Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Porzellan statt Plastik

Lesezeit: 2 min

Melanie Tönnis hat dem Einweggeschirr den Kampf angesagt. Die Einzelhandelskauffrau sammelt altes Geschirr und verleiht es - kostenlos.

Von Jonas Schulze

Garagen sind mythische Orte. Zwischen Autos, Gartenmöbeln und leeren Farbeimern werden manchmal Ideen geboren, die die Welt verändern. Glaubt man den Legenden, so wurden auch die Weltkonzerne Apple, Google und Amazon in einer Garage gegründet. Aber große Ideen sind nicht auf das Silicon Valley beschränkt. In einer Garage in der niedersächsischen Kleinstadt Hannoversch Münden hat die 44-jährige Einzelhandelskauffrau Melanie Tönnis die Initiative "Tischlein deck dich" gegründet. Sie sammelt Porzellangeschirr und verleiht es an andere weiter. Ihr Ziel ist es, Einwegteller und Plastikbesteck aus den Supermärkten zu verbannen.

Melanie Tönnis will keine Start-up-Gründerin sein - ihr Geschirr verleiht sie kostenlos. Sie will einfach dazu beitragen, dass weniger Müll entsteht. Und das möglichst schnell und unbürokratisch. Im vergangenen Jahr hat sie 20 000 Geschirrteile verliehen. Ihre Waffen im Kampf gegen Einwegprodukte sind Suppenteller mit Goldrand und Omas altes Kaffeeservice.

In ihrer Garage lagert eine bunte Sammlung von 3000 Geschirrteilen. Kaffeetassen mit aufgedruckten Weihnachtsbäumen sind ebenso dabei wie handbemalte Porzellanteller. Das Geschirr hat die gelernte Schneiderin in selbst genähte Stoffbeutel verpackt. Bunt gemischt sind auch die Kunden: Vereine, Firmen, Hochzeitsgesellschaften, Studenten. Abholen und spülen müssen die Leute selbst, dafür kümmert sich Tönnis um Ausgabe und Lagerung.

Die Idee zu "Tischlein deck dich" hatte sie beim Spazierengehen. Vor zwei Jahren bemerkte sie auf der Straße eine Ansammlung alter Möbel. Daneben stand eine Kiste mit Porzellangeschirr. Für die Anwohner war der Trödel nur ein Haufen Sperrmüll; für Tönnis war es eine Fundgrube. "Manche Sachen haben einmal richtig viel Geld gekostet", sagt sie. Früher habe fast jeder Haushalt ein Gedeck für festliche Anlässe gehabt. Heute landeten die Sachen oft im Müll.

Tönnis rettete Tassen und Teller vor dem Abfalleimer und startete eine "Geschirr-Guerilla-Aktion". Ihre Idee: Spülen statt wegwerfen. So ausgestattet, konnte sie bei ihrer nächsten Gartenparty auf Pappteller und Plastikgabeln verzichten. Nach dem erfolgreichen Test schaltete sie eine Anzeige in der Regionalzeitung. Kurz darauf bekam sie so viele Zusendungen, dass sie weitere Geschirrspenden ablehnen musste.

Ihre Initiative hat Nachahmer gefunden

Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt sie schon seit vielen Jahren. Der Schlüsselmoment sei die Geburt ihres ersten Kindes gewesen, erzählt sie. Verwandte und Freunde hätten das Baby mit Geschenken überhäuft. "Die Welt freut sich über jeden neuen Konsumenten", sagt Tönnis. Aber von einem kurzen Glücksmoment bliebe oft nur ein Menge Abfall.

Tönnis will zur Müllvermeidung beitragen. Von nächstem Jahr an sei zwar der Verkauf von Einwegbesteck aus Plastik europaweit verboten, aber über die Alternativen werde viel zu wenig nachgedacht. Tönnis hält nichts von Einwegbesteck aus Holz. "Bananenblätter vom anderen Ende der Welt zu holen ist nicht das, was ich unter Nachhaltigkeit verstehe", sagt sie. Deswegen sei sie selbst aktiv geworden.

Sie wünscht sich, dass auch andere ihre Idee aufgreifen. In einigen Städten und Gemeinden der Umgebung gibt es schon ähnliche Initiativen. Demnächst will sie einen E-Mailverteiler einrichten und den Austausch zwischen den ehrenamtlichen Geschirrverleihern verbessern. Melanie Tönnis gibt ihre Erfahrungen gerne an andere weiter, aber sie möchte nicht die "Mutter aller kostenlosen Geschirrverleihe" werden. Sie hofft, dass eine Graswurzelbewegung entsteht, die die Idee in ganz Deutschland verbreitet. Dafür müssten aber auch andere aktiv werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4773382
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.