Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Die Ratenfrau

RatePay-Gründerin Miriam Wohlfarth mischt die Fintech-Szene auf, bei Kongressen ist sie oft die einzige Frau. Ihre Bezahlung auf Raten gehört inzwischen zur Otto Group.

Von Vivien Timmler

Träume verblassen mit der Zeit. Oft werden sie von der Vernunft wegrationalisiert, noch häufiger schlicht und einfach vom Alltag aufgefressen. Letzteres geschah auch mit dem Traum von Miriam Wohlfarth: Einmal ein eigenes Unternehmen gründen und selbständig sein, das wollte sie zwar schon immer; doch dann fand sie einen tollen Job, wurde schwanger - und lehnte immer wieder dankend ab, wenn sie von Kollegen gefragt wurde, ob sie nicht bei einem neuen Start-up mitmachen wolle.

So ganz verblasste ihr Traum aber doch nie, und mit 39 Jahren wurde ihr bewusst, dass jetzt vielleicht die letzte Chance sei, noch einmal etwas ganz Neues anzufangen. Gleichzeitig war ihr aufgefallen, dass Ratenzahlungen im Internet immer beliebter zu werden schienen, die bestehenden Systeme der Banken aber eine "Vollkatastrophe" waren, wie sie sagt. Studien zeigten zudem, dass die angebotenen Zahlungsarten in einem Online-Shop signifikanten Einfluss auf die Kaufentscheidung, also die Konversionsrate, und damit auf den Erfolg eines Shops haben. Je mehr Bezahlmöglichkeiten, desto mehr Umsatz. Also gründete sie RatePay: Einen Anbieter für Ratenzahlungen im Internethandel.

Aber ihr Timing hätte nicht schlechter sein können: Gerade war Lehman Brothers pleite gegangen, die Finanzkrise damit auf einen Schlag zu einem globalen Problem geworden und niemand hatte mehr Geld übrig, um es um es in ein beliebiges Fintech zu stecken. Abgesehen davon, dass das Wort "Fintech" in Deutschland im Jahr 2008 noch gar nicht existierte.

Aber Wohlfarth war es gewohnt, Dinge zu verkaufen, hatte fast 15 Jahre lang Erfahrung im Vertrieb gesammelt, unter anderem bei Hapag-Lloyd und dem Payment Service Provider Ogone. Nur hatte sie dieses Mal kein Produkt, das sie an den Mann und die Frau bringen konnte. "Plötzlich musste ich eine bloße Idee verkaufen - meine Idee." Es war mühsam: RatePay war kein klassisches Start-up mit Wagniskapital, es gab keine großen Investorengelder - und damit auch kein Marketingbudget. Ihre Idee vermarktete Wohlfarth lediglich über direkten Vertrieb, mit hundert Prozent Kaltakquise. "Ich hatte wirklich Glück, dass ich noch viele Nummern von früher hatte und diese Menschen sich meine Idee anhören wollten", sagt Wohlfarth.

Ein Jahr nach der Unternehmensgründung beteiligte sich schließlich die Otto Group an RatePay. Das gab ihrem Team die Möglichkeit, in Ruhe das System zu perfektionieren, ganz ohne Druck.

Den spürte Wohlfarth trotzdem. Ein Großteil ihres Gehalts ging damals für "Hausmitarbeiter" drauf, wie sie sagt. Denn eine Unternehmensgründung frisst viel Zeit, und die verbleibende habe sie mit ihrer Familie verbringen wollen. "Oh Gott, hoffentlich kriegt sie kein Burn-out", hätten sich damals ihre Eltern gesorgt. Aber Miriam Wohlfarth machte weiter. Lernte, dass manchmal auch 85 statt 100 Prozent Energie reichen - reichen müssen.

Heute ist RatePay eine hundertprozentige Tochter der Otto Group, die Gründerin als Geschäftsführerin weiter dabei. Die Umsätze haben sich im letzten Jahr mehr als verdoppelt, seit November schreibt das Unternehmen schwarze Zahlen. Zu den Kunden zählen etwa Germanwings, Butlers oder Villeroy & Boch. Und Wohlfarth, die einzige weibliche Gründerin eines Fintech-Start-ups in Deutschland, spricht plötzlich auf Panels, wird zu Diskussionen eingeladen - und ist fast überall die einzige Frau unter vielen Männern. Persönlich stört sie das mittlerweile nicht mehr, aber sie versucht mit dem Vorurteil aufzuräumen, die Internetbranche sei nichts für Frauen. "Ich selbst kann schließlich auch nicht programmieren", sagt sie, "aber dann suche ich mir halt jemanden, der das kann."

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Quelle:
SZ vom 22.03.2016
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