Nahaufnahme:Unter Murmeltieren

Nahaufnahme: „Wir haben uns jede Grenze auf dieser Erde angeschaut. Es gibt einfach keinen Weg, auf Kontrollen zu verzichten.“

„Wir haben uns jede Grenze auf dieser Erde angeschaut. Es gibt einfach keinen Weg, auf Kontrollen zu verzichten.“

(Foto: Dario Pignatelli/Bloomberg)

Die EU-Spitzenbeamtin Sabine Weyand wird ab Juni Chefunterhändlerin für EU-Freihandelsabkommen.

Von Alexander Mühlauer

Es ist noch nicht lange her, da fühlte sich Sabine Weyand wie in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". Was auch immer die britische Regierung in den Brexit-Verhandlungen forderte, habe man längst besprochen, sagte sie bei einem ihrer raren öffentlichen Auftritte. Vier Monate ist das nun her, die Briten sind noch immer in der EU, der Austritt ist jetzt für Ende Oktober geplant. Während in London wieder munter alte Ideen ventiliert werden, steht Weyand vor ihrem nächsten Karrieresprung: Die Stellvertreterin von Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier wird von 1. Juni an ihrerseits Chefunterhändlerin - und zwar für alle Freihandelsabkommen der EU.

Wenn man so will, ist Weyands Jobwechsel auch ein klares Signal an die Briten: Kümmert euch ruhig weiter um eure Probleme, wir haben in Brüssel Wichtigeres zu tun. Denn als Leiterin der Generaldirektion Handel muss die deutsche Spitzenbeamtin daran arbeiten, Europas Platz in der Welt zu behaupten. Sie koordiniert nicht nur die Verhandlungen mit Mexiko, Australien und Vietnam, die allesamt einen Handelsvertrag mit der EU schließen wollen. Sie muss auch im Zusammenspiel mit Handelskommissarin Cecilia Malmström dafür sorgen, dass Europa nicht zwischen den USA und China zerrieben wird.

Dass Weyand dafür die Richtige ist, daran gibt es in der EU-Kapitale so gut wie keine Zweifel. Die 54-jährige Saarländerin hat in den Brexit-Verhandlungen gezeigt, was sie kann. Sogar eher zurückhaltende EU-Botschafter werden euphorisch, wenn sie von Weyand sprechen. Von "unserem Brexit-Star" ist bei Empfängen die Rede und davon, dass die Deutsche die komplexen Inhalte des Austrittsabkommens in einfachen Worten brillant erklären könne. Immer wieder informierte Weyand die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten über den Stand der Dinge. Immer wieder musste sie nicht nur den Briten verständlich machen, warum es keine Alternative zum Backstop, also der Notfalllösung für die Grenze zwischen Irland und Nordirland, geben kann.

Ihre Kollegen in der Brexit-Taskforce beschreiben Weyand als hartnäckige Verhandlerin. Obwohl sie seit mehr als zwei Jahrzehnten in Brüssel arbeitet, sei sie doch "sehr deutsch" geblieben, sprich: "sehr fachkundig, sehr schnell und sehr direkt". Selbst ihre Gegenspieler in London loben die Schlagfertigkeit der Beamtin und ihr fast schon britisches Verständnis von Humor. Weyand jedenfalls mag Shakespeare, allerdings lieber die Komödien als die Tragödien.

Bevor sie 1994 bei der EU-Kommission anfing, studierte sie in Freiburg, Cambridge und am College of Europe, der EU-Kaderschmiede in Brügge. Die promovierte Politikwissenschaftlerin wurde 1999 in den engsten Mitarbeiterstab von Pascal Lamy aufgenommen, dem damaligen Handelskommissar und späteren Chef der Welthandelsorganisation (WTO). Nach weiteren Stationen im Kommissionsapparat landete sie schließlich dort, wo sie vor der Brexit-Taskforce gearbeitet hat: in der Generaldirektion Handel. Bereits damals war sie mit politisch heiklen Themen betraut, etwa Ceta, dem umstrittenen Abkommen zwischen der EU und Kanada.

Weyands Feuertaufe war aber der Brexit. Ihre Fingerabdrücke finden sich auf allen 585 Seiten des Austrittsvertrags. In den Verhandlungen war sie nicht nur in der Sache sattelfest, sondern auch in der Lage, auf Fallstricke zu reagieren. Gut möglich, dass Weyand es neben Trump'schen Zolldrohungen und chinesischen Machtansprüchen noch einmal mit dem Brexit zu tun bekommt. Sollten die Briten es nämlich schaffen, die EU doch noch zu verlassen, wäre Weyand dafür zuständig, einen möglichen Handelspakt auszuloten. Und vielleicht grüßt es ja dann wieder, das Murmeltier.

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