Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Volles Risiko

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Microsoft-Chef Satya Nadella geht mit Tiktok ein großes Wagnis ein. Denn es geht auch um eine enge Zusammenarbeit mit US-Präsident Trump und dessen irrlichternder Politik.

Von Helmut Martin-Jung

Sieben Jahre, nur sieben Jahre ist Satya Nadella älter als der Konzern, dem er vorsteht. Und auch das werden bald - Anfang Februar - sieben Jahre sein. Die sieben Jahre waren fruchtbare Jahre für Microsoft, und der in Indien geborene langjährige Microsoft-Mitarbeiter hatte unerwartet großen Anteil daran. Unerwartet zum einen, weil er relativ überraschend vom Bereichsleiter zum Chef "die Treppe hinaufgestoßen" worden war, wie er das selbst mit typischem Understatement formulierte.

Zum anderen aber auch deshalb, weil ihm, der vor der Beförderung schon mehr als 20 Jahre bei dem Software-Konzern aus Redmond ganz im Nordwesten der USA gewesen war, nur wenige zutrauten, den Supertanker Microsoft wieder auf Kurs zu bringen. Der nämlich hatte sich ziemlich verfahren. Der vorige Kapitän Steve Ballmer hatte den Eisberg nicht gesehen, der da hieß: Cloud.

Nadella, 52, ist nicht nur ein belesener und immens fleißiger Mann, er scheut auch nicht davor zurück, harte Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie ihm nötig erscheinen. Zehntausende Mitarbeiter erfuhren das auf die harte Tour, als Nadella wegen anhaltender Erfolglosigkeit der Sparte das Handygeschäft komplett aufgab, und die Leute entließ. Und das obwohl man wenige Jahre davor Milliarden an Nokia dafür gezahlt hatte. Das war nötig, aber eigentlich nicht riskant, weil so offensichtlich das Richtige - viel zu lange hatte der schwerfällig gewordene Konzern versucht, im Smartphone-Business doch noch irgendwie Fuß zu fassen.

So gesehen ist der Schritt, den Nadella jetzt wagt, weitaus gefährlicher. Microsoft ist unter Nadella so erfolgreich, weil sich der Konzern vor allem auf Geschäftskunden fokussiert hat, ausgenommen die Spielekonsole Xbox. Mit dem geplanten milliardenschweren Kauf des sozialen Netzwerks Tiktok in einigen englischsprachigen Ländern wagt sich Microsoft auf schwieriges Terrain. Es geht nicht bloß um Konsumenten statt um Business-Kunden. Es sind Kinder und Jugendliche. Und Nadella lässt sich auf eine enge Zusammenarbeit ein mit US-Präsident Trump, der sogar einen Teil des Verkaufspreises für die Staatskasse einstreichen will, wenn Microsoft die Tiktok-Anteile übernimmt.

Aber schließlich ist Nadella derjenige, der schon vor seinem Amtsantritt gesagt hat: "Was mich wirklich auf die Palme bringt, ist, wenn Leute, die schon eine Weile im Unternehmen sind, sagen, 'das haben wir immer so gemacht'." Der Konzernchef, der so freundlich auftritt, fast immer ein Lächeln auf den Lippen hat, und der doch so hart durchgreifen kann, wenn es ihm erforderlich erscheint, dieser Mann überrascht also ein weiteres Mal.

Das war ihm schon davor gelungen, als er den Konzern sehr zügig umbaute und voll und ganz auf den Cloud-Trend setzte. "Wir haben gehandelt, als ob wir die Erfolgsformel entdeckt hätten und als ob es nur noch darum ginge, sie zu optimieren", sagte Nadella bei seinem Amtsantritt, "aber wir müssen jetzt eine ganz neue Formel finden."

Heute ist Microsoft wichtigster Verfolger von Branchenführer Amazon, der Börsenwert stieg auf 1,5 Billionen Dollar, bei Zukunftsthemen wie künstlicher Intelligenz ist Microsoft vorne dabei. Weil der Erfolg hauptsächlich auf Beziehungen mit Geschäftskunden beruht, flog Microsoft zuletzt ein wenig unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung.

Das wird sich ändern, wenn der Deal mit Tiktok-Eigner Bytedance wirklich klappt. Dann wird sich auch zeigen, ob die Tiktok-Nutzerschaft mitzieht. Die Konkurrenz von Facebook bis Snapchat wird nicht tatenlos zusehen, und auch Google ist mit sozialen Netzwerken schon gescheitert. Es wäre Satya Nadellas erster großer Fehlschlag.

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SZ vom 05.08.2020
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