Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Und jetzt abwärts

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Thyssenkrupp tauscht den Chef der Aufzugssparte aus. Dabei liefert Andreas Schierenbeck mit Thyssenkrupp Elevator die Hälfte des Konzerngewinns ab.

Von Benedikt Müller

Bislang sorgt Andreas Schierenbeck bei Thyssenkrupp dafür, dass es aufwärts geht. Buchstäblich, der 52-Jährige leitet die Aufzugssparte des Konzerns: Sie baut Fahrstühle, Rolltreppen und Treppenlifte, transportiert mithin Menschen nach oben. Und im übertragenen Sinne zieht das Aufzugsgeschäft die Bilanz von Thyssenkrupp nach oben: Schierenbecks Sparte trägt fast die Hälfte zum Gewinn bei, obwohl der Konzern fünf Sparten zählt. Umso mehr überrascht, dass Schierenbeck nun absteigen soll. Thyssenkrupp will den Aufzugschef auswechseln, heißt es in Essen; das Handelsblatt hatte zuerst darüber berichtet. Demnach stört Konzernchef Guido Kerkhoff, dass die Aufzugssparte nicht so profitabel ist wie ihre Wettbewerber. Offiziell ist die Entlassung noch nicht beschlossen. Thyssenkrupp kommentierte die Personalie am Dienstag nicht.

Schierenbeck führt die Aufzugssparte seit fünf Jahren. Zuvor hatte der gebürtige Brandenburger zwei Jahrzehnte lang für Siemens gearbeitet, zunächst in Wien, später in Lateinamerika, dann in der Schweiz und in den USA. "Wir sehen zwei große Trends in unserem Umfeld", sagte Schierenbeck kürzlich bei einer Veranstaltung: Die vielen neuen Hochhäuser, Einkaufszentren und Flughäfen, die weltweit in Städten entstehen, benötigen Aufzüge und Rolltreppen. "Wir müssen höher bauen, und das ist gut für uns", sagte der Elektroingenieur. Zudem profitiere seine Branche von der Alterung der Gesellschaft, da viele Senioren auf Treppenlifte und Aufzüge angewiesen sind.

Der Chef von gut 50 000 Beschäftigten hat das Aufzugsgeschäft sichtbar und erlebbar gemacht. "Früher hat unsere Industrie ihre Testtürme dorthin gebaut, wo sie niemand sehen konnte", erzählte Schierenbeck im Sommer. "Mit unserem neuen Testturm in Rottweil haben wir gelernt, dass auch das Gegenteil sinnvoll sein kann." Thyssenkrupp hat die Aussichtsplattform der 246 Meter hohen Testanlage in Baden-Württemberg für die Öffentlichkeit geöffnet und seitdem mehr als 100 000 Besucher gezählt. "Das ist gut für die Marke", sagt der Spartenchef.

Doch die Marke ist nicht alles. Kürzlich musste die Aufzugssparte ihre Gewinnprognose nach unten korrigieren, weil der Wettbewerb schärfer geworden ist. Zuletzt meldete Thyssenkrupp Elevator eine Marge von zwölf Prozent. Das ist zwar die höchste Gewinnspanne aller Sparten des Konzerns. Doch im Vergleich mit anderen Aufzugsunternehmen wie Kone oder Schindler hat Thyssenkrupp die Sparte schon vor Jahren auf eine Zielmarge von 15 Prozent eingeschworen. Konzernchef Kerkhoff, der im Sommer vom Finanzvorstand ganz an die Spitze gerückt ist, gilt als Mann der Zahlen und zieht nun Konsequenzen.

Von der Zeit unter Schierenbeck werden die Innovationen in Erinnerung bleiben, die der Ingenieur vorangetrieben hat: etwa das "Twin"-System, bei dem zwei Aufzugskabinen übereinander denselben Schacht befahren. Oder den "Multi"-Aufzug, der dank Magnetschwebetechnik ohne Seile - deshalb auch seitwärts - durch Gebäude düsen kann. Schierenbeck hat Datenbrillen eingeführt, mit denen seine Außendienstler Treppenhäuser vermessen können. Und Thyssenkrupp wartet immer mehr Aufzüge digital aus der Ferne, will technische Probleme erkennen, bevor die Fahrstühle außer Betrieb gehen müssen.

Privat ist Schierenbeck vor Jahren noch mal zum Langstreckenläufer geworden, hat in diesem Jahr gar an einem Marathon in der Antarktis teilgenommen. "Thyssenkrupp Elevator läuft einen Marathon, keinen Sprint", warb der Manager kürzlich im Intranet des Konzerns für seinen langfristigen Kurs. Für seine eigene Karriere wird sich Schierenbeck nun eine neue Strecke suchen müssen.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2018
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