Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:"Das Gefühl, Geschichte zu schreiben"

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Elsa Montagnon steuert die europäische Raumsonde "Bepi Colombo" auf ihrem Weg zum Merkur. Sie ist eine der wenigen Frauen in ihrem Beruf - und will ein Vorbild sein.

Von Kathrin Werner

"Wenn ich in den Himmel schaue, denke ich vor allem an die Unendlichkeit", sagt Elsa Montagnon. "Wie viele Planeten es gibt, wie weit die weg sind und wie klein und unwichtig wir selbst sind - den Gedanken finde ich schön." Manchmal, wenn sie Glück hat, die Sterne richtig stehen und das Wetter gut ist, kann sie den Merkur mit bloßem Auge am Himmel finden. "Dann denke ich: Da ist es, da ist mein Ziel."

Montagnon ist eine besondere Art Pilotin. Sie ist die Leiterin des Flugkontrollteams, das die europäische Raumsonde Bepi Colombo auf ihrem Weg zum kleinsten Planeten des Sonnensystems steuert. Spacecraft-Operation-Managerin ist der Titel der 45-jährigen Französin, die für die Niederlassung der Raumfahrtbehörde Esa in Darmstadt arbeitet.

Montagnons Weg zur Spacecraft-Pilotin hatte sich zunächst nicht abgezeichnet. Sie ist in Dijon geboren, lebte als Kind einige Jahre auf der kleinen französischen Karibikinsel Guadeloupe und machte dort ihr Abitur. Die Zeit in der Ferne hat ihren Horizont erweitert, sagt sie. "Zu sehen, wie Menschen in anderen Kulturen leben." Ihre Eltern hatten mit Technik oder dem Weltall nichts am Hut, mit Bildung allerdings sehr viel. Sie hatten nie eine konkrete Erwartung an ihre Tochter, irgendeinen bestimmten Beruf zu ergreifen, wichtig war nur, dass sie das, was sie einmal tun würde, gut machen würde. "Sie haben mir immer das Gefühl gegeben, dass ich alles schaffen kann, alles werden kann." In Kategorien wie "Das ist nichts für Mädchen" dachten sie nicht. Astronautin werden wollte Montagnon als Kind aber nicht. Sie hat damals überhaupt recht wenig über ihre berufliche Zukunft nachgedacht, erzählt sie. "Ich wusste natürlich von der Mondlandung, von der Concorde, von den Space Shuttles und hatte immer das Gefühl, dass alles schon gemacht worden ist", sagt sie. "Ich habe erst später gemerkt, dass das nicht so ist und wir Menschen so viel nicht unter Kontrolle haben."

Auf die Autoindustrie hatte sie keine Lust

Nach dem Abitur zog sie nach Paris, um dort Maschinenbau zu studieren. Während des Studiums entdeckte sie, dass sie keine Lust auf die traditionellen Ingenieursberufe in der Autoindustrie hatte. "Ich wollte an den Grenzen der Menschheit arbeiten." Dass sie als Frau im Studium in der absoluten Minderheit war und dies auch in der Weltraumforschung sein würde, störte sie nicht. "Ich hatte das Gefühl, am richtigen Platz zu sein." Erst als sie für ein paar Semester nach Deutschland ging, nach München, hatte sie den Eindruck, als Exotin aufzufallen. Heute ist es ihr wichtig, ein Vorbild für junge Frauen zu sein, die sich für den Weltraum interessieren. Sie hält zum Beispiel Vorträge in Schulen. "Ich will zeigen, dass man mehr Freiheiten hat, als manch eine denkt." Ihr Pilotenteam stellt sie so zusammen, dass es möglichst vielfältig ist. Seit mehr als einem Jahr arbeiten sie und ihr Team vor allem von zu Hause aus. "Ich vermisse die spontane Kreativität", sagt sie.

Aus Sicht einer Spacecraft-Operation -Managerin ist ein Jahr allerdings eine kurze Zeit. Montagnon arbeitet schon seit 14 Jahren am gleichen Projekt, sieben Jahre braucht die Sonde, um zum Merkur zu gelangen. Denn sie fliegt nicht auf direktem Weg, sondern dreht immer wieder Runden um Planeten, um zusätzlichen Schwung aufzunehmen. Die Planung des Projekts dauerte Jahre, inklusive etlicher Verzögerungen. Abgeschlossen ist es wohl erst 2027. Selbst das Funksignal, um mit Bepi Kontakt aufzunehmen, dauert von der Erde zur Sonde und zurück derzeit 22 Minuten. Das sind stets 22 Minuten der Anspannung. Montagnon ist ein geduldiger Mensch. Aber Geduld wird belohnt, sagt sie. "Was ich mache, ist so aufregend. Und ich habe ein bisschen das Gefühl, Geschichte zu schreiben."

Wenn sie daran denkt, wie Bepi Colombo 2018 endlich mit einer Rakete ins All geschossen wurde, ist ihre Stimme belegt, und ihre Augen glänzen feucht. "Man muss loslassen können. Man kann alles verlieren. Wenn ein Unfall passiert, war alles umsonst." Es war ein besonderer Moment, sie sah aus dem Kontrollzentrum zu, im Stehen und atemlos. "Es wird immer ein Highlight meines Lebens bleiben."

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