Nahaufnahme:Risiko und Rechtsstaat

Nahaufnahme: "Über die Auseinandersetzung zueinander zu kommen, ist das Modell einer freiheitlichen Gesellschaft" Udo Di Fabio.

"Über die Auseinandersetzung zueinander zu kommen, ist das Modell einer freiheitlichen Gesellschaft" Udo Di Fabio.

(Foto: dpa)

Di Fabio leitet die Ethik-kommission für autonomes Fahren. Gelegentlich mischt sich der Professor auch politisch ein.

Von Wolfgang Janisch

Vielleicht hat sich manch einer darüber gewundert. Udo Di Fabio, Großdenker des Konservatismus mit dem Talent zur Weltbetrachtung, leitet die vom Bundesverkehrsminister eingesetzte Ethik-Kommission für computergesteuerte Autos, die an diesem Freitag ihre Arbeit aufnimmt. Das mag kleinteilig wirken für einen, der gerade in großen Gedankenbögen das Schwanken des Westens diagnostiziert hat. Aber die Auseinandersetzung mit den Folgen des technischen Fortschritts für das Recht bildet eine der vielen Linien in der beträchtlichen Bandbreite seiner Biografie. Denn schon seine Habilitationsschrift "Risikoentscheidungen im Rechtsstaat" von 1994 handelte von den Abwägungen, die der Staat angesichts neuer Technologien zu treffen hat, von ihren Gefahren und von den Möglichkeiten, sie zu minimieren. Irgendwie ging es in der Arbeit also - von den Höhen der Abstraktion betrachtet - auch schon um selbstfahrende Autos.

Dass der 62-jährige Di Fabio, Professor für Staatsrecht in Bonn, den Job angenommen hat, wird also mit dem Interesse an der Materie zu tun haben. Schon deshalb, weil er unter den ehemaligen Verfassungsrichtern zu den besonders Begehrten gehört, die sich aus all den Einladungen die Rosinen herauspicken können. Schon während der zweiten Hälfte seiner 2011 zu Ende gegangenen Amtszeit am Bundesverfassungsgericht war er zum sehr gefragten Redner geworden, mitunter zum Leidwesen seiner Kollegen. Di Fabio war im Zweiten Senat zuständiger Berichterstatter und damit Schlüsselfigur in vielen Großverfahren, zuletzt zum Euro-Rettungsschirm.

Seinen Aufstieg zum Star hatte sein 2005 erschienenes Buch "Die Kultur der Freiheit" befördert, das zur Bibel eines vitalen Konservatismus geworden ist: eine Rückbesinnung auf Familie, Religion, Gemeinsinn, Leistungsbereitschaft. Konservative Werte eben, aber Di Fabios Schriften - und noch mehr seine Reden - sind frei von jener zukunftsängstlichen Verzagtheit, wie sie manchen Konservativen anhaftet. Man hört ihm gern zu, selbst wenn man anderer Meinung ist. Den Glauben an die eigenen Kräfte schöpft er aus seinem Lebensweg. Der Nachfahre italienischer Einwander hat einen mustergültigen bundesrepublikanischen Aufstieg hingelegt: Realschule, Abendgymnasium, Studium der Rechts- und der Sozialwissenschaften, Doppeldoktor. Mit 39 war er Professor.

Die Rede, der Streit, der Diskurs, das sind wichtige Vokabeln zum Verständnis des public intellectual Di Fabio. Erstens, weil er ein leidenschaftlicher Diskutant ist, zweitens, weil er im Diskurs den Schlüssel für den Zusammenhalt des Gemeinwesens sieht: "Über die Auseinandersetzung zueinanderzukommen, ist das Modell einer freiheitlichen Gesellschaft", sagte er in einer Rede im vergangenen Jahr.

Gelegentlich mischt sich Di Fabio denn auch in die Politik ein. Anfang des Jahres präsentierte die bayerische Staatsregierung ein Rechtsgutachten zur Flüchtlingskrise, verfasst von Di Fabio und daher versehen mit der Autorität eines ehemaligen Verfassungsrichters. Sein Fazit: Der Anstieg der Flüchtlingszahl bringe den Freistaat an die Grenzen seiner Funktionsfähigkeit und gefährde damit seine "Eigenstaatlichkeit". Zwar konnte, wer das Gutachten genau studierte, durchaus herauslesen, dass mit einer Verfassungsklage wohl wenig zu holen sei. Aber als Instrument im politischen Kampf des Horst Seehofer gegen die Merkel'sche Willkommenskultur taugte es allemal.

Nun wird sich Di Fabio also um die Ethik des autonomen Fahrens kümmern. Er selbst hat sich übrigens einem Vehikel zugewandt, das eher für die Autonomie des Fahrers steht: In der Schlussphase seiner Karlsruher Zeit machte er den Motorradführerschein.

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