Nahrungsmittel:Europäischer Käse

Italien will Käse nur aus Frischmilch machen. Die EU will dagegen auch Pulver zulassen, zum Wohl des Binnenmarkts. Gourmets, kleine Hersteller und Politiker sind empört - und organisieren den Protest.

Von Ulrike Sauer, Bra

Es ist fünf vor zwölf, als Andrea Olivero seinen Schwur abgibt. Auf dem Platz der gefallenen Freiheitskämpfer im Städtchen Bra, zwischen Turin und Genua. Einst leisteten Partisanen hier Widerstand gegen die Nazis, heute ist Bra Gourmethochburg. Es ist also auch symbolisch, dass der Vize-Landwirtschaftsminister hier Position bezieht: "Die Regierung ist entschlossen, sich der europäischen Anweisung zu widersetzen", verkündet Olivero. Die Vorstellung, Käse aus Pulver herzustellen, sei "absurd".

In Italien wird Käse aus Milch gemacht. Ein Gesetz von 1974 schreibt das so vor. Das Beimengen von Milchpulver oder anderen Ersatzstoffen ist verboten. Das gilt für Parmigiano Reggiano, Gorgonzola und Pecorino genauso wie für jeden Mozzarella. Unter den europäischen Nachbarn steht man mit dem Reinheitsgebot aber allein da - und das darf nicht mehr sein. Nach 40 Jahren verlangt die EU die Abschaffung des Verbots. Der Milchpulver-Bann schränke den freien Warenverkehr ein, argumentiert Brüssel und droht mit einem Bußgeld. Bis 29. September müssen die Italiener Stellung beziehen.

Die Kritiker vermuten hinter dem EU-Vorstoß den französischen Lactalis-Konzern

Olivero spricht vor dem passenden Publikum: Seit Freitag ist Bra wieder Gastgeber der Cheese, der Käse-Biennale - und damit für handwerkliche Käsehersteller aus 23 Ländern, für Veredler und mehr als 200 000 Gourmets. Denn mit gutem Essen kennt man sich hier aus, schließlich ist das Städtchen im Piemont Gründungsort der Slow-Food-Bewegung. Die sammelte auf der ersten Cheese 1997 Unterschriften gegen das drohende EU-Verbot von Rohmilchkäse. "Die Schlacht wurde damals gewonnen", sagt Piero Sardo, einer der Mitbegründer von Slow Food.

Hinter dem aktuellen EU-Vorstoß vermutet Sardo den französischen Molkereikonzern Lactalis. Der hat den italienischen Rivalen Parmalat geschluckt und kontrolliert nun die vier wichtigsten Marken des Landes. In Italien gibt es nur einen einzigen Hersteller von Milchpulver, der ausschließlich an den Süßwaren-Multi Ferrero liefert. Es fehlt sonst an Abnehmern. Die Großindustrie ärgert das.

Für ein Kilo Pulver zahlt sie zwei Euro, das reicht für zehn Liter Milch. Die kosten die Unternehmen in Italien heute frisch 3,50 Euro. Der Ersatz sei nicht nur billiger, sondern auch bequemer, sagt Sardo. Kein Tankwagen muss morgens mehr die Höfe abklappern, um die Milch einzusammeln. "Das ist dann das Ende der krisengeplagten kleinen Milchbauern."

In diesem Jahr steht der Schutz der ökologisch besonders wichtigen Herstellung von Bergkäse im Mittelpunkt der Cheese. Paolo Ciapparelli, 64, ist der stille Star der Szene. Der Mann aus dem Alpental Valtellina nördlich von Sondrio sorgte dafür, dass es den traditionell hergestellten Almkäse Bitto auch heute noch gibt. In diesem Sommer zogen 60 Senner auf die zwölf Almen, um ihn herzustellen - die meisten jünger als 40. Kein Wunder, sagt Ciapparelli stolz, sie sind die bestbezahlten Milchbauern Italiens. Erzeuger bekommen 16 Euro pro Kilo Bitto. Für den Viehbesitzer springen damit 60 000 Euro pro Saison heraus. Die Herstellungsweise ist uralt. Drei Monate verbringen die Senner mit ihren Kühen und Ziegen auf 2000 Metern Höhe, wo die Tiere nur Gourmetgras verzehren. Das Vieh wird noch von Hand gemolken, die Milch auf offenen Feuerstellen in Käselaibe verwandelt. Wegen der Hitze gab es in diesem Sommer nur 2200 Laibe, die Hälfte davon haben Urlauber direkt auf den Almen verzehrt. "Der Bitto ist zu einem touristischen Lockmittel unserer Gegend geworden", sagt Ciapparelli.

"Wenn wir nur schwarzbunte Friesenkühe, nur noch Stall und nur Silagefutter haben, dann gibt es nur noch Einheitskäse", sagt Piero Sardo. Deshalb kämpft er gegen die Pulver-Offensive. Agrarpolitiker Olivero reicht das nicht: "Wir fordern die europäischen Regierungen auf, ihre Gesetze unserem Vorbild anzupassen!", ruft er, als es zwölf läutet in Bra.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: