Corona-Krise:Nahverkehrsbetriebe fordern Milliardenhilfen
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Vielen Verkehrsunternehmen drohen dramatische Finanzlücken: Allein dieses Jahr fehlen der Branche fünf bis sieben Milliarden Euro. Das könnte auch Folgen für die Bürger haben.
Markus Balser, Berlin
Seit ein paar Jahren gilt bei den Berliner Verkehrsbetrieben eigentlich die Losung, bloß nichts zu ernst zu nehmen. Auf Plakaten riet die BVG dem US-Präsidenten Donald Trump schon mal, Busfahrer in Berlin zu werden: "Du gibst die Richtung vor." Aber: "Niemand erwartet Taktgefühl von dir". Doch in der Corona-Krise bleibt die BVG zurückhaltend. Die Berliner U-Bahnen seien nun wohl die Limousinen der Systemrelevanten, twittern die Verkehrsbetriebe. Die Krise ist auch für die BVG kein Spaß mehr. Angesichts leerer Busse und Bahnen brechen große Teile der Einnahmen weg.
Die seit März geltenden Ausgangsbeschränkungen haben die Nahverkehrsbranche in ganz Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt: "Die Verkehrsunternehmen haben im März und April einen Fahrgastrückgang von bis zu 90 Prozent verzeichnet", sagt Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der Süddeutschen Zeitung. In diesem Zeitraum habe die Branche monatlich bis zu einer Milliarde Euro an Fahrgeldeinnahmen verloren. Gleichzeitig aber müssten die Betriebe meist bis zu 75 Prozent der Fahrten anbieten. Sie sind angehalten, weiter zu fahren, um etwa medizinisches Personal zur Arbeit zu bringen. Und das mit vielen Zügen, damit sich die Fahrgäste besser verteilen. Die Folge: Einnahmen fehlen, die Kosten aber bleiben hoch.
Nun schlägt der VDV Alarm. Wolff spricht von einer "nie dagewesenen Situation". Ohne Finanzhilfen bestehe die Gefahr, dass die Betriebe die Daseinsvorsorge nicht aufrechterhalten könnten. Der Verband hat in zwei Szenarien ausgerechnet, wie stark die Krise zu Buche schlägt: Selbst im günstigsten Fall - einem raschen Ende des Lockdowns Ende April und einer Normalisierung nach den Sommerferien - würden Ende des Jahres fünf Milliarden Euro in den Kassen der Betriebe fehlen.
Bei einem Lockdown bis Ende Mai und einer längeren Übergangsphase summiere sich der Verlust in diesem Jahr sogar auf bis zu sieben Milliarden Euro. "Über einen längeren Zeitraum ist das wirtschaftlich nicht durchzuhalten", warnt Wolff, der für 600 Mitgliedsunternehmen seines Verbands spricht, darunter die Verkehrsbetriebe der großen deutschen Städte. "Als Branche der öffentlichen Daseinsvorsorge machen wir keine Gewinne im klassischen Sinne und haben daher keine Rücklagen für solche Fälle."
Damit drohen ernste Konsequenzen für die Bürger. "Es muss eine Kompensation für die wegbrechenden Fahrgeldeinnahmen geben", fordert der VDV-Geschäftsführer. "Denn sonst müsste angesichts der fehlenden Gelder das Bus- und Bahnangebot bald gekürzt werden, obwohl wir angesichts der kommenden Schul- und Geschäftsöffnungen wieder mehr fahren müssen", warnt Wolff.
Der Verband schlägt deshalb eine Art Rettungsschirm vor. Die bereits existierenden staatlichen Fördermittel sollten aufgestockt werden, um die Lücke zu schließen. Der VDV empfiehlt, dass die Betriebe die Differenz zwischen den Einnahmen 2019 plus Tariferhöhung und den Einnahmen 2020 abzüglich der geringeren Kosten bekommen. So werde eine Überkompensation mit Fördergeldern verhindert. Eine Schieflage der Betriebe hätte auch nach der Krise schwere Folgen: Vor allem wachsende Städte müssen weiter größere Menschenströme durch die Städte bugsieren.
Die ersten Bundesländer stellen bereits Hilfen in Aussicht. Viele Bus- und Bahnunternehmen drohten, die Corona-Krise nicht zu überleben, weil ihnen derzeit und in den kommenden Wochen erhebliche Summen an Fahrgeldeinnahmen wegbrechen, warnt etwa Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Für die Mobilität der Menschen und auch für die Wirtschaft seien sie aber enorm wichtig: "Ein funktionierendes öffentliches Verkehrssystem muss dringend erhalten werden."