Nahrungsmittelindustrie:Empören und weiteressen

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Empörung über Dioxin-Eier? Schon wieder vergessen.

(Foto: dpa)

Sie ekeln sich, empören sich - und kaufen doch: Viele Verbraucher lassen sich von Lebensmittelskandalen kurz abschrecken. Und machen weiter wie bisher - warum eigentlich?

Von Ingrid Fuchs

Wahnsinnige Rinder. Pferde in der Lasagne. Eier mit Dioxinspuren. Fälle, von denen jeder einzelne schon ausreichend Ekel- oder zumindest Erschütterungspotential besitzt, um sich schaudernd, kopfschüttelnd und womöglich für immer vom jeweiligen Produkt abzuwenden. Nur: Es gibt inzwischen so viele wie regelmäßige Skandale, dass kaum noch jemand weiß, was er noch konsumieren darf und was nicht. Nach jedem neuen Fall nehmen wir uns zumindest vor, da nicht mehr mitzumachen. Die Halbwertszeit dieses Vorsatzes ist bei den meisten von uns aber ziemlich kurz. Beispiele gefällig?

Recherche

"Erst das Fressen, dann die Moral - wie sollen wir uns künftig ernähren?" Diese Frage hat unsere Leser in der vierten Abstimmungsrunde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von zahlreichen Beiträgen, die sie beantworten sollen. Alles zur Recherche zu Fressen und Moral finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Als Forscher im April 1996 erstmals offiziell von einem Zusammenhang zwischen BSE und den damals an Creutzfeldt-Jakob erkrankten Menschen sprachen, wirkte sich das spürbar auf die Nachfrage nach Rind- und Kalbsfleisch sowie Wurstwaren aus. Die Nachricht von BSE-erkrankten Rindern in Deutschland im Jahr 2000 führte zu einem noch stärkeren Einbruch des Rindfleisch-Absatzes - um etwa 70 Prozent auf dem deutschen Markt. In beiden Fällen erholte sich die Nachfrage innerhalb weniger Monate.

Am Anfang steht also eine für den gewöhnlich eher trägen Verbraucher ziemlich heftige Reaktion, die aber wenig nachhaltig ist. Nach Bekanntwerden des ersten BSE-Falls in Deutschlands, im Januar 2001, machte das Institut für Demoskopie Allensbach eine repräsentative Umfrage unter deutschen Verbrauchern. Das Ergebnis: Etwa 87 Prozent fühlten sich in der Hochphase der Krise nicht ausreichend geschützt - und doch verzichteten nur 32 Prozent der Befragten nach eigenen Aussagen auf Rindfleisch. 35 Prozent sagten, weniger Rindfleisch zu konsumieren und etwa ein Viertel veränderte: nichts.

Rinderwahn oder Verbraucherwahnsinn?

Dabei zählt die BSE-Krise nicht einmal zu den klassischen Lebensmittelskandalen. Denn einen Skandal macht aus, dass ein rechtlicher und/oder moralischer Verstoß vorliegt. Bei der Rinderseuche waren zwar die Kontrollen vermutlich zu lasch, das mag an einen rechtlichen Verstoß grenzen. Doch die Behörden reagierten relativ schnell und umfassend.

Die Gefährdung für Verbraucher war real, eine Skandalisierung, etwa durch die Medien, quasi nicht nötig. (Genauer nachzulesen in einem Beitrag für die Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft, dabei geht Autor Axel Philipps auf "Lebensmittelskandale und Verbraucherhandeln" ein, S.487ff)

Lauter Aufschrei, wenig Konsequenzen

Auch jüngere Fälle haben vor allem für einen lauten, kurzen Aufschrei gesorgt, aber wenig Konsequenzen nach sich gezogen. Als Anfang 2011 bekannt wurde, dass sich Dioxin im Futtermittel von Hühnern befand, ging der Verkauf von Eiern drastisch zurück, wie eine Studie der Arag zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Emnid belegte. Bei unbelasteten Bio-Eiern habe es in Supermärkten dagegen Engpässe gegeben. Zumindest kurzfristig eine erstaunliche Reaktion, angesichts der Tatsache, dass anders als bei der BSE-Krise keine sofortige, dauerhafte Gefahr für den Menschen bestand.

Auf die Frage nach der Reaktion auf so einen Skandal, antwortete etwa jeder Fünfte, schon einmal das Ess- und Einkaufsverhalten nach einem Lebensmittelskandal geändert zu haben. Von längerer Dauer waren die guten Vorsätze aber nur bei 11,4 Prozent der Befragten.

Fast schon bizarr liest sich eine Umfrage von Innofact vom Februar 2013, in der die Verbraucher zwar ihre Vorbehalte ausdrückten, gleichzeitig aber sagten, fast nichts an ihrem Verhalten geändert zu haben. Anlass war Pferdefleisch, das in Tiefkühl-Lasagnen gefunden worden war. Befragt wurden 1022 Verbraucher ab 20 Jahren. 27 Prozent gaben an, Fertiggerichte "im Moment nur mit Bedenken" zu kaufen und zu essen, 14 Prozent sogar mit großen Bedenken. 18 Prozent haben beim Kauf und Verzehr von Tiefkühlprodukten ein mulmiges Gefühl. Andere Lebensmittel, die zuvor von Skandalen betroffen waren, wie eben Eier, mit Acrylamid belastete Snacks wurden dagegen überwiegend wieder ohne Besorgnis konsumiert.

Wenn reale Gesundheitsgefährdung und echter Ekel nur überschaubare Reaktionen auslösen, wie reagieren Verbraucher in anderen Fällen - etwa, wenn es "nur" um emotionale oder moralische Fragen geht? Gentechnik, Bezahlung von Lieferanten, Sozialverträglichkeit?

Regelmäßige Schlagzeilen, wachsender Erfolg

Ein skandalumwittertes Beispiel ist ein Konzern, dessen Produkte vermutlich in fast jedem Kühlschrank zu finden sind: die Unternehmensgruppe Theo Müller. Dazu gehören Namen wie Homann und Nadler, Weihenstephan, Nordsee und natürlich Müller Milch. Das Unternehmen beliefert verschiedene Discounter, unter ihnen die beiden Riesen Aldi und Lidl, mit Molkereiprodukten. In den vergangenen Jahren hat die Müller-Gruppe mit zuverlässiger Regelmäßigkeit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, Prozesse geführt und manchmal auch gewonnen. Nicht alle Anschuldigungen waren gerechtfertigt.

  • Im Jahr 2004 begann die Debatte um Gen-Milch. Greenpeace warf dem Unternehmen vor, die Milchkühe einiger Lieferanten bekämen gentechnisch verändertes Futtermittel und belegte dies anhand von Stichproben. Müller Milch bestritt das nicht und verwies lediglich auf die Verantwortung der Landwirte. Seither darf Greenpeace im Zusammenhang mit Müller von "Gen-Milch" sprechen. Trotz Kritik, dass es sich dabei um Verbraucher-Täuschung handle, weil der Begriff suggeriere, an der Milch selbst habe es gentechnische Veränderungen gegeben, hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2008 den Begriff weiter erlaubt.
  • Im Jahr 2005 zettelte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Diskussion darüber an, ob die Müller Gruppe zu Unrecht Subventionen vom Staat erschleiche. Die Anschuldigung des BUND: Durch den Bau einer neuen Produktionsstätte habe das Unternehmen zwar neue Stellen geschaffen - eine der Voraussetzungen für den Erhalt von Subventionen - dafür seien an einem anderen Standort aber gleichzeitig noch mehr Arbeitsplätze abgebaut worden. Zu einer Anzeige kam es zwar nie, ein fader Beigeschmack aber blieb.
  • Negative Schlagzeilen machte Müller Milch im Jahr 2008, als es um die Bezahlung der Milchbauern ging. Die Molkerei soll versucht haben, Hunderte Landwirte unter Druck zu setzen und so die Verhandlungen über die Milchpreise zu beeinflussen. Die Bauern lehnten sich gegen die Taktik der Molkerei auf, mit vielen Landwirten kam es zum Bruch.
  • Immer wieder wurde kritisiert, dass auf Produkten aus Weihenstephan lange Zeit die Bezeichnung "Staatliche Molkerei Weihenstephan" zu lesen war - obwohl das Unternehmen bereits im Jahr 2000 von der Müller-Gruppe aufgekauft worden waren. Stichwort: irreführende Markenbezeichnung.

Eine beachtliche Liste fragwürdigen Verhaltens. Der Müller Group scheint das jedoch nicht geschadet zu haben, genauso wenig wie einem anderen Großkonzern, dessen Chef sich fragwürdig verhalten hat, aber dafür ebenfalls kaum abgestraft wurde. Im Herbst vergangenen Jahres hat Nudel-Unternehmer Guido Barilla erklärt, warum er keine Schwulen in seiner Werbung haben will: weil er die "traditionelle" Familie unterstütze. Wenn nicht die Gesundheit der Konsumenten auf dem Spiel steht, wenn es als nur um Fragen geht, wie sie sich etwa auch bei Kleidung oder anderen Konsumgütern stellen, dann zeigt der Verbraucher seine phlegmatische Seite.

Festhalten an Einkaufsgewohnheiten

Warum tun wir nichts? Glaubt man Gerd Billen, dem früheren Chef der Bundesverbraucherzentrale, haben die Verbraucher viel Macht. Vielleicht sogar genug Macht, etwas zu ändern. Einkaufsentscheidungen wirken sich oft unmittelbar auf den Handel aus; nur sind die Entscheidungen selten konsequent genug, "die allermeisten von uns fallen in ihre traditionellen Einkaufsgewohnheiten zurück", sagt Billen.

Bei der BSE-Krise und dem Dioxin-Skandal gab es heftige Reaktionen, die der Verbraucher aber nur kurz durchhielt. Warum gelingt es den Menschen nicht, ihr Verhalten nachhaltig zu ändern. Zum einen, weil die Verantwortlichen tatsächlich reagieren und die Situation sich verändert. Zum anderen, weil die Verantwortlichen Besserung geloben und wir Verbraucher das dankbar annehmen, um unsere liebgewonnenen Gewohnheiten wieder ungestört weiterleben zu können.

Angesichts des undurchschaubaren Systems dieser Lebensmittelwelt ist eines der größten Probleme am Projekt Veränderung aber vermutlich die Frage: wo anfangen? Es würde helfen, wenn es eine zentrale vertrauenswürdige Stelle gäbe, die uns über Herkunft und Qualität von Lebensmitteln aufklären könnte; über die Marken die dahinter stecken; die Produktionsweisen. Gibt es aber nicht, zumindest noch nicht. Also müssen wir selbst entscheiden.

Linktipps:

Die Recherche zu Landwirtschaft und Ernährung: Kein Fressen ohne Moral

"Erst das Fressen, dann die Moral - wie sollen wir uns (künftig) ernähren?" Das wollten unsere Leser in der vierten Runde unseres Projekts Die Recherche wissen. Mit einer Reihe von Beiträgen beantworten wir diese Frage.

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