Raumfahrt:Sie wollten eine Woche weg sein, jetzt werden acht Monate daraus

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„Es ist ein Testflug, sie kannten die Risiken“: die beiden Astronauten Butch Wilmore (links) und Suni Williams auf der "ISS". (Foto: Uncredited/NASA/AP/dpa)

Gestrandet im All: Weil Boeings „Starliner“-Raumschiff Probleme bereitet, sind zwei Nasa-Astronauten jetzt schon fast drei Monate an Bord der ISS. Nun gibt es einen Rückkehrtermin, aber erst 2025 und nur mithilfe von Elon Musk.

Von Dieter Sürig

Vor Jahren kursierte mal eine Legende im Netz, wonach ein nigerianischer Astronaut im Zuge der Auflösung der Sowjetunion auf einer russischen Raumstation gestrandet sei. Er sammle Geld, um einen Rückflug mit der Sojus-Kapsel zur Erde zahlen zu können. Das Desaster um die jetzt auf der Raumstation ISS gestrandeten beiden Nasa-Astronauten erinnert an diese Legende, die Betrüger erfunden hatten, um von gutgläubigen Menschen Geld zu ergaunern. Nasa-Astronautin Suni Williams, 58, und ihr Kollege Butch Wilmore, 61, haben es zwar nicht nötig, Geld für ihr Rückflugticket zu sammeln. Die US-Raumfahrtagentur holt sie zurück – nur wie und wann?

Nach Monaten des Lamentierens hat die Nasa am Samstag bei einer Pressekonferenz eingestanden, dass die Pannen mit der Boeing-Astronautenkapsel CST-100 Starliner nicht so trivial sind wie bisher dargestellt. Die Konsequenz: Die beiden Raumfahrer können erst im Februar 2025 das Raumlabor auf 400 Kilometern Höhe verlassen und zurück zur Erde fliegen – und dies ausgerechnet mit der Kapsel Crew Dragon des Konkurrenten Space-X von Elon Musk. Aus einem einwöchigen Einsatz Anfang Juni würden damit acht Monate werden. Starliner soll im September ohne Besatzung in New Mexico landen. Es habe „zu viele Unsicherheiten“ gegeben, was das Verhalten der Triebwerke beim Abdocken von der ISS und beim Eintreten in die Erdatmosphäre betrifft, sagte Nasa-Manager Steve Stich. „Das Risiko für die Besatzung war einfach zu groß“.

Mag sein, dass die Verlängerung ihrer Mission die neuen Langzeitastronauten freut, womöglich dürfen sie auch noch einen Außeneinsatz an der Raumstation absolvieren. Doch die Angehörigen werden nicht sonderlich amused sein. Auf die Frage zu den Familien antwortete Nasa-Direktor Norm Knight erst ausweichend, dass die Astronauten schließlich Profis und darauf vorbereitet seien, in bestimmten Situationen gar ein Jahr auf der ISS bleiben zu müssen. „Es ist ein Testflug, sie kannten die Risiken“, aber sie seien mit wissenschaftlichen Aufgaben gut beschäftigt. „Es geht ihnen gut“. Und ja, ergänzte Knight, „ihre Familien liegen mir sehr am Herzen, ich weiß, dass dies für sie eine große Belastung ist“.

Pressekonferenzen der Nasa sind bekannt dafür, dass mindestens vier Manager das Erreichte in höchsten Tönen loben, bevor ein fünfter endlich sagt, worum es eigentlich geht. Am Samstag gab es kein Herumeiern: Nasachef Bill Nelson saß selbst in der Runde, was ungewöhnlich ist, und sagte: „Die Nasa hat entschieden, dass Butch und Suni im Februar nächsten Jahres mit Crew 9 zurückkehren werden und dass Starliner ohne Besatzung zurückkehren wird“.

Die Nasa-Astronauten Butch Wilmore (links) und Suni Williams am 5. Juni in Cape Canaveral/Florida. Auch der erste Start mit Besatzung gelang wegen diverser Pannen erst nach mehreren Anläufen. (Foto: Chris O'Meara/dpa)

Die Entscheidung der Nasa hat auch Auswirkungen auf die Mission Crew 9, die schon vor einer Woche mit vier Astronauten in der Crew Dragon zur ISS hätte starten sollte. Nun findet der Flug frühestens am 24. September statt - mit nur zwei Astronauten, um auf dem Rückflug Platz für die gestrandeten Astronauten zu haben. Dafür soll die Kapsel Ausrüstung, Verpflegung und Space-X-kompatible Kleidung für Suni Williams und Butch Wilmore mitbringen. Sie werden die Aufgaben der beiden „Nichtflieger“ übernehmen.

Die Nasa will am „Starliner“-Programm festhalten

Hersteller Boeing hat bereits genug Probleme mit seinen Passagierflugzeugen. Jetzt tritt ein weiterer worst case ein: Zwei Astronauten wollten einen Testflug mit dem Starliner zur ISS machen, haben offensichtlich ihr Leben riskiert und fliegen erst in einem halben Jahr mit der Erfolgskapsel der Konkurrenz zurück. Der Gesichtsverlust für Boeing ist groß. Bill Nelson gab aber gleich mehrfach zu Protokoll, dass die Nasa an der Pannen-Kapsel festhalten werde, um zwei Systeme zu haben. Nelson erinnerte auch an die Beiträge Boeings zur ISS und für die neue Mondrakete SLS. Nasa-Manager Ken Bowersox sprach von einer guten Partnerschaft. „Wenn sie Probleme haben, bewerfen wir sie nicht einfach mit Steinen oder sagen ihnen, dass wir sie nicht mögen, sondern wir arbeiten mit ihnen zusammen, um diese Probleme zu beheben.“ Dass am Samstag trotzdem kein Boeing-Manager an der Runde teilnahm, begründete er damit, dass es hier um eine Nasa-Entscheidung gehe.

Das Boeing-Raumschiff "Starliner" ist seit Anfang Juni an die Raumstation ISS angedockt. (Foto: Uncredited/Nasa/AP/dpa)

Die Nasa hatte bislang behauptet, dass die Astronauten keineswegs gestrandet seien. Es seien Tests am Versorgungsmodul des Starliner nötig, um Heliumlecks zu untersuchen, hieß es seit Anfang Juni in diversen Pressekonferenzen. Da das Modul vor der Rückkehr der Kapsel abgetrennt werde und dann in der Erdatmosphäre verglühe, müssten die Astronauten noch warten. Außerdem hangelte sich die Nasa in ihrer Erklärungsnot wochenlang an Bodentests entlang, um den Ausfall von fünf kleinen Navigationstriebwerken an der Kapsel beim Andocken an die ISS zu untersuchen. „Wir haben die unglaubliche Chance, mehr Zeit an der Raumstation zu verbringen und mehr Tests zu machen, was uns wertvolle, einzigartige Daten liefert“, beschönigte Boeing-Programmmanager Mark Nappi die Situation Ende Juni.

Wegen des Endes des Space Shuttles 2011 hatte die Nasa etwa 8,4 Milliarden Dollar investiert, um sich unabhängig von der russischen Sojus-Kapsel zu machen. Boeing erhielt im Laufe des Programms 4,8 Milliarden Dollar, Space-X 3,1 Milliarden Dollar. Space-X hat nach dem ersten Testflug mit zwei Astronauten seit 2020 bereits acht Nasa-Astronautencrews sowie drei private Crews der US-Firma Axiom Space zur ISS gebracht. Bei Boeing gab es schon 2019 beim ersten Testflug der leeren Starliner-Kapsel Probleme.

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