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Chemie-Unternehmer Jim Ratcliffe ist der reichste Brite. Wie man Unternehmen saniert, bewertet und verkauft lernte er bei einem Finanzinvestor. Dann machte er sich selbständig.

Von Björn Finke

Was für ein Sprung: Jim Ratcliffe belegt in diesem Jahr den ersten Platz in der Reichenliste der Sunday Times. Seit 30 Jahren erhebt die Londoner Zeitung, wer die Wohlhabendsten im ganzen Königreich sind. In der Liste von 2017 stand der 65 Jahre alte Unternehmer noch auf Platz 18. Der Brite, der als Kleinkind in einer Sozialwohnung bei Manchester lebte, ist Gründer, Mehrheitseigner und Chef von Ineos, einem der größten Chemiekonzerne der Welt. Sein Vermögen schätzte das Blatt im vorigen Jahr auf etwa sechs Milliarden Pfund. Nun kommen die Journalisten auf 21 Milliarden Pfund: Dies erklärt den rasanten Aufstieg an die Tabellenspitze.

Sein Unternehmen, das auch in Köln ein großes Werk betreibt, ist nicht an der Börse notiert und informiert daher weniger ausführlich über Geschäftsergebnisse. Doch Ratcliffe gewährte dem Team der Reichenliste einen tieferen Einblick in das Zahlenwerk. Und die Zahlen waren überraschend gut, weswegen sich der Wert von Ratcliffes Vermögen in der Liste mehr als verdreifachte. Dem Engländer gehören 60 Prozent der Anteile an dem Unternehmen.

Damit führt nun wieder ein Milliardär die Tabelle an, der aus dem Königreich stammt. In den vergangenen Jahren standen immer Unternehmer ganz vorn, die im Ausland geboren wurden und dort ihr Glück gemacht haben, nun aber einen Großteil ihres Lebens in London verbringen. Die Rangliste spiegelte damit den Reiz der Kapitale für Reiche aus aller Welt wider. Im vorigen Jahr besetzten die Unternehmer David und Simon Reuben aus Indien den Spitzenplatz, davor unter anderem die Oligarchen Len Blavatnik, Roman Abramowitsch und Alischer Usmanow.

Dass Ratcliffe einmal zum Klub der Milliardäre gehören würde, hat sich in den ersten Jahrzehnten seines Lebens nicht abgezeichnet. Sein Vater hatte die Schule mit 14 verlassen und arbeitete als Schreiner, später führte er einen kleinen Möbelhersteller. Ratcliffe besuchte eine staatliche Schule und studierte in Birmingham Chemie-Ingenieurwesen. Er hätte im aufregenden London studieren können, schreckte davor aber zurück: "Ich war vorher nie in London gewesen", sagt er.

Nach dem Abschluss fing er beim Öl- und Gaskonzern BP an - und wurde nach drei Tagen entlassen. Sein Vorgesetzter hatte im medizinischen Report des neuen Mitarbeiters gelesen, dass dieser einen milden Hautausschlag habe. Der Chef wollte keine Angestellten mit Allergien und kündigte Ratcliffe. Der fand einen neuen Job beim Rivalen Esso. Der Konzern zahlte ihm einen teuren Masterabschluss an der London Business School. Später wechselte der Engländer zum Finanzinvestor Advent International.

Ratcliffe bezeichnet das als Wendepunkt. Bei dem Investor lernte er, Unternehmen zu bewerten, Kaufverhandlungen zu führen und die Finanzen in Ordnung zu bringen. Ratcliffe hatte nun Erfahrung sowohl in der Industrie als auch bei der Übernahme von Firmen - das sollte ihm beim Aufbau von Ineos helfen. Kurz vor seinem 40. Geburtstag, 1992, wagte er den Schritt in die Selbständigkeit. Mit einem Geschäftspartner und Unterstützung von Advent kaufte er BP eine Chemiesparte ab. 1994 brachten sie die Firma an die Börse.

Vier Jahre später verließ Ratcliffe sein Unternehmen und kaufte einen Chemiebetrieb in Antwerpen. Daraus ging Ineos hervor. Er erwarb über die Jahre immer mehr Chemiewerke. Oft kaufte er Konzernen Sparten ab, die nicht mehr zum Kerngeschäft passten oder als unattraktiv galten. "Wir haben die Unternehmen ein bisschen besser geführt, die Kosten gesenkt, sie gut ausgelastet, und dann waren sie sehr profitabel", sagt er. Mit diesen ungeliebten Fabriken stieg er nun zum reichsten Mann des Königreichs auf.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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