Am Anfang waren ein milder Winter und jede Menge Zuversicht. Die Farmer im Mittleren Westen der USA brachten ihre Saat früher aus als sonst; schon im März bestellten die ersten ihre Felder. Doch nun ist die Zuversicht der Angst gewichen: Der Winter, der so wenig Schnee und Frost brachte wie lange nicht mehr, hat sich als Vorbote einer katastrophalen Dürre erweisen. Auch in anderen Regionen dieser Erde, etwa in Indien, Russland oder der Ukraine, zeichnen sich erhebliche Ernteausfälle ab.
Mais war am Freitag an den Rohstoffbörsen so teuer wie nie zuvor. Kurz zuvor hatten die USA ihre Ernteprognose noch einmal gesenkt. Auch die Getreidenotierungen dürften bis Jahresende einen neuen Rekord markieren.
Das schürt die Angst vor Hungerrevolten, die das Ausmaß von 2007/2008 noch übertreffen könnten. Proteste erschütterten damals die Staaten in Afrika, Asien und im Nahen Osten. Der Welt drohe eine neue Nahrungsmittelkrise, warnt die Welternährungsorganisation FAO.
Darum entfacht ihr Chef José Graziano da Silva jetzt eine alte Kontroverse: die Debatte um den Biosprit. Denn der Preisrausch an den Börsen wird vor allem dadurch befeuert, dass 40 Prozent der amerikanischen Maisernte nicht auf dem Tisch, sondern im Tank landen. In einem Editorial für die Financial Times fordert Graziano da Silva die US-Regierung auf, die Ethanol-Produktion auszusetzen - und mischt sich in eine innenpolitische Kontroverse der USA ein.
Je länger die Dürre dauert, desto ungemütlicher wird die Lage
Die Vereinigten Staaten haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2022 soll die Menge des jährlich produzierten Biosprits schrittweise auf 136 Milliarden Liter steigen. Dafür wurden Raffinieren verpflichtet, mehr nachwachsende Rohstoffe einzusetzen.
Schon heute enthält das Benzin an amerikanischen Tankstellen einen zehnprozentigen Ethanol-Anteil. Das schafft eine feste Nachfrage, unabhängig von der Situation an den Agrarmärkten. Ein Problem in Zeiten wie diesen: Der Mais, der vergoren wird, fehlt der Lebensmittelindustrie und den Herstellern von Tierfutter.
Je länger die Dürre dauert, desto ungemütlicher wird die Lage für die Ethanol-Branche. Zwar sieht die US-Regierung bisher keinen Grund, die Beimischungsvorschriften zu ändern. Andere Amerikaner aber schon: Unterstützt von einer ungewöhnlichen Allianz von Agrarkritikern, Viehzüchtern und Vertretern der Ölindustrie hat der republikanische Abgeordnete Bob Goodlatte einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der die Ethanol-Pflicht stoppen würde, wenn das Maisangebot einen bestimmten Grenzwert unterschreitet.
Fronten im Biospritstreit laufen quer durchs Land
Die Fronten im Biospritstreit laufen quer durchs Land und die sonst so starren politischen Lager. Republikanische Rancher aus Texas, die unter den hohen Futterpreisen leiden, streiten mit konservativen Mais-Farmern in Iowa, für die die hohen Preise ein Segen sind, weil sie ihre geringe Ernte wenigstens teuer verkaufen können.
Die weltweit steigenden Mais- und Getreidepreise werden über kurz oder lang auch die Verbraucher in Deutschland zu spüren bekommen - wenn auch längst nicht in dem Ausmaß wie die Menschen in ärmeren Ländern. Getreidemühlen klagen bereits über hohe Einkaufspreise und Viehhalter über steigende Futterkosten. Brötchen, Fleisch und andere Lebensmittel könnten bald teurer werden, warnen Branchenvertreter.
Deshalb wächst auch hier die Kritik an der Bioenergiepolitik der Bundesregierung. Zwar haben die Bauern in diesem Jahr eine gute Ernte eingefahren, aber auch hierzulande werden immer mehr Pflanzen angebaut, um Energie zu erzeugen.
Drastisch zugenommen hat vor allem der Anbau von Mais. Der größte Teil davon landet nicht etwa im Futtertrog , sondern in Biogasanlagen, die vom Staat finanziell gefördert werden. "Das führt nicht nur zu Marktverzerrungen, sondern erhöht weiter den Druck auf die Böden", kritisiert Agrarökonom Detlef Virchow von der Universität Hohenheim.
Aber nicht allein die Nachfrage nach Energie, Nahrung und Futtermitteln steigt - was auf den Äckern wächst, wird zunehmend genutzt, um etwa Textilien, Medizin oder Verpackungsmaterial herzustellen. Diese sollen Produkte auf Erdölbasis ersetzen, weil der fossile Rohstoff knapp wird.
Getreideverbrauch für Bioethanol seit 2006 mehr als verdoppelt
Für den Wissenschaftler liegen die Konsequenzen auf der Hand. "Die Bundesregierung muss die Subventionen für Biogasanlagen und ihre Pläne für den Kraftstoff E 20 mit einem noch höheren Biomasseanteil stoppen", fordert Virchow, Leiter des Hohenheimer Zentrums für Ernährungssicherheit. Der umstrittene E-10- Sprit, der seit 2011 an deutschen Tankstellen verkauft wird, enthält bis zu zehn Prozent Bioethanol, das unter anderem aus Zuckerrüben oder Getreide gewonnen wird.
Alarmierend ist für Virchow, dass sich der weltweite Getreideverbrauch für Bioethanol seit 2006 mehr als verdoppelt hat. Mehr als sechs Prozent der Ernte landete 2010 in der Spritproduktion. Die USA liegen dabei weit über dem weltweiten Durchschnitt.
US-Landwirtschaftsminister Tom Vilsack sieht trotz der Dürre und ihrer verheerenden Folgen keinen Grund für einen Richtungswechsel. Im Gegenteil, er gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er von Biosprit spricht. "Millionen von Arbeitsplätzen" habe die Branche geschaffen. Auch für Präsident Barack Obama ist Ethanol Teil einer grünen Wachstumsstrategie.
Ethisch unvertretbar
Entwicklungspolitiker und immer mehr Umweltwissenschaftler fordern dagegen den Kurswechsel. Solange Menschen hungern, sei es ethisch unvertretbar, Ethanol aus Mais zu gewinnen. Obendrein ist es ökologisch wenig sinnvoll: Bei der Schaffung neuer Ackerflächen werden mehr Treibhausgase freigesetzt als bei der Verbrennung normalen Benzins.
Unumstritten ist nur dies: Biosprit ist ein florierendes Geschäft. Dass die USA ihre milliardenschweren Subventionen für Ethanol zu Jahresbeginn deutlich zurückgeschraubt haben, konnte den Boom nicht bremsen; wegen der hohen Ölpreise rentiert sich die Ethanol-Produktion auch so. Wenn die Ernte stimmt, vergären die Hersteller sogar weit mehr Mais, als gesetzlich vorgesehen sind. Der Überschuss fließt dann in den Export. 2011 waren die USA der weltgrößte Lieferant von Biosprit, noch vor der Agrarmacht Brasilien.
In diesem Jahr werden die Überschüsse allerdings drastisch schrumpfen. Einige Raffinerien haben die Ethanol-Produktion bereits eingestellt. Bei den hohen Mais-Preisen lohnt sich für sie das Geschäft nicht mehr.
Virchow von der Universität Hohenheim befürchtet gar, dass die USA in diesem Jahr sogar größer Mengen an Mais importieren werden, was die Lage an den Weltmärkten und der Menschen in ärmeren Ländern zusätzlich verschärfen würde. "Da kommt etwas Schlimmeres auf uns zu als 2008", befürchtet er.