Jahrelang hat die Ernährungsindustrie gegen eine einfache Kennzeichnung von Lebensmitteln mit Hilfe von Farben gekämpft. Die von Verbraucherschützern geforderte Ampel galt als völlig inakzeptabel.
Kommt nun plötzlich die Kehrtwende? Zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus. Nestlé, Coca-Cola, Unilever und drei weitere Konzerne werben seit Kurzem auf EU-Ebene für Farbenlehre im Ladenregal.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Industrie-Ampel wenig gemein hat mit dem ursprünglich angedachten Modell, das vor ungesunden Dickmachern warnen sollte.
Tatsächlich kommen beide Modelle zu unterschiedlichen Angaben bei der Frage, ob ein Produkt zu viel Fett, Zucker oder Salz enthält. Das zeigt ein Vergleichstest der Verbraucherorganisation Foodwatch, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Der Inhalt konnte nicht geladen werden.
Ein Brotaufstrich wie Nutella (Ferrero), der vor allem Zucker und Fett enthält, würde demnach mit der Industrie-Ampel zu einem halbwegs gesunden Produkt. Statt roter Punkte, die ein "zu viel" an Fett und Zucker signalisieren, gäbe es nur gelbe, was so viel wie "gerade noch akzeptabel" bedeutet.
Auch Funnyfrisch-Chips (Intersnack) würden, trotz des hohen Fett- und Salzanteils, keinen roten Warnhinweis tragen. Ähnlich verhält es sich bei Tuc-Keksen (Mondelez), Becel Margarine (Unilever) sowie Cini Minis Flocken für Kinder (Nestlé).
Doch wie kommen die unterschiedlichen Ergebnisse zustande? Die Originalampel berechnet die Farbwerte auf der einheitlichen Grundlage von 100 Gramm oder 100 Millilitern.
Das Industriesystem dagegen zeigt Verbrauchern die Nährwerte einer Portion an. Was genau eine Portion ist, das aber legen die Hersteller, je nach Produktkategorie, selbst fest.
Im Fall eines Lion-Schokoriegels (Nestlé) wären das 30 Gramm. Ein unrealistisches Maß, denn verkauft wird ein einzelner Riegel in Packungen mit 42 oder 65 Gramm, und das liegt deutlich über der angegebenen Portionsgröße.
Für den Foodwatch-Mann Oliver Huizinga ist die Industrie-Ampel deshalb schlicht irreführend, "hier wird eine eigentlich sinnvolle Idee mit einer Pseudo-Ampel von der Industrie ad absurdum geführt."
Sein Vorwurf: Die Lebensmittelkonzerne wollen ihre Produkte gesünder aussehen lassen, als sie in Wahrheit sind. "Das darf nicht zum europäischen Standard werden", warnt er.
Doch genau dieses Ziel verfolgen Coca-Cola, Mars, Mondelez, Nestlé, Unilever und PepsiCo, die global zu den Größten ihrer Branche zählen. Ende November stellten sie ihren Vorschlag einem der Arbeitsgremien der EU-Kommission vor.
Hersteller sollen angeregt werden, ihre Rezepturen zu überarbeiten
"Aktuell wird das Feedback verschiedener Stakeholder eingeholt, bevor über die nächsten Schritte entschieden wird", sagt eine Nestlé-Sprecherin. Ziel sei letztendlich aber eine europaweit einheitliche Kennzeichnung, hieß es dort weiter. Der Vorwurf der Verbrauchertäuschung wird zurückgewiesen.
Vielmehr gehe es darum, "Verbraucher auf einen Blick bei einer informierten Auswahl zu unterstützen". Durch den portionsbezogenen Ansatz sollten Hersteller außerdem dazu angeregt werden, Rezepturen zu überarbeiten und kleinere Portionsgrößen anzubieten, so die Sprecherin.
Kritik an der Industrie-Ampel kommt auch vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Es gebe schließlich kein einheitliches Verständnis darüber, was "eine Portion" sei. Mit dem Vorschlag werde vielmehr der Vergleich des Nährstoffgehalts verschiedener Lebensmittel sogar erschwert.
Die Verbraucherschützer fordern die Firmen auf, für ihr Ampelmodell einheitliche Werte von 100 Gramm oder 100 Millilitern anzuwenden, um Produkte vergleichbar zu machen.
Auf diese Mengen müssen sich innerhalb der Europäischen Union auch die Nährwertangaben auf verpackten Lebensmitteln beziehen. Die Angaben für die einzelnen Inhaltsstoffe sind für Laien schwer verständlich, eine zusätzliche Ampelkennzeichnung könnte das vereinfachen. Zumindest in diesem Punkt sind sich Lebensmittelindustrie und Verbraucherschützer inzwischen einig.