Nahverkehrs-Chaos in Berlin:Der Sündenbock heißt Deutsche Bahn

Der Ärger über das Berliner S-Bahn-Chaos ist groß: Die Kunden schimpfen, der Bund prangert die Deutsche Bahn an - und der Berliner Senat droht mit Konsequenzen.

D. Kuhr

Die Bundesregierung hat die Deutsche Bahn wegen der chaotischen Zustände bei der Berliner S-Bahn scharf kritisiert. Sie werde "ihrer Verantwortung für einen reibungslosen Verkehr nicht gerecht", sagte der Sprecher von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) am Mittwoch in Berlin. "Wir erwarten einen Wechsel in der Politik der Bahn." Es müssten wieder Zustände hergestellt werden, "die der westlichen Zivilisation angemessen sind".

Wegen Sicherheitsmängeln an den Zugachsen verkehrt die Berliner S-Bahn, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG (DB), schon seit Wochen nur noch eingeschränkt. Eigentlich wollte sie vom 14. September an wieder mehr Züge fahren lassen, doch am Montag entdeckte das Unternehmen bei einer Routinekontrolle plötzlich massive Mängel bei den Bremszylindern, weil Schrauben seit Jahren nicht vorschriftsgemäß ausgetauscht worden waren. Seither ist nur noch ein Viertel der Flotte im Einsatz. Der eilig eingerichtete Notfallfahrplan funktioniert bislang nicht, sodass viele Fahrgäste auf U-Bahn, Bus, Taxi oder Fahrrad ausweichen mussten.

In den vergangenen Jahren hatte es bei der Berliner S-Bahn einen rigiden Sparkurs gegeben. Dazu gehörte auch, dass die Zahl der Werkstätten und das Personal reduziert wurden. In der Folge konnte die S-Bahn dem an die Börse strebenden Mutterkonzern Deutsche Bahn satte Gewinne überweisen: allein im vergangenen Jahr mehr als 50 Millionen Euro. Doch diese Zeiten dürften vorbei sein.

Die Berliner Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) kündigte an, dass das Land im September von der vertraglich vereinbarten Abschlagszahlung 15 Millionen Euro einbehalten werde. Weil die S-Bahn nur ein Viertel der geschuldeten Leistung erbringt, sollen nur fünf statt 20 Millionen Euro überwiesen werden. Im Juli hatte das Land wegen der Probleme mit den Zugachsen schon einmal sieben Millionen Euro einbehalten. Noch in dieser Woche will Junge-Reyer beginnen, mit dem Vorstand der Bahn den bis 2017 laufenden Vertrag "nachzuverhandeln". So will sie mehr Möglichkeiten, um bei schlechter Leistung Zahlungen zu reduzieren.

Teures Chaos

Das S-Bahn-Chaos wird für die Bahn damit immer teurer. Allein die bislang versprochenen Entschädigungen für die Kunden belaufen sich nach Angaben eines Bahn-Sprechers auf 25 Millionen Euro. Hinzu kommen die Kosten für zusätzliche Wartungen sowie die ausgetauschten Bauteile. Der Schaden könnte insgesamt leicht an einen dreistelligen Millionenbetrag heranreichen, zumal Politiker jetzt, nach den neuerlichen Zugausfällen, weitere Entschädigungen für die Fahrgäste fordern. Der Personenverkehrsvorstand der Deutschen Bahn, Ulrich Homburg, macht sich keine Illusionen: "Gehen Sie mal davon aus, dass sich die Frage nach einem Gewinn der Berliner S-Bahn in diesem Jahr nicht stellt."

Auf Schadensersatz von den Herstellern braucht die Bahn nicht zu hoffen. Bei den Problemen mit den Zugachsen der S-Bahnen ist die Gewährleistungsfrist bereits abgelaufen. Und die Probleme mit den Bremszylindern sind hausgemacht. Nach bisherigen Erkenntnissen geht die Bahn davon aus, dass es seit dem Jahr 2004 eine Anweisung von Vorgesetzten gegeben hat, die Schrauben entgegen den Vorschriften nicht auszutauschen. Die Konzernrevision prüft noch. Personenverkehrsvorstand Homburg hatte angekündigt, die Vorfälle "lückenlos" aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt ebenfalls.

Vorwürfe, die Börsenpläne der Regierung und der damit verbundene Kostendruck seien verantwortlich für das Chaos, wies der Sprecher von Verkehrsminister Tiefensee zurück. Die Privatisierung an sich führe nicht dazu, dass ein Unternehmen seine Verantwortung nicht mehr wahrnehme, sagte er. Die Gewerkschaft Transnet beantragte eine Sondersitzung des S-Bahn-Aufsichtsrats für Ende September. "Eine Reorganisation der gesamten Instandhaltung ist nötig", sagte Gewerkschafts-Vorstand Reiner Bieck.

Unterdessen tagte am Mittwoch auch der Aufsichtsrat des Konzerns. In der turnusmäßigen Sitzung ernannte das Gremium Volker Kefer, bislang Vorstand der Bahntochter DB Netz AG, zum neuen Vorstand für Technik und Dienstleistungen. Das Ressort hatte Bahn-Chef Rüdiger Grube als Konsequenz aus den diversen technischen Problemen bei der Bahn eigens geschaffen.

Der Aufsichtsrat befasste sich auch mit dem geplanten Stellenabbau bei der Güterverkehrstochter der Bahn. Angeblich sollen dort bis zu 6000 Stellen abgebaut werden, der Konzern selbst allerdings will nicht von konkreten Zahlen sprechen. Da bis Ende 2010 eine Beschäftigungsgarantie existiert, wird ohnehin vorerst niemand entlassen. Auch danach sollen die Mitarbeiter möglichst konzernintern versetzt werden. Die Gewerkschaft Transnet kündigte an, ohne konkretes Sanierungskonzept werde sie die Pläne zum Stellenabbau blockieren.

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