es manchmal kaum zu durchschauen. Erwerben Anleger zum Beispiel sogenannte Call-Optionen, können sie eine bestimmte Aktie wenig später zu einem vorher festgelegten Preis kaufen - das lohnt sich, wenn die Kurse über eine bestimmte Marke schießen. Solche Optionen sind besonders billig, je weiter diese Marke vom aktuellen Kurs entfernt liegt und je kürzer die Restlaufzeit der Papiere ist.
Heißt konkret: Anleger haben dann besonderes Glück, wenn sich innerhalb nur weniger Tage ein heftiger Kurssprung ereignet. Mit Optionen, die manchmal nur Centbeträge kosten, können sie dann große Gewinne machen.
Eine selbsterfüllende Prophezeiung an den Börsen
Laut den Recherchen der beiden Finanzzeitungen soll Softbank im Laufe der vergangenen Monate Optionen auf Aktien großer US-Techkonzerne für rund vier Milliarden Dollar gekauft haben. Das klingt nach einer vergleichsweise kleinen Summe, doch auf der anderen Seite der Optionen sollen Aktien im Wert von wohl 50 Milliarden Dollar gestanden haben.
Und an der Börse, so mutmaßen manche, könnten die Optionen überdies gar für eine selbsterfüllende Prophezeiung gesorgt haben. Denn mit ihren Options-Orders könnte Softbank einige Verkäufer der Papiere schlicht in die Enge getrieben haben: Will der Käufer irgendwann nämlich seine Option ausüben, müssen die Verkäufer der Option dem Käufer die Apple-Titel auch liefern können. Dazu müssen sich die Options-Verkäufer mitunter aber selbst erst mit den Papieren eindecken. Warten sie damit zu lange, könnten die Kurse der Aktien vereinfacht gesagt aber noch höher steigen und die Angelegenheit für die Handelshäuser teurer machen. Also haben manche mutmaßlich schnell die Aktien gekauft, rein zur Sicherheit. "Und manchmal reicht ja schon der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, um Kurse zu bewegen", sagt Techexperte Schmidt. Gerade im Sommer, wenn an den Börsen oft weniger los ist. Baut sich die Welle an der Börse dann aber erst einmal auf, kaufen auch Handelsalgorithmen - und zum Schluss ziehen Privatanleger mit.
Auch wenn viele Anleger hierzulande noch nie etwas vom japanischen Softbank-Konzern gehört haben dürften, ist sie in Finanzkreisen eine große Nummer. In den vergangenen Jahren hat Softbank Hunderte Millionen Euro in Firmen auf der ganzen Welt investiert, viele davon Start-ups oder Techunternehmen. Softbank ist unter anderem in die Fahrdienstvermittler Uber und Grab investiert, von denen man sich erhofft, dass sie die moderne Mobilität umkrempeln. Mit Sprint steckt Geld von Softbank in einer Firma, die in der Mobilfunkbranche beheimatet ist, und mit Slack in einen Chatdienst für Unternehmen.
Softbank tätigt große Investments - und umstrittene
In Deutschland ist Softbank über ihren Vision Fund bereits 2018 beim Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 eingestiegen und hat die Firma kurzerhand zu einem der am besten bewerteten Start-ups Europas gemacht. Aufsehen erregte vor rund einem Jahr auch ein komplizierter Deal zwischen Softbank und Wirecard. Softbank hatte dem einst bejubelten Zahlungsdienstleister über ein komplexes Finanzkonstrukt eine Finanzspritze von rund 900 Millionen Euro verschafft.
Dass der umstrittene japanische Investor jedoch alleine für den Börsenaufschwung verantwortlich sein soll, halten manche für eines der vielen übertriebenen Gerüchte am Parkett. "Der direkte Einfluss auf den Gesamtmarkt scheint mir relativ gering", sagt Marktexperte Andreas Lipkow von der Bank Comdirect. Denn nicht nur die Softbank hat mit Milliardensummen am Optionsmarkt spekuliert, auch amerikanische Privatanleger spielen auf Handelsapps wie Robinhood zunehmend mit.
Daten des Analysehauses Sentimentrader zeigen, dass sie allein in den vergangenen vier Wochen mit rund 40 Milliarden Dollar Call-Optionen kauften. Zum Vergleich: Die japanische Softbank soll nur vier Milliarden an den Optionsmarkt geschoben haben. Zusätzlich haben viele Privatkunden die Aktien der Techgiganten schlicht direkt gekauft, mitunter nur zum Teil mit eigenem Geld - und den Rest über Kredite finanziert. "Das macht sich in der Masse dann schon bemerkbar", sagt Experte Lipkow.
Vielleicht hat der Börsen-Wal die Welle also bloß angeschoben.