Nahaufnahme:Von Brüssel nach Genf

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Phil Hogan: „Es wäre wundervoll, wenn ein europäischer Kandidat zum Generaldirektor der WTO gewählt würde.“ (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

EU-Handelskommissar Hogan will Chef der Welthandelsorganisation (WTO) werden. Sollte sich Europa auf ihn als Kandidaten einigen können, stünden seine Chancen nicht schlecht, von Brüssel nach Genf umzuziehen.

Von Björn Finke

Es wäre "wundervoll, wenn ein europäischer Kandidat zum Generaldirektor der WTO gewählt würde", sagte EU-Handelskommissar Phil Hogan vor wenigen Tagen in einem Ausschuss des Europaparlaments. Was der Ire den Abgeordneten allerdings nicht verriet: dass er selbst dieser Bewerber für den Spitzenposten bei der Welthandelsorganisation WTO sein will. Das aber berichtete kurz darauf die Zeitung Irish Times unter Berufung auf ungenannte Quellen. Am Pfingstwochenende bestätigte Hogans Sprecher die Geschichte auf Anfrage der SZ: "Kommissar Hogan prüft derzeit die Möglichkeit, seine Kandidatur anzumelden." Würde der 59-Jährige tatsächlich antreten und eine Mehrheit finden, müsste Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eines der wichtigsten Ämter in ihrer Behörde neu besetzen.

Dabei hat Hogan erst im Dezember als Handelskommissar angefangen, nachdem der Spross einer Bauernfamilie zuvor fünf Jahre für das Agrarressort zuständig gewesen war. Bei der WTO würde auf den Politiker der christdemokratischen Partei Fine Gael eine schwierige Aufgabe warten, denn die Genfer Organisation steckt in der Krise. Die WTO, bei der 164 Staaten Mitglied sind, legt verbindliche Regeln für den Welthandel fest. Doch US-Präsident Donald Trump wirft der Organisation vor, sein Land zu benachteiligen und China zu freundlich zu behandeln. Washington blockiert bereits seit Jahren die Ernennung neuer Richter für das WTO-Berufungsgericht, die letzte Instanz bei Streitschlichtungsverfahren. Seit Dezember ist das Gericht deswegen nicht mehr arbeitsfähig - das schwächt die Organisation enorm.

Generaldirektor Roberto Azevêdo, ein Brasilianer, verkündete vor drei Wochen, Ende August aufhören zu wollen, ein Jahr früher als geplant. Als Grund nannte er unter anderem den Ärger mit den USA und China. Nominierungen für die Nachfolge sind zwischen 8. Juni und 8. Juli möglich. Wie es heißt, lotet Hogan im Moment aus, ob die USA seine Wahl unterstützen würden - und ob sich Europas Staaten auf ihn als einzigen Bewerber einigen können. "Schart sich Europa hinter einem Kandidaten, würde das die Chance deutlich verbessern, dass ein Europäer zum Zuge kommt", sagt jemand, der Hogan gut kennt.

Bislang gab es sechs Generaldirektoren: Die ersten beiden waren Europäer, dann kamen ein Neuseeländer, ein Thailänder, wieder ein Europäer und schließlich der Brasilianer Azevêdo. Die Wirtschaftsmacht USA bleibt also traditionell außen vor, und europäische Regierungen hoffen, dass nach dem Südamerikaner nun wieder einer der ihren gewählt wird. Vor Hogan hat bisher bloß der frühere EU-Handelskommissar Peter Mandelson Interesse bekundet. Der ist allerdings Brite. Wegen des Brexits ist es unwahrscheinlich, dass Brüssel ihn als WTO-Chef vorschlägt.

Als aussichtsreiche Kandidaten werden oft die niederländische Handelsministerin Sigrid Kaag und die spanische Außenministerin Arancha González Laya genannt. Kaag hat sich jedoch noch nicht erklärt, und González Laya sagte vor Kurzem der Nachrichtenagentur Reuters, sie wolle sich in diesen schwierigen Zeiten zu hundert Prozent dem Dienst an ihrem Heimatland widmen. Kommende Woche wollen die Handelsminister der EU-Staaten konferieren. Da könnten sie sich bereits auf einen Bewerber einigen.

Für Hogan spricht, dass er nicht nur die Rückendeckung der Kommission genießt, sondern sich dem Vernehmen nach auch mit dem US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer gut versteht - trotz der Streitigkeiten zwischen der EU und den USA. Der Ire gilt als harter, aber fairer Verhandler und gewiefter Strippenzieher. Solche Eigenschaften könnte er als WTO-Direktor in jedem Fall gebrauchen.

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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