Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Neues Leben

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Mitgründer Travis Kalanick verkauft massenhaft Uber-Aktien und wendet sich mit seinem Fonds einer neuen Sparte zu - nicht zur Freude seines alten Unternehmens.

Von Jürgen Schmieder

Es heißt ja immer, dass eine neue Liebe wie ein neues Leben sei (nanana-na-nanaaa). Doch es stimmt freilich nicht, dass alles, was einmal war, vorbei und vergessen ist und nicht mehr zählt - vor allem, wenn es sich bei dieser Liebe nicht um eine Person handelt, sondern um eine Firma. Travis Kalanick hat vor zehn Jahren gemeinsam mit Garrett Camp den Fahrdienstvermittler Uber gegründet, er hat über das Unternehmen gesagt: "Ich liebe Uber mehr als alles andere auf der Welt." Das ist vorbei und vergessen und zählt nicht mehr, Kalanick hat in den vergangenen Wochen Uber-Aktien im Wert von 1,8 Milliarden Dollar verkauft - am Wochenende waren es 3,2 Millionen Anteile für 93 Millionen Dollar.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Firmengründer nach Ablauf der Sperrfrist für Altaktionäre nach dem Börsengang einige Aktien veräußern; Camp etwa hat Anteile im Wert von 35,2 Millionen Dollar verkauft. Erstaunlich ist die enorme Summe sowie die Gerüchte, dass Kalanick auch die restlichen 33 Millionen Aktien verkaufen könnte. Die sind allerdings nur noch etwa 950 Millionen wert, Kalanick hat den Uber-Kurs mit seinen Verkäufen auf eine Rekordtalfahrt geschickt. Zwischenzeitlich lag der Preis pro Aktie bei knapp 29 Dollar, so niedrig wie nie zuvor und deutlich unter dem Ausgabepreis von 45 Dollar.

Kalanick, 43, wirkt wie der Verlassene, der sämtliche Erinnerungen an den Ex-Partner wegwirft und gleichzeitig damit prahlt, wie formidabel dieses neue Leben nun sei. Zur Erinnerung: Er war im Juni 2017 als Geschäftsführer zurückgetreten, es hatte Ärger wegen der offenbar ziemlich frauenfeindlichen Unternehmenskultur, falschen Abrechnungen für Uber-Fahrer und dem Ausspionieren der Konkurrenz gegeben - und auch wegen des erratischen Verhaltens von Kalanick. Er war zum Beispiel dabei gefilmt worden, wie er sichtbar angetrunken einen Fahrer beleidigt hatte.

Er galt als rücksichtsloser Egomane, was im Silicon Valley so lange ein Kompliment ist, bis es der Firma schadet. Sein Nachfolger Dara Khosrowshahi, der gerade Uber-Aktien im Wert von 6,7 Millionen Dollar gekauft und die Firmenkultur drastisch verbessert hat, gilt mittlerweile als zu nett, um einen Konzern wie Uber zu führen. Der Börsengang verlief desaströs, im August vermeldete das Unternehmen einen Quartalsrekordverlust von 5,24 Milliarden Dollar. Es heißt, dass viele Mitarbeiter lieber einen Chef wie Kalanick hätten, der unbeirrt und ohne Rücksicht zum Wohle des Aktienkurses agiert.

Kalanick jedoch scheint sich komplett von Uber distanzieren zu wollen, und eine neue Liebe hat er auch schon gefunden. Er hat über seinen Fonds 10100 (den er "Heimat für meine Leidenschaft, Ideen und große Wetten" nennt) 300 Millionen Dollar in Cloud-Kitchens investiert. Das vermietet Industrieküchen an Lieferservices ohne angeschlossenes Restaurant. Das Unternehmen wird nach einer 400-Millionen-Dollar-Finanzierungsrunde durch den staatlichen Investmentfonds von Saudi-Arabien (der auch an Uber beteiligt ist) mit fünf Milliarden Euro bewertet. Die Gastronomie gilt als die nächste Industrie, die von der Tech-Branche revolutioniert werden soll. Es gibt Lieferservices wie Doordash, Grubhub, Postmates - und Uber Eats. Die Uber-Tochter hat in Paris bereits mit "virtuellen Restaurants" experimentiert, also Küchen, in denen Speisen ausschließlich für Lieferservices produziert werden, weil das profitabler ist als ein echtes Restaurant. Kalanick konkurriert also direkt mit einer Sparte seines alten Unternehmens, und er ist von Uber im vergangenen Jahr bereits verwarnt worden, bitte schön keine Mitarbeiter mehr abzuwerben. Das scheint ihn wenig beeindruckt zu haben. Eine neue Liebe ist eben doch wie ein neues Leben. Nanana-na-nanaaa.

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SZ vom 05.12.2019
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