Nahaufnahme:Unbequemer Erzbischof

Justin Welby / bfi

Justin Welby: „Wenn Du Geld verdienst in einer Gemeinschaft, solltest Du auch Deinen Anteil an Steuern an diese Gemeinschaft zahlen.“

(Foto: AFP)

Justin Welby machte elf Jahre lang Karriere in der Ölbranche, bevor er die Theologie für sich entdeckte. Nun erzürnt er mit seiner Kritik britische Konservative.

Von Björn Finke

Er ist der oberste Bischof der Church of England und damit zugleich spiritueller Führer von 85 Millionen Anglikanern in aller Welt. Doch Justin Welby würde auch einen guten Arbeiterführer abgeben. Der Engländer, seit 2013 Erzbischof von Canterbury, hielt nun eine umjubelte Rede auf

dem Jahrestreffen des britischen Gewerkschaftsverbands. Da geißelte er Internetkonzerne wie Amazon, weil diese trickreich Steuern vermeiden: "Wenn Du Geld verdienst in einer Gemeinschaft, solltest Du auch Deinen Anteil an Steuern an diese Gemeinschaft zahlen." Unsichere Arbeitsverhältnisse und Scheinselbständigkeit griff der 62-Jährige ebenfalls an - das sei "die Wiedergeburt eines alten Übels". Zudem rief Welby Priester dazu auf, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden.

Es war nicht Hochwürdens erster Ausflug in die Wirtschafts- und Sozialpolitik: Kurz vor dem Auftritt bei dem Kongress in Manchester hatte ein linkes Forschungsinstitut ein Programm für ein gerechteres Wirtschaftssystem vorgestellt. Welby saß in der Kommission, welche die Ideen erarbeitet hat, und warb für den Report. Darin werden höhere Steuern für Reiche und höhere Mindestlöhne gefordert.

So viel Unterstützung für linke Positionen geht Politikern der regierenden Konservativen gehörig auf den Geist. Sie werfen dem wichtigsten Kleriker von England vor, sich als Propagandist für die sozialistische Oppositionspartei Labour zu verdingen. Der Abgeordnete Ben Bradley bezeichnet den Erzbischof gar als "scheinheilig" und klagt, Welby beherzige selbst nicht, was er predige. Schließlich beschäftigten Kirchengemeinden im Königreich ebenfalls Menschen in flexiblen, schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen.

Zudem steckt die Vermögensverwaltung der Church of England ihr Geld auch in Aktien von Unternehmen wie Amazon oder die Google-Mutter Alphabet. Diese Investmentgesellschaft namens Church Commissioners legt gut neun Milliarden Euro an. Die Erträge fließen in Gehälter von Priestern und Pensionen.

Welby hat von so weltlichen Dingen wie Investmentstrategien, Personalplanung und Arbeitsrecht mehr Ahnung als die meisten Geistlichen. Denn der verheiratete Vater von fünf Kindern ist ein Spätberufener. Nach dem Abschluss an der feinen Privatschule Eton studierte er in Cambridge Geschichte und Recht. Dann machte er elf Jahre lang Karriere in der Ölbranche, bei Elf Aquitaine in Paris und dem britischen Nordsee-Förderer Enterprise Oil.

Doch irgendwann verspürte er den Wunsch, sein Leben der Religion zu widmen. Anfangs wehrte er sich gegen diesen Gedanken, aber am Ende habe es kein Entkommen vor dieser Berufung gegeben, wie er sagt. Welby ließ die Wirtschaftswelt hinter sich, studierte Theologie, wurde zum Priester ausgebildet und 1992 geweiht. Er betreute Gemeinden in armen Gegenden des Landes und stieg 2007 zum Domprobst in Liverpool auf. Als er gefragt wurde, ob er sich nicht auf die Stelle als Bischof von Durham bewerben wolle, lehnte er zunächst ab: Seine Familie sei glücklich in Liverpool. Welby gab schließlich nach und wurde 2011 Bischof.

Da empfahl er sich rasch für Höheres - genauer: für das höchste Amt, das ein anglikanischer Geistlicher übernehmen kann. Bereits Ende 2012 wurde der zögerliche Karriere-Kleriker zum 105. Erzbischof von Canterbury gekürt, im März 2013 trat er den Posten an. Als Erzbischof ist er Mitglied im Oberhaus sowie im Kronrat, einem Beratergremium der Queen.

Den Vorwurf, er mische sich zu sehr in Sozialpolitik ein, lässt der Ex-Manager nicht gelten. "Jesus war höchst politisch", dozierte er auf dem Gewerkschaftstreffen. "Er sagte den Reichen, dass ihnen Leid bevorsteht."

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